„Man wird uns die Rolle als Händler nicht abnehmen“, behauptete der Zögerliche. „Selbst wenn wir unsere Waffen, wie du es vorschlägst, hier draußen verstecken.“
„Ach, was. Wir ziehen die langen Umhänge über und reden möglichst wenig. Das klappt schon. Die einzige wirkliche Gefahr ist, dass du vor Angst so laut mit den Zähnen klapperst, dass die Menschen misstrauisch werden.“
„Lass das Gerede. Mir ist nicht klar, wie du den Jungen genau zur richtigen Zeit alleine vor das Stadttor locken willst.“
„Ich habe eben mehr Phantasie als du. Was interessiert so einen jungen Kerl? Mädchen, Waffen, Pferde. Da sind alle gleich. Ich werde ihn suchen, ein wenig ausfragen, bis ich weiß, was ihm wichtig ist. Genau das verspreche ich ihm dann. Treffpunkt nachts, irgendwo außerhalb der Stadt.“
„Könnte klappen. Wenn uns keiner zuvorkommt.“
„Wir sind die Ersten. Die anderen warten immer noch darauf, dass der neue Stützpunkt fertig wird. Glaube mir, die Kopfgeldjäger und die Stoßtrupps der Soldaten werden frühstens in zwei oder drei Wochen hier sein. Wir bringen ihnen vorher den Jungen – und mit etwas Glück sogar einen seiner beiden Kumpane – und kassieren mordsmäßig ab.“
„Jetzt redest du schon wieder davon, auch noch den Katzer oder den Echsenmagier zu fangen“, beklagte sich der Zauderer. „Mach bloß keinen Unsinn.“
„Hör jetzt auf, du raubst mir den letzten Nerv.“
Der Mond schien wieder ein wenig heller durch die Wolken. Macay presste sich fest gegen den Boden und hoffte, dass die Männer nicht in seine Richtung sahen. Sie hätten ihn sicherlich als länglichen dunklen Fleck wahrgenommen und vielleicht nachgesehen, um was es sich handelte. Doch die beiden waren mit etwas Anderem beschäftigt.
„Dort drüben scheint ein dichtes Gebüsch zu sein. Dort können wir den Esel und unsere Sachen verstecken. Los, du fauler Sack, hoch mit dir.“
Der Mann meinte nicht den Esel, sondern seinen Gefährten, der über die Plackerei murrte. Sie zogen den Esel an einem Strick zu dem Gebüsch.
Macay rutschte langsam zurück zu Perret und berichtete ihm flüsternd, was er erfahren hatte. Es bestand keine Gefahr, dabei gehört zu werden, weil sich die beiden Männer bei dem Gebüsch zunehmend lauter darüber stritten, wo sie ihr Gepäck verstecken sollten.
Perret wollte gleich losstürmen. „Wir greifen an“, sagte er.
Macay hielt ihn fest. „Wozu?“, fragte er. „Morgen früh gehen die beiden nach Eszger hinein. Wir brauchen nur so lange abzuwarten. Dann klauen wir ihren Esel und ihre Ausrüstung und ziehen weiter zum Dschungel. Bis sie merken, dass ich nicht mehr in Eszger bin, sind wir schon weit weg.“
„Könnte klappen“, gab Perret zu. „Aber wir verlieren eine Menge Zeit dadurch.“
„Die gewinnen wir, weil wir den Esel unsere Last tragen lassen können.“
„Also gut, einverstanden. Warten wir bis zum Morgengrauen.“
Sie bewegten sich langsam hundert Schritte weiter, wo ein paar Bäume standen, hinter denen sie es sich bequem machten.
Die Morgendämmerung war kaum zu ahnen, als Macay durch einen erneuten Streit der beiden Männer geweckt wurde. Der Zögerliche weigerte sich, sein Schwert zurückzulassen – ohne es fühlte er sich nicht sicher. Der andere bestand darauf, keine Waffen nach Eszger mitzunehmen, weil sie sich sonst nur verdächtig machten. Darauf einigten sie sich schließlich. Bis der Streit beendet war, war auch Perret wach.
Als Macay, der vorsichtig hinter einem Baum hervorlugte, die beiden Männer auf die Palisaden von Eszger zugehen sah, begann es zu regnen, was die Sicht wieder verschlechterte.
Macay und Perret warteten noch ein paar Minuten, dann schlichen sie sich zu dem Esel. Sie luden die zwei Packtaschen der Gauner auf und führten das Tier zu den Bäumen, wo sie ihr eigenes Gepäck ebenfalls aufluden.
Macay sah sich noch einmal um, bevor sie loszogen. Etwas stimmte nicht, aber er kam nicht darauf, was es war. Sie hatten nichts liegenlassen und nichts vergessen. Mit einem unguten Gefühl folgte er Perret, der den Esel am Strick führte.
Auch dem Esel schien nicht wohl zu sein, er blieb immer wieder stehen und drehte den Kopf zurück. Zunächst dachte Macay, das Tier würde nach ihm sehen, weil er hinter ihm ging, aber das war es nicht.
Perret schimpfte auf den Esel ein und zog heftig am Strick, wann immer das Tier stehenblieb. Das machte den Esel noch störrischer, bis er direkt an der Brücke gar nicht mehr weiter wollte.
Schließlich brachte Perret das Tier dazu, die Brücke zu betreten. Da es sie schon einmal überquert hatte, wäre eigentlich zu vermuten gewesen, dass das kein Problem war. Aber der Esel fühlte sich erkennbar unwohl dabei.
Als sie in der Mitte der Brücke ankamen, tauchte vor ihnen im Regen plötzlich ein Schatten auf. Es war der Umriss eines Mannes, der ein Schwert in der Hand hielt.
Im selben Moment wusste Macay, was er übersehen hatte: Als sie die Packtaschen der beiden Männer auf den Esel geladen hatten, waren deren Waffen nicht dabei gewesen! Sie hatten sie – entgegen dem, was sie besprochen hatten – doch mitgenommen!
Macay rief Perret, der mit dem schon wieder stehengebliebenen Esel beschäftigt war, eine Warnung zu.
„Eine Falle!“, schrie Perret im selben Moment. Er hatte einen zweiten Mann am anderen Ende der Brücke entdeckt.
„Wusste ich doch, dass ihr versuchen würdet, den Esel zu klauen“, höhnte der Mann hinter ihnen, der bisher den Zögerlichen gespielt hatte. „Wir ahnten, dass ihr irgendwo hier versteckt seid.“
„Wie konntet ihr wissen, dass wir ...“
Perret unterbrach Macay. „Wahrscheinlich hatten sie bereits einen Spitzel in der Stadt, der beobachtet hat, wie wir losgezogen sind. Er hat seinen Kumpanen ein Signal gegeben, vielleicht von den Palisaden aus.“
„Stimmt“, rief der Mann. „Mit einer Fackel. Beinahe hätten wir es übersehen bei diesem Mistwetter. Aber genug geredet. Legt eure Waffen ab und ergebt euch.“
Während der Mann am Nordufer schweigend abwartete, kam der andere zu Macay und Perret. Er schien nicht mit Gegenwehr zu rechnen.
Macay stand mit dem Schwert in der Hand da und wusste nicht, ob er sein Leben verteidigen oder sich zunächst ergeben sollte. Da überraschte Perret ihn – und ihre Gegner -, indem er mit seinem Schwert zuschlug. Und zwar dem Esel auf das Hinterteil!
Mit der flachen Klinge, nur ein wenig schräg gehalten, so dass der Esel einen nicht sehr tiefen Schnitt und einen kräftigen Klatscher auf den Hintern bekam. Das Tier keilte aus, traf aber niemanden, weil Macay zum Glück ein wenig seitlich von ihm stand. Dann raste der Esel los, ohne sich darum zu kümmern, was sich in seinem Weg befand. Er rammte den Mann am nördlichen Ufer, drehte sich um und keilte noch einmal aus. Er traf und der Mann stürzte schreiend das Ufer hinunter ins Flussbett, wo der noch lauter schrie, weil er in einem Säuretümpel landete.
Macay bekam das alles kaum mit, denn als der Esel losstürmte, schrie Perret: „Weg hier!“ Er packte Macay am Arm und zog ihn mit sich. Die beiden kamen an dem wütenden Tier vorbei von der Brücke herunter und rannten, was sie konnten. Hinter sich hörten sie das Gebrüll des Esels und die Schreie der Männer.
Zu ihrem Glück versuchte der zweite Mann seinem Kumpanen im Flussbett zu helfen, statt sie zu verfolgen. Bald hatten sie einen Vorsprung, der in der Dunkelheit kaum einzuholen war.
Rall und Zzorg auf dem Weg zur Küste
Rall zog den Pfeil aus dem Körper des Sumpfdachses. Das wütend angreifende Tier war einen halben Schritt vor ihm zusammengebrochen. Es war ein Weibchen mit dunkel gestreiftem Fell, das die Größe eines Hausschweines hatte.
„Irgendwo in der Nähe müssen ihre Jungen sein“, sagte er. „Suchen wir danach?“
Читать дальше