Walja erinnerte sich deutlich an diesen Satz von Paul und sagte, durch diese Aussage habe das Gespräch eine verhängnisvolle Richtung genommen. Federico Grosse unterbrach seine Unterhaltung mit Sebastian Schulz. Du magst recht haben, lieber Paule, erwiderte er. Den einen Schöpfergott würde ich als eine poetische Idee gelten lassen. Aber dem Herrn des Himmels und der Erden auch noch einen Widerpart beizugeben, einen Gottseibeiuns, einen Gehörnten, das ist mir dann doch zu simpel.
Die Auswirkungen des dualistischen Systems, sagte die Sawatzky, Genossin der Einheitspartei und deshalb mit der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus leidlich vertraut, die Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, das Denken in Feindbildern, haben wir ja zur Genüge kennengelernt. Mein Bedarf ist gedeckt.
Peter Heil setzte ein nettes Grinsen in sein Gesicht. Wir befinden uns ja nach amerikanischer Denkweise an der Peripherie eines Reichs des Bösen!
Sein Grinsen wurde von anderen aufgenommen. Ja, die amerikanischen Präsidenten treibt mitunter religiöser Wahn, sagte der junge Schulz. Doch erinnere ich mich recht, wollten auch wir einmal die Welt erretten.
Weißt du eine Alternative zum Sozialismus?, fragte die Sawatzky scharf. Sie liebte es, schnell die Positionen zu wechseln.
Wenn man ihn vernünftig betreibt, nein, sagte der junge Schulz ruhig.
Gott, wenn man ihn als im goetheschen Sinne fasst, eventuell, aber Teufel nein?, erkundigte sich Paule Berlin, über seine auf der Nasenspitze ruhende Brille listig in die Runde schauend.
Na, na, sagte nun der Dramatiker Karge mit volltönender Stimme und tief gefurchter Stirn. Also auf der Bühne möchte ich ihn nicht missen!
Auf der Bühne, Karlheinz, aber nein!, sagte sein Freund, der frohsinnige Gunter Scherzer, nicht minder tönend. Wie könnten wir auf ihn verzichten, den Unheilstifter, den Durcheinanderbringer, der Mord und Totschlag anzettelt und brave Jungfrauen wie Ehegattinnen zur Sünde verleitet.
Das Theater lässt sich natürlich nicht ohne die großen und kleinen Teufel denken. Es lebt von Dramatik, von Gegensätzen, gab Intendant und Jubilar Heil bereitwillig zu.
Und wer, glaubt ihr, hat die dutzend oder wie viele Attentate auf Hitler verhindert?, fragte nun die Ottilie Ehrlicher, die gleich den moralischen und praktischen Aspekt eines Gegenstands im Auge hatte. Wer hat Stalin möglich gemacht? Da möchte man beinahe doch an einen Teufel glauben. Ihr silbernes Ohrgehänge klimperte heftig, ihre Augen weit und anklagend aufgerissen, die Augenbrauen hochgezogen. Dennoch bildeten sich keine Runzeln auf ihrer glatten Stirn.
Josef Wissarionowitsch ... Den hätte man in der Wiege ersticken sollen. Die Tat hätte ich auf mich genommen!, sagte der eloquente Axel Harder.
Du hättest wegen Kindsmordes dein Leben verdorben, gab die Sawatzky zu bedenken.
Und wenn?, sagte Axel Harder mit großzügiger Geste und seinem berückenden Lächeln, das die vor seinem hochstehenden Eckzahn aus unerfindlichen Gründen nicht geschlossene Lücke im Gebiss sichtbar machte.
Lenin hat vor ihm gewarnt. Die Genossen haben ihn leider unterschätzt, sagte Paule, und einmal war tatsächlich tiefe Trauer in seiner sonst so undurchsichtigen Miene, die sich dann aber wieder aufhellte.
Lenin!, sagte der junge Schulz aufmüpfig. Der hat uns die Suppe ja eingebrockt.
Also Teufel, ja oder nein?, meldete sich Paule Berlin noch einmal. Wie wäre es, fügte er hinzu und zwinkerte vielverheißend, wenn wir unter uns eine anonyme Befragung vornähmen, wer noch an einen allmächtigen Gott, eine Schicksalsmacht oder dunkel wirkende Kräfte glaubt oder sie wenigstens nicht ganz ausschließt. Und wer an den leibhaftigen Teufel glaubt.
Immer deine Spiele. Paule, muss das sein?, sagte die alte Berta Watersloh. Doch der Angesprochene zwinkerte weiter so aufmunternd und vergnügt, dass die Übrigen, die alle den alten Paule mochten, ihm die Freude nicht verderben wollten. Schon hatte er Papier in der Hand. (Paule war ja leidenschaftlicher Ausgestalter leerer Seiten durch farbige Tintenfaserstifte und so immer im Besitz von Papier.) Er faltete die Seite scharf, riss sie an der Tischkante in kleine Teile, schrieb seine Fragen als Stichworte auf, ging dann herum und verteilte seine Zettel und Schreibgeräte. Bloß ankreuzen, sagte er.
Schnell sammelte Paule die Zettel und seine Stifte wieder ein.
Also?, fragte Axel Harder.
An eine höhere Macht glauben drei von uns.
Die Blicke der in der Runde Befindlichen wanderten zu dem und jenem, um zu ergründen, wer dieser der wissenschaftlichen Weltanschauung vollkommen widersprechenden Idee anhing. Ottilie Ehrlicher war zwar nicht in der Partei, aber doch so handfest und wirklichkeitsverbunden, dass man ihr eine derartige Spinnerei nicht zutraute. Selbst wenn sie eben von einem Teufel gesprochen hatte, meinte sie ein unglückliches Schicksal, mehr nicht. Hatte der kluge Heil Paule einen Streich spielen wollen? Hatte Paule selbst, um das Spiel spannender zu machen, sich mal kurzzeitig auf die andere Seite begeben? Wer außer Walja, die an ihre Großmutter dachte und sie nicht einmal nach ihrem Tode kränken wollte, hatte die Frage noch positiv beantwortet?
Und an den Teufel?, fragte die Sawatzky, die an dem Spiel Gefallen zu finden schien.
Keiner.
Mit einem Mal sprang der sonst so stumme Kater Kasimir, der unter irgendeinem Vorhang geschlummert hatte, laut schreiend auf den Tisch, wobei das Tischtuch verrutschte und Gläser kippten. Mit solchem Verhalten wagte Kater Kasimir seine Existenz im Club! Und obwohl Ottilie pfui, pfui rief, und die Sawatzky ein "Runter, verflixter Kater" donnerte, blieb Kasimir sitzen und starrte mit seinen bernsteinfarbenen Augen tiefgründig drohend, ohne einen Wimpernschlag auf die Anwesenden.
Auf den Kater deutend, barst die bisher gänzlich unbeteiligte Irminhild vor Lachen. Ihr düsteres Gesicht verwandelte sich in das eines schwarzhaarigen, Zöpfchen tragenden Kobolds. Doch so sehr alle überrascht waren vom plötzlichen Auftauchen der Sphinx aus ihrem fernen Gedankenreich, so waren sie es nicht von der Verwandlung und der Gewalt ihres Lachens. Jeder schon war einmal Zeuge ihrer Heiterkeitsausbrüche geworden, selbstverständlich Paule Berlin, der ja mal, unvorstellbar!, ihr Ehegemahl gewesen war. Gunter Scherzer, der Schürzenjäger, mochte wieder einmal ehrfürchtig denken, welches Ereignis Irminhild in der Liebe sein müsse, wenn sie so tiefdüster und so gewaltig heiter sein konnte. Sei mir gegrüßt, Kasimir, mein Herzensbübchen, mein Teufelsbraten, sprach Irminhild und fand endlich Atem. Du begibst dich in Augenhöhe mit uns und widersprichst. Nun denn!
Die Runde der dreizehn also um einen Kater erweitert, denn nach der Begrüßung der Irminhild wurde Kasimir vorübergehend stilles Mitglied.
Walja war unbehaglich. Wohl hatte sie eine fortschrittsgläubige Mutter gehabt, doch auch eine starke Prägung von ihrer gottgläubigen Großmutter erfahren, die auf ihrem Dorf - natürlich ohne Wissen ihres Pfarrers - den Frauen im Dorf die Gürtelrose besprach und aus Kaffeesatz und Karten Schicksale las. Besonders der Aber-, also Irrglaube, nach Meinung der Geistlichen, hatte sich in Waljas kindlichem Gemüt festgesetzt und war bis zu diesem Tag verblieben. Dreizehn waren sie und nun auch ein Kater, wenn auch kein schwarzer, zu ihrem Spießgesellen ernannt. Das deutete auf Böses hin!
Der halbspanische stolze Federico Grosse, bei dem zu Hause die Katzen als Hauptpersonen behandelt wurden und dementsprechend Platz nehmen konnten, wo sie wollten, auch auf Tischen, war überglücklich, den Prachtkater so nah bei sich zu haben und geduldet zu wissen. Er lockte ihn mit Tönen, die er wahrscheinlich nicht einmal bei der Verführung von Frauen anwendete, während das Entsetzen von Ottilies Gesicht gar nicht mehr wich. Sie stand auf, angeblich, um ein Geschoss tiefer zum stillen Ort zu gehen.
Читать дальше