Beate Morgenstern - Nachrichten aus dem Garten Eden

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Bauer Friedrich Luther, Jahrgang 45, vermutlich Nachkomme der Familie des Reformators und im Land zwischen Wittenberg, Eisleben und Mansfeld lebend, erzählt Jahre nach der Wende seinem Freund, wie sich das Dorf entwickelte, nachdem «Jerards» Clan vor der Kollektivierung 1958 in den «Westen machte», und wie Friedrichs Vater seinen nach «natürlichen Grundsätzen» bearbeiteten «Garten Eden» vor dem Zugriff der Genossenschaft rettete. Friedrich redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, munter, humorvoll in Umgangssprache, in die Mansfelder Dialekt einfließt.

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Beate Morgenstern

Nachrichten aus dem Garten Eden

Ein Roman aus dem Mansfelder Land

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Inhaltsverzeichnis Titel Beate Morgenstern Nachrichten aus dem Garten Eden Ein - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Beate Morgenstern Nachrichten aus dem Garten Eden Ein Roman aus dem Mansfelder Land Dieses ebook wurde erstellt bei

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Impressum neobooks

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Wie seids ihr in meine Gedanken geraten? Habts ihr womöglich schon auf mich geglupscht, wie mir aus all dem Kram von Zeitungen und Werbung der Brief auf den Boden fiel, dass ich ihn aufheben musste und mir gleich komisch war wegen dem hellblauen Umschlag, sehr leicht und feines Papier, was gar nicht in meine Hände passt, rote verarbeitete Hände, die noch eine ganze Weile zupacken werden, hoffe ich. Bin ja kein ganz oller Mann.

Jahrgang 45. Dies Jahr 55 geworden. Zum Ankucken für eine Frau bin ich wohl nicht mehr. Ist mir auch ziemlich schnurzpiepe. Höchstens, wenns Marjittchen sich auf mich besinnen täte, da wäre es mir nicht egal. Und was das andere Wiepchen ist, für das ich ein Interesse hätte, da ist sowieso keine Aussicht, obwohl die auch alleine lebt, aber in Berlin.

Was so ein Luftpostbrief bei mir will, habe ich mich gefragt. Die Adresse mits Maschine geschrieben. Germany. Die englische Sprache breitet sich aus, seitdem wir im Westen leben, ohne dass wir unsen Hintern eine Handbreit von der von unsen Vorvätern ererbten ostdeutschen Scholle hinwegbewegt haben. Aber bei einem solchen Brief muss wohl diese Bezeichnung sein. Germany. Einfach Germany ohne West oder East oder so dardarzu. Daran hat man sich erst mal gewöhnen müssen. Die Postleitzahl woll nachträglich von einer Angestellten hinzugeschrieben. Ich schüttelte, ob aus Zeitungen und Werbung noch etwas herausfiele. Die wirklich wichtigen Briefschaften ja leicht zu übersehen, und dann sind sie weggeworfen. Ich lese kein Gedrucktes, was ich nicht bestellt habe, auch sämtliche Versprechen auf große Gewinne nicht, an mich persönlich adressiert. Wahrscheinlich habe ich so schon Millionen verschleudert. Aber es war nur der eine hellblaue, leichte Brief. Den trug ich wie eine Kostbarkeit, las die ungefähre Anschrift wieder und wieder. Ich fühlte, die meinte mich mehr als die fertig ausgedruckten Briefe, die mits Lieber Herr Luther beginnen, als wäre ich wer weiß wie bekannt mits den Herrschaften, die wo schreiben. Friedrich Luther Lutherhof unten Sylken/Südharz Germany die Adresse. Den Absender sah ich extra nicht an. Ich habe so meine Art, mir Freuden zu bereiten, indem ich sie hinausschiebe. Und es konnte ja auch eine Enttäuschung sein, falls, wenn es doch bloß gar nichts wäre, was in dem Brief stand. Über den Absender konnte ich mir nichts denken. Kein Bruder von meinem Vater oder von der Mutter waren so weit weggemacht, dass man Briefe mits Flugzeugen hierher nach New Germany transportieren müsste. Oder von dessen/deren Sohn/Tochter, nun glücklich verstorben und ohne Nachkommen, dass man sich an Verwandte im Mansfeldischen erinnert. Im Hiesigen ist man sesshaft. Erst die Arbeitslosigkeit jetzt treibts die jungen Leute weg. Wenige sind kurz vor und nach der Wende in den Westen. Aus Sylken zu der Zeit überhaupt keiner. In den Fünfziger Jahren waren es mehr gewesen. Aber nur ein Bauer. Wir haben darüber gerätselt, was der so ganz Verkehrtes, so schwer Strafwürdiges getan hatte, dass er deschertwejen in den Westen ging. Den Hof im Stich zu lassen, hat sonst keiner gemacht, nicht mal, als sie die Bauern mits städtischen Agitprop-Truppen in die Genossenschaften reingeredet hatten. Und wie der Bauer weg war, konnte er dann auch nicht umkehren. Sagte man damals jedenfalls, manichen wäre es drüben gar nicht gut gegangen, aber aus Scham wären sie nicht mehr in die alte Heimat zurück. Sicher würde man in den Akten der Behörde von dem etwas finden, der mal Paschter gewesen war und nun als Oberhirte vorsteht einer Institution, die vielleicht die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist in der Stadt, die mal Hauptstadt von unse Kleinrepublik war und die nun ausstaffiert wird zur allerherrlichsten Hauptstadt Deutschlands. Aber ein Fremder kommt an die Akten ja nicht ran. Höchstens müsste ich Tante Hildegard fragen, ob die was weiß wegen Schickedanzens Weggehen. Seit meinem Besuch vorje Zeit sagt Tante Hildegard mir jetzt so maniches, was sie früher für sich behalten hat.

Oder seids ihr erst in meine Gedanken gekommen, wie ich mich niedergesetzt habe in meine Küche und endlich den Brief umgedreht habe, ob der Absender mir vielleicht was sagt? G. Schickedanz. Australia. Schickedanz! Das ja nun ausgerechnet der Name von dem Bauern, an den ich ehmt gedacht hatte, der als Einzigster mits seiner Familie in den Westen gemacht ist. Gerhard, Jerard, wie wir sagen, mein bester Kindheitsfreund. Jerard in Australien? Das wäre eine Sache. Bei so einem Brief bin ich natürlich nicht einfach mits dem Finger in den Umschlag, sondern habe ein Messer geholt und das dunkelblau-rot umrandete Papier aufgeschlitzt. Vorsicht habe ich auch in meinen Gedanken walten lassen, indem ich mir sagte, dass vielleicht gar nicht der Jerard schrieb, sondern ein Familienangehöriger, der mir mitteilte, dass er nicht mehr lebt. So bin ich nun mal, rechne mits allem. Kommt es besser, umso besser. Der Brief mits der Maschine geschrieben wie der Umschlag.

Lieber Fritz! Die Anrede klang schon mal gut, als ob Jerard es selber geschrieben hätte. Jetzt hatte ich nun doch keine Geduld mehr und suchte nach der Unterschrift. Die hingekrakelt. Ja, Jerard hatte unterschrieben. Langsam ging ich die Zeilen runter.

Den Brief habe ich inzwischen intus, so oft habe ich ihn gelesen:

Du wirst dich wundern. Ich habe nie geschrieben. Ich habe viel trouble gehabt in mein Leben. Aber jetzt geht es mir entsprechend very gut. Ich habe mich gesettelt und habe den Gedanken, die alte Heimat wiederzusehen. Nun ist schon zehn Jahre ein Deutschland. Wenn es wäre damals ein Deutschland gewesen, wir wären geblieben in Sylken. Lebst du noch? Dann schreibe mir. Dann will ich dich gern besuchen mits meine jüngste Tochter. Die will auch von dem Heimatland von ihrem Vater wissen. Sie hat spricht so mits mir, habe ich ihr beigebracht und hat sie auch extra in die Schule gelernt.

Komisch ist Jerards Sprache. Er also nun ein Weltmann. Ja, soll er kommen! Da werden wir beiden uns wiedersehen. Nach 40 Jahren. Soviel sind es bestimmt geworden. Wieviel genau? 59 im Sommer sind sie weggemacht. Jetzt haben wir 2000. Na, kommt ungefähr hin. Ganz klar: Auch Margarete muss her. Dardarmit wir alle drei von damals zusammen sind. Hoi, wird die sich wundern, wenn ich sie antelefoniere. Ich werde sie schön zappeln lassen, wer mir geschrieben hat, bis ich mits der Nachricht rausrücke!

Jerard kann denn uns beide erzählen von dem Land, wo die Leute, von uns aus gesehen, mits dem Kopf nach unten gehen, die Beine von der Schwerkraft festgehalten. Bin ich mits dem Hof fertig und schlafe nicht gleich, wies mirs meist in den Sommermonaten passiert, habe ich durch das Fernsehen meine Unterhaltung und bekomme viel Wissen her, dass ich dardardurch eine ungefähre Vorstellung von Australien besitze: Olympiastadt Melbourne, Canberra Hauptstadt, Känguruhs, weites, verstepptes Land, schwarze Eboridschines, die anderscht aussehen als wie alle Menschen sonst auf der Welt und wohl das Feuer anbeten und von Zeit zu Zeit im Busch zündeln, damits die Natur im Gleichgewicht bleibt, ein mir ganz interessanter Gedanke. Und wie eingeführte Tiere zur Plage geworden sin, weil sie keine natürlichen Feinde ham wie die Karnickel und zugor die Katzenviechter. Nachhert würde ich dem Jerard alles erzählen von dem Tag an, wo er weg war. Auch Margarete würde womöglich allerhand erfahren, was ihr nicht so bekannt ist, trotzdem sie im selben Land lebte als wie ich. Und wir dreie würden uns erinnern, wies in unsem ollen Siehleken war. So sagen wir Einheimischen zu unsem Dorf statts bloß Sylken. Wir lassen gerne die Worte auf der Zunge kullern. Sagen Milich statts Milch und elewe und zwelewe statts elf und zwölf.

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