„Da waren’s nur noch fünf“, seufzte Itjen und stemmte die Hände in die Hüften.
„Ja“, stimmte ich ebenfalls seufzend zu. Ich schaute zu ihm auf. „Wenn das so weiter geht, sind wir bald doch wieder auf uns gestellt.“
„Das glaube ich nicht. Die Elfen bleiben mindestens.“
„Sicher?“
„So wie Elias dich gerade verteidigt hat, wirst du den nicht los. Und Ro wird seinen Kumpel nicht im Stich lassen. Er hätte Kjell folgen können, hat sich aber gegen ihn entschieden.“
„Und Vlad?“
Itjen zuckte mit den Schultern. „Der scheint mir fast zu faul, um aufs Pferd zu steigen und abzuhauen.“ Er grinste.
„Lass ihn das bloß nicht hören.“ Ich seufzte erneut. „Wir sollten zurückgehen. Ich muss nachschauen, ob ich Elias helfen kann.“
Itjen nickte und wir gingen zurück ins Haus und in die Küche. Vlad war gerade dabei Elias’ Hand zu behandeln. Ein Blick zeigte mir, dass es mit einem Verband nicht getan war.
„Das muss genäht werden, oder?“, fragte ich beim Näherkommen.
Der große Blonde schaute auf und nickte.
„So schlimm ist es nicht“, meinte Elias und schaute über die Schulter zu mir, ein kleines Lächeln auf den Lippen.
Ich erwiderte es nicht. „Es muss genäht werden, Elias“, sagte ich mit hörbarem Missfallen in der Stimme. „Das hätte nicht sein müssen.“
Er wandte sich wieder ab. „Tut mir leid“, sagte er und wirkte geknickt. Sein Tonfall ließ meine Wut sofort abflauen.
Ich ging zu ihm und setzte mich auf den Stuhl neben seinem. „Das war nicht gegen dich gerichtet. Ich meinte, dass Kjell das nicht hätte tun sollen.“ Ich deutete auf seine Hand. „Warum ist er so? Ich versteh ihn nicht.“
Der Blick des Elfen traf mich und das Lächeln war wieder da. „Er ist es nicht gewohnt, nicht das Sagen zu haben.“
Ich schnaubte. „Prima. Deswegen muss er so austicken?“ Abermals zeigte ich auf die Hand des Elfen, die Vlad nun nähte.
„Zur Zeit ist alles etwas außer der Norm“, warf Ro ein. So was Ähnliches hatte auch Orkun gesagt, erinnerte ich mich. „Fay, komm mal mit“, bat er mich dann, kam um den Tisch herum und zog mich hoch. „Du hast Ehlers Bibliothek noch gar nicht gesehen.“
Ich folgte ihm und er führte mich eine Etage tiefer in den Keller. Die Bibliothek war nur ein kleiner Raum mit wenigen Büchern, dafür aber mit umso mehr Handschriften. Viele große Papierstapel lagen in den Regalfächern. Gebunden hätten sie eine lange Reihe von dicken Bänden ergeben. Mehrere Rollen lagen in einem anderen Regal und auf dem Schreibtisch der mittig im Raum stand. An den Wänden hingen viele Karten, die die Welt, die einzelnen Kontinente oder nur Teile davon zeigten. In Haltern an den Wänden brannten Kerzen. Mein Blick blieb an ihnen hängen, denn sie flackerten nicht.
„Das ist eure Magie“, erklärte Ro. „Ehler hat sie mit einem Zauber belegt, damit sie nicht abbrennen, aber dennoch leuchten. Die Flammen sind auch nicht heiß, also wird’s nie gefährlich.“
Ich besah mir eine Kerze näher. „Wie hat er das gemacht? Die Energie für Elementarzauber liefern wir selbst so lange, wie wir den Zauber wirken. Wie kann er den Zauber aufrecht erhalten, wenn er nicht mehr da ist?“
„Hier“, der Elf deutete auf einen kleinen lilafarbenen Stein, der in die Kerze gedrückt worden war. „Es hat irgendwas damit zu tun. Über diesen Stein bezieht die Kerze ihre Energie. Ich weiß nicht, wie das geht, aber ich bin sicher, irgendwo hier steht was darüber.“
Ich schaute im Raum herum. „Hast du nicht gesagt, ihr habt das alles schon gelesen?“
„Nicht alles. Das Meiste, aber nicht alles. Vieles verstehen wir auch nicht. Wahrscheinlich ist es hüterspezifisch. Jedenfalls glaube ich, dass es dir helfen wird. Da es jetzt dir gehört, solltest du dich auch damit beschäftigen. Also, wenn du willst“, fügte er an und warf mir einen vorsichtigen Blick zu.
„Natürlich will ich“, gab ich ihm zurück. „Ihr denkt bestimmt, ich mache immer nur was mir passt, oder?“
„Na ja ...“
„Mache ich nicht. Damit das klar ist. Es gibt aber Dinge, die ich eben einfach nicht machen will. Ich gehe stark davon aus, dass auch du gewisse Abneigungen hast. Meine sind eben körperliche Auseinandersetzungen. Stell dir vor, ich kann auch tun, was man mir aufträgt. Was denkst du, wie ich meine Ausbildung durchgestanden hab? Sicher nicht, weil ich nur das gemacht hab, was ich wollte.“
„Ist ja gut. Es kam eben nur so rüber, als würdest du es nicht leiden können, wenn dir jemand sagt, was du zu tun hast.“
„Ich habe eurem Plan zugestimmt, oder? Ohne Gegenwehr“, erinnerte ich ihn und betonte dabei, dass es sich um deren Plan handelte, nicht um meinen. „Und ihr seid hier, obwohl es verboten ist und ich einen Schwur darauf geleistet habe, die Geheimnisse zu hüten. Ihr wolltet mitkommen, obwohl ich der Meinung war, dass es nicht nötig sei.“
Der Elf musterte mich nur.
„Und gib es zu, ihr hättet es auch getan, wenn ich mich komplett geweigert hätte.“
Er zuckte mit den Schultern. „Vermutlich.“
„Also.“ Ich hob die Hände. „Gut. Dann lass uns mal sehen, was Helmstedt so aufgeschrieben hat.“ Ich umrundete den Tisch und begann wahllos Aufzeichnungen zu mir zu ziehen. Dann ließ ich mich auf den staubigen Stuhl fallen und vertiefte mich in die Schriften.
Da die Kerzen nicht herunterbrannten und es kein Tageslicht gab, konnte ich die Zeit nicht abschätzen, die ich hier verbrachte. Irgendwann kamen Elias und Vlad nach unten und brachten Essen mit. Itjen hatte sich schon vor ihnen zu uns gesellt und las interessiert in Helmstedts Tagebüchern. Ich selbst hatte mit den Aufzeichnungen über die Magier und die Magie in Wisteria angefangen. Mein Vorgänger hatte tatsächlich brauchbare Informationen über diese Themen gesammelt. Es waren die Ersten dieser Art, die ich überhaupt in die Hände bekommen hatte. Kein anderer Hüter vor ihm hatte so viel über die Gruppen der Magiekundigen in Wisteria in Erfahrung gebracht.
Das Einzige was ich bis jetzt gedacht hatte zu wissen war, dass es zwei verschiedene Gruppen von Magiern gab, die das Mana jeweils unterschiedlich nutzten. Jetzt wusste ich, dass es nicht nur diese beiden großen Verbindungen gab, sondern neben ihnen auch unzählige kleine. Manche bestanden aus nicht mehr als ein paar Leuten, andere waren mehr Forscher als Magier. Es gab Gruppen, die sich auf Heilung spezialisiert hatten und Söldnermagier, ähnlich wie Ro und Elias. Jede Gruppierung hatte eine andere Art, das Mana zu nutzen, sie unterschieden sich jedoch kaum voneinander. Nur die beiden Größten und am stärksten verfeindeten, nutzten komplett verschiedene Arten.
Die die May als die Guten bezeichnet hatte, sammelten ihr Mana aus der Umgebung. Nur das was verfügbar war. Sie zogen es nicht aus Lebewesen oder der Erde heraus. Sie nahmen nur, was übrig blieb oder eben ihre eigene Kraft. Wenn zum Beispiel Sturm herrschte, dann nutzten sie diese Energie und speicherten sie. Im ersten Moment kam mir das schwach vor, denn sie waren immer darauf angewiesen, dass irgendwo etwas Mana für sie über war, wenn sie doch mal mehr brauchten. Doch dann las ich, dass sie der anderen großen Gruppe zahlenmäßig sehr weit überlegen waren. Und jedes einzelne Mitglied sammelte Energie, das dann für die gesamte Gruppe verfügbar gemacht wurde. Wenn einer also mal nichts fand, konnte er, dank der anderen, trotzdem große Zauber wirken.
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