1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Und dass du noch dahinter kommst, warum, was und wie, sagte Irminhild. Unter ihren halb gesenkten Lidern loderte ein Feuer auf. Man verstand, sie war imstande, Männerherzen in Flammenmeere zu verwandeln, worauf Peter Heil prompt ein wenig mehr Farbe in sein helles Gesicht bekam. Er dankte für den Wunsch nach Erlangung von Weisheit. Wenn der verehrungswürdigen Kollegin so daran gelegen sei, würde er sich wirklich bemühen, ein Leben lang, dem Warum, Was und Wie auf die Schliche zu kommen, bemerkte er.
Einen frohen Sinn, flötete Ottilie Ehrlicher mit ihrer Amselstimme, die Augenbrauen bedeutsam gehoben. Ihr silbernes Ohrgehänge klimperte. Und eben alles erdenklich Gute!, fügte sie aus ehrlichem Herzen hinzu für den Fall, dass irgendein Wunsch nicht ausgesprochen war.
Nun endlich tranken sich alle zu und setzten sich.
Eine kurze Zeremonie war es gewesen, aber immerhin besser als gar keine. Vielleicht fruchtete die Erfahrung, die die meisten als Teilnehmer von Delegationen ins Sowjetreich gemacht hatten. Dort allerdings waren bekanntlich Minuten bis Viertelstunden füllende Trinksprüche üblich, und nach jedem hatte man ein Glas zu leeren, weshalb, wenn alle ihre Wünsche ausgesprochen hatten, man im Kopf ganz schwummrig war und weniger Trinkfeste auch schon mal unter den Tisch rutschten. Nicht so also die zwölf um Peter Heil. Sparsam ging man mit Worten um. Und auch - zunächst - mit Getränken. Nemezische Nüchternheit herrschte. Dann allerdings leerte Iris Sawatzky ihr Glas zur Gänze und auch der in den 60er, 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts so bewunderte Dichter Dieter Kerschbaumer, der immer noch sein Gewerbe verstand, weshalb der aufmerksame Lothar eilte, um nachzuschenken.
Nun brachte er auf heißen Tellern, vier mindestens auf jedem Arm, die gewünschten Speisen herbei. Die Gastlichkeit im CdK eher bescheiden. Die seltene Gelegenheit, so viele Gäste auf einmal zu bedienen, nahm er zum Anlass, Proben seiner Jonglierkunst zu bieten. Da er keine Hand frei hatte, bat er die Gäste, die er zuerst bediente, mit dem asiatischen Lächeln eines Paul Wegener die Speisen von seinem Arm selbst herunterzunehmen. Bevor er sich auf den Weg machte, hatte er vorsorglich den Blick über den Boden schweifen lassen. Denn derart beladen wäre ihm das Kunststück, über Kater Kasimir zu hüpfen, schwerlich gelungen. Kater Kasimir aber hatte es sich unter der Tafel bequem gemacht. Obwohl es Federico Grosse wie Irminhild nach dem Kater verlangte, legte er sich ausgerechnet auf Ottilies Füße. Die wagte nicht sich zu rühren aus Angst, der Kater könne ihre Strümpfe zerreißen oder ihr gar in die durchtrainierten Waden beißen. Da der Kater in der Runde so wohlgelitten war, sprach sie nur leise zu Walja von ihrer Pein. Worauf die gutmütige Walja den Kater heimlich mit einem Stück von ihrem Wiener Schnitzel zu sich lockte. Es war verboten, den Kater zu füttern. Lothar ernährte ihn salzarm mit gekochtem Fisch, Schabefleisch und dergleichen, was von der Küche für den Kater gleich mitbestellt wurde. Wie Walja mir kleinlaut berichtete, gab sie das Stück Fleisch ungern her und beichtete mir, dass sie die Einnahmen aus Stipendien des Kulturfonds lieber in sogenannte "Exquisit-Läden" trug, wo man westliche wie ausgesuchte nemezische Textilien zu hohen Preisen erwerben konnte, als die für ihre Nahrung zu verwenden, während es die Nemezen gerade umgekehrt machten und ihnen eine warme Mahlzeit ohne Fleisch zumindest in der Hauptstadt kaum denkbar schien. Übrigens erhielten (entgegen sich beharrlich behauptender Gerüchte) weder Kandidaten noch Mitglieder des nemezischen Schriftstellerverbandes ein festes Salär, lediglich Mitglieder der Akademie der Künste, die bei geringen Ansprüchen davon leben konnten. Da Walja noch keine Bücher im Rennen hatte, die regelmäßig wieder aufgelegt wurden, empfand sie ihre Existenz als ungesichert.
Paule Berlin mümmelte mit dem braunstümpfigen Restbestand seiner Zähne sein Filet Stroganoff. Das Gemüse würde er liegen lassen. Er hegte eine tiefe Abscheu gegen alles Gesunde. Der eloquente Axel Harder führte die Happen seines Rumpsteaks mit eleganten Bewegungen zum Munde, wobei ihm unterwegs hin und wieder die Gabel in der Luft stecken blieb, weil er doch ein: Übrigens, mein lieber Gunter, hast du schon gehört ... hinsagen musste. Der dünne Dichter Kerschbaumer pickte in sein Ragout Fin wie ein Vogel, während der Dramatiker und Theaterkritiker Karlheinz Karge mit gutem Appetit aß und vielleicht ebensolchem Genuss, wie der vom Leben durch gute Laune wie Erfolg gesegnete Gunter Scherzer. Auch Sebastian Schulz tat sich überhaupt keine Zurückhaltung an. Die alte Berta Watersloh aß, weil das nun mal zum Lebenserhalt gehörte. Der Jubilar und Theatermann Peter Heil zeigte sich zu Genuss der einfachen Gerichte des CdK fähig. Irminhild, die schon ihres Sohnes wegen jeden Tag kochte und sich ausgewogen und mit Geschmack ernährte, ließ sich Zeit, um zu einem Urteil über ihr Cordon bleu zu kommen, hielt es dann für eine nicht gravierende Fehlentscheidung. Immerhin hatte sie neben der deutschen, auch die französische und italienische Küche kennengelernt. Federico Grosse machte an diesem Tag nicht viel Federlesens mit seinem Steak, er war hungrig. Seine Frau kochte erst abends, wenn sie von der Arbeit kam. Er hätte sie gern zu Hause behalten. Doch sie wollte wie alle Frauen am Leben teilnehmen, was in Nemezien hieß, an der Arbeit. Sie hatte nach Anweisungen ihres Mannes gelernt, einige spanische Gerichte zuzubereiten, so dass er absolut zufrieden mit ihrer Kochkunst war. Doch, wie gesagt, tagsüber musste er ohne sie auskommen. Ottilie Ehrlicher zelebrierte ihr Mahl. Aufrecht sitzend, als hätte sie einen Ladestock verschluckt - ihre bürgerliche Herkunft nun unverkennbar -, nippte sie an ihrer Vorsuppe. Sie aß langsam, sie trank langsam. Und da sie sich wie stets Salat, Suppe und Dessert zur Hauptspeise hinzubestellt hatte, würde sie noch lange essen. Unterwegs befragte sie Iris Sawatzky, ob sie denn zufrieden sei. Ottilie von friedfertigem Naturell. Sie konnte schlecht dauerhaft mit jemandem in Streit leben. Ja, ja, sagte die Angesprochene leichthin. Iris Sawatzky übrigens eine vorzügliche Köchin. Sie konnte, ohne in die geringste Aufregung zu verfallen, mühelos eine hungrige Horde verwandter oder bekannter Menschen bewirten, immer eine Zigarette in der Hand oder wenigstens angezündet in Griffnähe bereitliegend. Iris Sawatzky tat alles mit Leichtigkeit. Sie war eine Intellektuelle durch und durch, bewältigte aber auch ihren Haushalt grandios. Während sich Irminhild, soviel ich in Erinnerung habe, in ihren Romanen über auferlegte Doppelbelastung der Weiber und das ständige Windelwaschen beschwerte. (Letzteres hatte sich zu diesem Zeitpunkt infolge der auch in Nemezien üblich werdenden Babyeinlagen erübrigt.)
Auf Lothars Erkundigungen, ob alles zur Zufriedenheit geraten sei, überlegten die einen, ehe sie sich zu einem Nicken und doch, ja entschlossen. Ottilie gab sich besonders grüblerisch. Andere sagten gleich: ganz prima, große Klasse! Walja selbstverständlich von ihrem Wiener Schnitzel stark begeistert, nickte mit hochrotem Kopf. Jede Gemütsaufwallung, ob sie von gutem Essen, vom Trinken, von irgendeiner psychischen Erregung herrührte, ließ das dünnhäutige Blondchen erröten.
Darf ich?, fragte Iris mit ihrem schönen Bassbariton - eine Zigarette in der einen, ein Feuerzeug in der anderen Hand - gegen Ottilie hin, die sicher noch eine viertel bis halbe Stunde mit ihrem Mahl zubringen würde.
Ottilie wollte Iris den Gefallen nicht abschlagen, da ihr nicht alle eigenen Schwächen verborgen waren und sie um ihre Langweiligkeit beim Essen wusste. Auch wäre ihr ein Widerspruch übel bekommen. Denn spitze Bemerkungen der Sawatzky hätten ihr Mahl hinfort gestört und sie zur Beendigung desselben angetrieben, was sie nur unnötig gequält hätte, denn sie konnte nun eben nicht schneller kauen und schlucken. Sie nickte.
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