Beate Morgenstern
Villa am Griebnitzsee
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Titel Beate Morgenstern Villa am Griebnitzsee Dieses ebook wurde erstellt bei
Widmung Widmung Für Sibylle Hentschel und Studenten aus ihrem Seminar Szenaristik an der Filmhochschule von Babelsberg 1959/63 Thies Engelmann Werner Mühle Ulrich Plenzdorf (†) Thea Richter (†) und weitere Kommilitonen: Carmen-Maja Antoni, Hilmar Baumann, Celino Bleiweiß, Barbara Dittus (†), Elke Gericke, Gerd Gericke, Renate Heymer, Günther Junghans, Hartmut Lange, Rolf Liebmann. Carlos Mundt, Inge Ristock, Helga Schütz, Katja und Christian Steinke, Ilse Stroh, Jutta Wachowiak, Lothar Warnecke (†), Karin Waterstraat, Peter Wuss und Mitglieder des Lehrkörpers: Hans Lohmann Rolf Richter
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Zitate aus folgenden Filmen wurden verwendet:
Von Beate Morgenstern bei uns erschienen
Impressum neobooks
Für Sibylle Hentschel und Studenten aus ihrem Seminar Szenaristik
an der Filmhochschule von Babelsberg 1959/63
Thies Engelmann
Werner Mühle
Ulrich Plenzdorf (†)
Thea Richter (†)
und weitere Kommilitonen:
Carmen-Maja Antoni, Hilmar Baumann, Celino Bleiweiß,
Barbara Dittus (†), Elke Gericke, Gerd Gericke, Renate Heymer,
Günther Junghans, Hartmut Lange, Rolf Liebmann. Carlos Mundt,
Inge Ristock, Helga Schütz, Katja und Christian Steinke, Ilse Stroh,
Jutta Wachowiak, Lothar Warnecke (†), Karin Waterstraat, Peter Wuss
und Mitglieder des Lehrkörpers:
Hans Lohmann
Rolf Richter
Schritte die Treppe hinauf. Jemand, der sich darauf eingerichtet hatte, nirgendwo anzuhalten, bis zur Dachwohnung hinaufzusteigen. Susanne immer das Ohr am Hausflur. Die Liege an der Wand zum Flur. Da verbrachte sie viel Zeit am Tag. Susanne richtete sich auf, langsam, ließ die Beine zu Boden gleiten. Ging zur Tür. Zimmer- und Flurtür dicht nebeneinander.
Sie erwartete ihren Besuch meist in der offenen Tür. Überraschend für die Besucher, wenn sie um die Hauswandecke bogen und Susanne sahen. Das nächste Mal wird Georg kommen, hatte Marco gesagt. Ingo, Ulf, Marco ... Nun Georg. Hinter der Hauswand tauchte er nun auf: Nicht groß, schwarze Jeans, knöchelhohe Lederschuhe. Trotz seines jungenhaft vollwangigen Gesichts schneidig, wie man früher gesagt hätte. Die mittel blonden Haare kurzgeschnitten, hochstehend. Er sah aus wie die jungen Burschen, die vor fünfzig Jahren in den Krieg gezogen waren mit eben diesen kurzgeschnittenen Haaren. Manche hatten runde Brillen getragen wie er. Nie würden junge Männer wieder so aussehen, hatte sie gedacht, so deutsch, so schneidig. Nun war es wieder Mode geworden, sich die Haare bis über die Ohren abzurasieren. Auch Deutsch war wieder in Mode gekommen. Susanne konstatierte emotionslos. Er sah aus wie einer, der wusste, was er wollte. Sah jedenfalls so aus. Sie sind also der Georg!, sagte Susanne, reichte ihm die Hand. Susanne ging ihm voran in die Wohnung, zeigte ihm, wo er alles fände.
Ein E-Piano!, sagte Georg verwundert, als er das Zimmer betrat, in dem sie sich am meisten aufhielt. Neben breiter Liege, kleinem alten Sofa, Sesseln, zugehörigem ovalen Tisch und Glasschränkchen hatte am Fenster gerade noch ein E-Piano Platz gefunden.
Ich hab's gegen mein Klavier eingetauscht, antwortete Susanne, schaute Georg an, um sich an sein Aussehen zu gewöhnen. Keiner der Jungen bisher hatte sich für ihr kleines Piano interessiert. Am liebsten suche ich mir nach Gehör Filmmusiken zusammen, sagte sie.
Man hat mir schon erzählt, dass Sie was mit Film zu tun hatten.
Susanne lächelte. Sie hatte sich gedacht, dass die Jungen von ihr sprachen. Deren Alltag sicher eintönig, Susanne fiel aus dem Kreis von Menschen heraus, die die Jungen sonst betreuten. Ich schneide Tag und Nacht Filme mit, erklärte sie. Vor allem Komödien. Und Filmklassiker. Als ich nach der Wende Geld geschenkt bekam, habe ich mir als Erstes einen Videorecorder angeschafft. Stummfilme kommen natürlich kaum im Fernsehen. Auch selten die sowjetischen Filme. "Iwan Grosny" fehlt mir zum Beispiel und Tschuchrais "Klarer Himmel".
Tschistoje nebo, sagte Georg mit unbeweglichem Gesicht.
Ulf hatte Susanne gefallen, Marco ebenfalls, selbst Ingo. Zu jedem hatte sie eine Beziehung aufgebaut. Ganz gewiss würde sie sich auch gut mit Georg verstehen. Sie gehören noch der Generation an, die etwas Russisch können, sagte sie.
Mehr als etwas. Georg griente hinter seiner runden Goldrandbrille. Sein Jungengesicht nun noch voller. Wir haben in der SU gelebt. Und dann war ich hier auf der Russisch-Spezialschule.
Ihre Familie war in der Sowjetunion?
Meine Eltern haben dort gearbeitet. Mein Vater als Kernphysiker, meine Mutter als Informatikerin.
Ich war nie in der SU. Ich habe russische, sowjetische Literatur gelesen, herrliche Filme gesehen. Aber ich war nie dort.
Da war doch jeder, sagte Georg.
Wie gesagt, ich kenne das Land nur durch Bücher und Filme. Herrliche Filme. Dowshenko "Die Erde", "Die Ballade vom Soldaten", "Die Kraniche ziehen". Habe ich neulich im ORB mitgeschnitten. In Susanne begann das Lied, das sie seit Wochen hörte:
"Die Kraniche hoch droben ziehn am Himmel ihre Bahn. Schau einmal hin, schau zweimal hin und schau mich wieder an." Veronika tanzt und singt, während sich Boris auf einem Stuhl weiter bemüht, eine Verdunklung am Fenster anzubringen. "Sehr inhaltsreich" bemerkt er. Veronika zieht ihn vom Fenster hinunter auf den Boden, setzt den Fuß auf ihn. "Du hast mich besiegt", sagt er. "Du bist besiegt, du bist besiegt. "Veronika springt durch das Zimmer, sieht dann aus dem Fenster. "Sag mal, können sie dich nicht einberufen?", fragt sie. - "Natürlich!" - Aber freiwillig gehst du nicht. " Wenn's sein muss, gehe ich."
Langes Sitzen strengte Susanne an. Sie legte sich hin, schob sich ein Kissen unter den Kopf, bat Georg, auf einem Sessel in ihrem Blickfeld Platz zu nehmen. Immer versuchte sie, mit den jungen Männern zu reden, wenn sich nur irgendein Ansatzpunkt ergab.
Veronika schleicht sich durch die elterliche Wohnung. Die Mutter dreht sich im Bett, wendet sich an den Vater: "Er hat ihr den Kopf verdreht." - "Und sie ihm", entgegnet der Vater. "Liebe, meine Teure, ist ein gegenseitiges Kopfverdrehen."
Susanne begann von dem Film zu erzählen, dessen Musik ihr nicht aus dem Kopf ging und infolgedessen auch die Bilder nicht. Es war der Erste, verstehen Sie, der allererste, in dem der große Bruder nicht von Helden berichtete, sondern von dem Elend, das der Krieg über die einfachen Menschen brachte. Ein Ereignis, als er Ende der 50er Jahre in den Kinos lief. Eine Liebesgeschichte. Dann kommt der Krieg. Eine Geschichte auch von Verrat. Bisweilen gibt es sarkastische Momente.
Boris hat seinen Einberufungsbefehl erhalten. Der Junge, sein Vater, die Schwester, die Großmutter sitzen um einen Tisch und warten auf Veronika. Zwei Komsomolzinnen platzen in die Abschiedsrunde, um patriotische Grüße von der Komsomolorganisation auszurichten. Boris' Vater, Arzt, rundes, doch nicht volles Gesicht, Brille, Schnurrbart, hohe Wangenknochen. Vor Gram um seinen jüngsten Sohn außer sich, fällt er in die Rede der beiden Mädchen ein: "Halten Sie durch bis zum letzten Blutstropfen, sollen Sie sagen." Fast schreit der Vater. "Schlagen Sie die verdammten Faschisten, während wir hier weit hinten die Pläne erfüllen und übererfüllen werden!" Die Mädchen lassen sich von ihrem Geplapper nicht abhalten. Bei einem ist gerade Abschied vom Bruder gefeiert worden. "Mutter hat so geweint", berichtet das Mädchen stolz. "Und Sie?", fragt der Vater grimmig. "Ich auch. " - "Im Auftrag der Betriebsgewerkschaftsleitung oder von sich aus?"
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