„Ein ziemlicher Aufwand, um einen einzelnen Platz zu erleuchten“, meinte Macay.
„Es ist das Zentrum unserer Republik. Da ist kein Aufwand zu groß. Außerdem soll mit dieser Anlage die Zuverlässigkeit des Gaslichts erprobt werden. Wenn es sich als ungefährlich erweist, plant die Regierung, alle Haushalte in der Innenstadt an die Gasversorgung anzuschließen. Kerzen und Petroleumlampen in den Häusern würden unnötig werden. Wie sie an das viele dann benötigte Gas herankommen wollen, sagen die hohen Herren aber nicht.“
Sie erreichten den Platz und Macay staunte die Lampen an, die in doppelter Mannshöhe leuchteten. Er zählte kurz durch und kam überschlägig auf rund fünfzig.
Derec Celath zeigte auf ein Gebäude: „Das ist der Sitz unserer Regierung. Sechs Stockwerke hoch und auch innen mit dem neuen Gaslicht ausgestattet. Es zu errichten hat ein Vermögen gekostet. Aber die Bürger haben nur anfangs wegen der hohen Ausgaben gemurrt. Inzwischen sind sie so stolz auf dieses Bauwerk, dass sie über die Kosten gar nicht mehr reden.“
„Das kann ich verstehen“, gab Macay zu.
Sie gingen am Regierungspalast vorbei zum Außenministerium. Vor dem Eingang hielten zwei Soldaten mit blinkenden Hellebarden Wache. Derec Celath zeigte ihnen sein Einladungsschreiben. Er und Macay durfte passieren.
Sie traten durch den Haupteingang und gelangten von dort in ein immenses Treppenhaus. Ein Mann in einem schwarzen Anzug kam auf sie zu. Wiederum zeigte Derec Celath das Schreiben vor. Der Mann verbeugte sich andeutungsweise und ging voran die breite Treppe hoch.
Im ersten Stock kamen sie an großen Türen vorbei, die mit Blattgold verziert waren. Macay fragte sich, was so ein riesiges Außenministerium wohl für Aufgaben hatte. Schließlich gab es auf der Welt außer der Karolischen Republik nur die Freie Republik und den unbedeutenden Nebelkontinent. Eine Handvoll Beamter sollte in der Lage sein, ohne großen Aufwand die internationalen Beziehungen zu verwalten.
Derec Celath schien Macays Gedanken zu ahnen. Er deutete auf die Türen und sagte: „Jede Bürokratie ist hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Solange der Staat das Geld dafür hat, wird die Bürokratie wachsen. Die Zahl der Beamten ist ein Beweis für die Wirtschaftskraft des Staates. Genauso wie prächtige Bauwerke, die niemand wirklich braucht.“
Der Mann, der ihnen vorausging, musste diese Bemerkung gehört haben, aber er reagierte nicht darauf. Er öffnete eine besonders auffällige Tür und sagte: „Bitte nehmen Sie Platz. Die Herren Diplomaten werden in Kürze erscheinen.“
Hinter der Tür war ein großer, hell ausgeleuchteter Raum, in dem mit rotem Samt bezogene Stühle um einen Tisch standen. Macay setzte sich so, dass er die Tür im Blick hatte. So konnte er hoffentlich seinen Freunden beim Hereinkommen durch ein rasches Zeichen zu verstehen geben, dass sie sich nicht kannten.
Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür und zwei Gestalten traten herein. Sie trugen Umhänge mit Kapuzen, die ihre Gesichter überschatteten. Ruckartig blieben sie stehen, als sie sahen, wer sie erwartete. Macay legte schnell den Finger auf die Lippen. Da Derec Celath seine Aufmerksamkeit ganz auf die Neuankömmlinge richtete, bekam er das nicht mit.
Die beiden Gestalten warfen ihre Kapuzen nach hinten. Die Köpfe eines Katzers und eines Echsenmannes wurden sichtbar. Derec Celath zuckte im ersten Schrecken zurück. Doch er fing sich schnell wieder. Er stand auf, ging zu den Diplomaten und streckte ihnen zur Begrüßung die Hand entgegen.
„Mein Name ist Derec Celath, ich bin Berichterstatter des Aragotther Boten. Mein junger Begleiter heißt Macay und unterstützt mich heute.“
Auch Macay trat nach vorne und gab den beiden die Hand. Er zwinkerte ihnen dabei verschwörerisch zu.
Derec Celath fuhr fort: „Ich freue mich, dass Sie bereit sind, sich von uns ausfragen zu lassen. Setzen wir uns doch.“
Sie setzten sich an den Tisch, Macay neben Derec Celath und der Katzer und der Echser den beiden gegenüber.
„Ich heiße Zzorg“, sagte der Echsenmensch.
„Und ich heiße Rall“, ergänzte der Katzenmensch. „Wir sind gerne bereit, die Öffentlichkeit der Karolischen Republik über die guten Absichten des Nebelkontinents und der Freien Republik zu informieren.“
Es klopfte, die Tür öffnete sich und der schwarzgekleidete Beamte erschien wieder. Diesmal schob er ein Rollwägelchen vor sich her, auf dem Tee und andere Getränke sowie ein kleiner Imbiss standen. „Dieser Raum steht Ihnen eine Stunde zur Verfügung, meine Herren. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen.“ Er deutete eine Verneigung an und ging hinaus.
„Als ob man mitten in der Nacht in diesem Riesengebäude ausgerechnet diesen Raum in einer Stunde für etwas Anderes benötigen würde“, sagte Derec Celath. „Das ist nur Ausdruck bürokratischer Willkür. Ich hoffe, ich rede nicht zu offen.“
Rall schüttelte den Kopf. „Auch wir lernen nach und nach die Einschränkungen kennen, die ein so großes Staatswesen wie das Karolische mit sich bringt. Seit wir die Entführung überstanden haben, lässt man uns nicht mehr aus diesem Gebäude heraus. Draußen vor der Tür dieses Raumes postieren sich jetzt Wachsoldaten.“
„Wir haben sie nicht gesehen“, sagte Macay verblüfft.
„Sie sind unsere ständigen Begleiter seit diesem Vorfall.“
„Vorfall nennen Sie das?“, fragte Derec Celath. Er legte einen Notizblock vor sich hin und begann zu schreiben.
„Nun, es ist uns nichts weiter passiert“, sagte Zzorg. „Ein paar Schrammen, mehr nicht. Es war ein interessantes Abenteuer.“
„Was wollten die Entführer von Ihnen?“
„Das wissen wir nicht. Vermutlich ging es ihnen nur darum, ein hohes Lösegeld zu erpressen. Was ihnen nicht gelungen ist, weil wir uns selbst befreien konnten.“
Macay bemerkte an Ralls starrem Blick, dass der Katzer log. Ihn interessierte brennend, was wirklich vorgefallen war.
„Trotzdem scheinen Sie mir bemerkenswert wenig beeindruckt von dem Erlebnis zu sein“, bohrte Derec Celath nach. „War es nicht schrecklich, in die Hände von Entführern zu geraten?“
„Sie dürfen nicht vergessen, dass wir vom Nebelkontinent stammen“, sagte Zzorg ein wenig angeberisch. „Gefahren und Abenteuer sind für uns so selbstverständlich wie für einen Karolier die tägliche warme Mahlzeit.“
Alle lachten.
„Eines Tages werde ich diesen berüchtigten Kontinent besuchen“, versprach Derec Celath.
„Sie sind uns jederzeit willkommen“, behauptete Rall. „Ich glaube nicht, dass jemals ein karolischer Berichterstatter bei uns war.“
Noch eine gute halbe Stunde fragte Derec Celath die beiden Tiermenschen aus. Aber er erfuhr wenig mehr, als dass der Nebelkontinent und die Freie Republik an friedlicher Zusammenarbeit und einer Ausweitung des Handels interessiert waren.
Macays Unruhe fiel irgendwann auch Derec Celath auf. „Möchtest du etwas fragen?“, wollte er wissen. „Keine Hemmungen!“
„Wie lange bleiben Sie noch hier in der Hauptstadt?“, wandte sich Macay nach dieser Aufforderung an die Diplomaten.
„Wir werden in zwei Tagen abreisen“, sagte Rall. „Vorzeitig. Die Regierung will kein weiteres Risiko eingehen, hat man uns gesagt.“
„Dann ist dies also die letzte Möglichkeit, uns mit Ihnen zu unterhalten?“
„So ist es, junger Mann.“ Rall machte ein kleines, nur Macay verständliches Zeichen.
Macay stand auf und holte sich eine Tasse Tee von dem Rollwagen. „Möchten Sie auch etwas?“, fragte er Derec Celath.
Derec Celath sagte, seine Kehle sei trocken vom vielen Fragen, Tee würde ihm gut tun. Macay ging noch einmal zum Rollwagen.
Rall stand auf und kam zu ihm. „Auch wir sind durstig“, sagte der Katzer.
Macay und Rall wandten dem Journalisten den Rücken zu. Zzorg verwickelte den Berichterstatter in ein Gespräch. So konnte Rall ungesehen ein Pulver in Derec Celaths Tee mischen. Macay wusste, dass der Katzer ein hervorragender Heiler war, der es verstand, Kräuter zum Nutzen der Menschen einzusetzen. Was auch immer Rall in die Tasse getan hatte, es würde Derec Celath nicht schaden.
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