„Ganz recht“, wich Macay aus. „Ich habe mich erst in den kleineren Städten in der Umgebung von Aragotth umgesehen.“
„Umgesehen? Nach Arbeit, etwa? Da werden Sie in Aragotth Ihre Freude haben. Arbeitskräfte sind gesucht wie noch nie. Und kaum zu finden. Deshalb muss ich nicht nur die Gäste bedienen, sondern Sie auch zu Ihrem Zimmer bringen und nachher den Schankraum saubermachen. Eine Bedienung und ein Zimmermädchen sind einfach nicht zu bekommen. Jedenfalls nicht für das Geld, das ich bezahlen könnte. So, hier sind wir.“ Er öffnete eine Tür und leuchtete in ein sauberes kleines Zimmer.
„Das nehme ich“, sagte Macay.
Der Wirt zündete mit seinem Leuchter zwei der Kerzen an, die in dem Zimmer standen. „Angenehme Nachtruhe“, wünschte er.
Als er die Tür schon fast hinter sich geschlossen hatte, drückte er sie noch einmal auf. „Was sind Sie denn von Beruf?“, fragte er.
„Druckerhelfer“, behauptete Macay. Auf dem Nebelkontinent hatte er eine Zeitlang in der Druckerei des alten Elkmar gearbeitet. Damals musste er sich als normaler Bürger tarnen, um der Obrigkeit nicht aufzufallen.
„Kein gelernter Drucker? Schade, für einen Drucker wüsste ich eine Stelle. Einer meiner Neffen besitzt eine Druckerei. Ich gebe Ihnen morgen trotzdem mal seine Adresse mit. Sicherlich ist er froh, überhaupt jemanden einstellen zu können. Gute Nacht!“
Die Druckerei war ein langgezogenes Gebäude in einem der Vororte. Sie lag eingezwängt zwischen anderen Manufakturen und Fabriken und besaß einen eigenen kleinen Kanal, der einigermaßen sauberes Wasser vom Fluss heranführte und ziemlich schmutziges, fast schwarzes Wasser zurückleitete.
Macay fragte sich, ob er hier richtig war. Zwar standen die Worte DRUCKEREI GELLBAUM groß über dem Eingang zum Hauptgebäude. Aber die Druckerei, die Macay kannte, war ein kleiner Betrieb gewesen. Sie bestand aus ein paar Druckerpressen, mit deren Hilfe man in Handarbeit Zeitungen und Bücher und allerlei Gebrauchsdrucksachen herstellte. Was mochte sich in dieser langen Halle verbergen?
Während Macay noch überlegte, ob er hineingehen sollte, ertönten hinter ihm erst ein Pfiff und dann ein lauter Fluch.
„Aus dem Weg!“, rief jemand.
Macay wandte sich um. Er versperrte einem Fuhrwerk den Weg zur Druckerei. Gezogen von drei Mauleseln transportierte man auf einem Wagen eine riesige, weiße Rolle. Es war Papier, wie Macay erstaunt erkannte, als der Wagen an ihm vorbeifuhr. Eine Papierrolle, die fast mannshoch war und gut vier Schritte breit. So etwas hatte er noch nie gesehen. Neugierig ging er hinter dem Fuhrwerk her.
Ein großes Tor öffnete sich in dem langen Druckereigebäude. Arbeiter schoben eine Holzrampe an das Fuhrwerk heran und ließen dann die Papierrolle über diese Rampe in das Gebäude hineinrollen. Der Fahrer bekam eine Quittung, wendete und fuhr davon. Bevor sich das Tor wieder schloss, rief Macay einem der Arbeiter zu: „Wo finde ich Herrn Gellbaum?“
„Im Büro, wo denn sonst!“, kam als gebrüllte Antwort zurück. Der Arbeiter deutete auf einen Anbau.
Macay ging dorthin. Tatsächlich waren hier Büroräume, in denen Männer und Frauen an Schreibtischen und Stehpulten ihrer Arbeit nachgingen.
„Herr Gellbaum?“, fragte er einfach in einen der Räume hinein.
„Dort!“ Eine junge Frau zeigte auf eine Tür. „Anklopfen.“
Nachdem er geklopft hatte, rief jemand von drinnen „Herein!“ und Macay öffnete die Tür.
Ein großer, kräftiger Mann saß hinter einem Schreibtisch. Er hatte schlohweißes Haar und einen ebensolchen Vollbart, obwohl er kaum fünfzig Jahre alt sein konnte. Der Mann musterte Macay über ein paar Papierseiten hinweg, die er in der Hand hielt, und fragte: „Wer sind Sie und was wollen Sie?“
„Ich heiße Macay und suche eine Arbeit als Druckerhelfer.“ Macay ging zum Schreibtisch und gab Gellbaum den Zettel, auf den der Wirt der Taverne ihm eine Empfehlung gekritzelt hatte.
Der Mann warf einen Blick darauf und fragte: „Was können Sie, wo haben Sie vorher gearbeitet, wie viel verlangen Sie als Lohn?“
„Ich war in einer Druckerei in einer kleinen Stadt angestellt“, antwortete Macay wahrheitsgemäß, ohne zu sagen, dass diese Stadt auf dem verrufenen Nebelkontinent lag. „Wir haben eine Zeitung und allerlei Drucksachen erstellt. Mit Bleibuchstaben und guten Druckerpressen. Da ich nicht weiß, welche Löhne hier in Aragotth üblich sind, kann ich auf Ihre letzte Frage nicht antworten. Ich nehme das, was Sie eben einem Druckerhelfer üblicherweise so zahlen.“
Der Weißhaarige kratze sich am Kopf. „Kurz gesagt, du hast vom Druckereigewerbe keine Ahnung. Jedenfalls nicht von dem, was wir hier machen. Unser Hauptauftraggeber ist eine der drei großen Zeitungen in der Hauptstadt, der Aragotther Bote. Wir müssen jeden Tag dreitausend Exemplare drucken und vor Morgengrauen ausliefern. Wenn etwas Besonderes vorfällt, werden es bis zu fünftausend. Da wirst du uns mit deiner Erfahrung in einer Kleinstadtdruckerei kaum helfen können.“
„Dann suche ich mir anderswo Arbeit“, sagte Macay.
„Nicht so hastig!“ Der Mann stand auf. „Ich lasse dich als Maschinenhelfer anlernen. Oder kannst du Text setzen? Ja? Hätte ich gleich dran denken sollen. Handsetzer kann ich immer gebrauchen. In einer kleinen Druckerei hast du das sicherlich gelernt. Komm mit.“
Gellbaum führte Macay durch die Büros und einige Zwischentüren in das lange Gebäude. Es war eine durchgehende Halle, in der ohrenbetäubender Lärm herrschte.
Eine einzige, lange Maschine stand in dieser Halle. An ihrem einen Ende sah Macay die Papierrolle, deren Anlieferung er beobachtet hatte. Das Papier lief von dieser Rolle in die Maschine. Weiter hinten bewegten sich allerlei mechanische Hebel und Pressen.
Auf einen Wink von Gellbaum hin kam ein Arbeiter heran. „Mickel, ich habe hier einen Neuen“, sagte Gellbaum. „Vom Druckerwesen hat er nicht viel Ahnung, aber er hat in der Provinz als Handsetzer gearbeitet. Schau mal, ob du ihn gebrauchen kannst.“
Mickel war ein schmächtiger Kerl, der einen sauberen grauen Kittel trug. Macay schloss daraus, dass der Mann ein Vorarbeiter sein musste.
„Komm mit“, sagte Mickel.
Macay folgte ihm in einen Verschlag, in dem der Lärm nicht ganz so dröhnend war. Hier standen an mehreren Arbeitsplätzen Männer, die ebenfalls graue Kittel trugen. In großen Rahmen setzten sie den Text der Zeitung.
Mickel zeigte auf einen leeren Platz. „Stell dich hierher. Dies ist deine Vorlage.“ Er spannte ein Blatt Papier in einen Rahmen neben dem schräg stehenden Holzkasten ein. „Dort sind die Lettern und so weiter. Setze den Text und melde dich wieder, wenn du fertig bist. Dann werden wir sehen, ob wir dich gebrauchen können. Merk dir eines: Bezahlt wirst du hier für Geschwindigkeit und Genauigkeit. Kapiert?“
Macay nickte. Er bekam einen grauen Kittel, der ihm zwar zu groß war, aber seine - wie er nun wusste, auffallend provinzielle - Kleidung schützte; dann fing er an.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ihm die Arbeit flott von der Hand ging. Den Zeitungsartikel, den er zu setzen hatte, überflog er nur. Es ging darin um den Bau neuer Verkehrswege. Die Regierung hatte sie in Auftrag gegeben, doch nun erregten sie den Unmut der betroffenen Anwohner. Der Schreiber des Artikels stand klar auf Seiten der Regierung. Er warf den Anwohnern vor, sie stünden dem Fortschritt und dem wirtschaftlichen Erfolg der Karolischen Republik im Wege. Ihre Beschwerden über den zu erwartenden Lärm durch den Verkehr nannte er kleinlich und provinziell. Warum der Verkehr auf einem neuen Verkehrsweg mit großem Lärm verbunden sein sollte, verstand Macay nicht, aber es interessierte ihn auch nicht. Er bemühte sich, den Text so schnell und fehlerfrei zu setzen, wie er konnte.
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