Werwolf oder nicht?
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Von Blaublütern und Verweigerern
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Wolfswege
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Stefanie Worbs
Wolfswege
Band 1
Wolfswege
Amber
Werwolf oder nicht?
„Sie war da!“
„Niemand war da.“
„Ich habe sie doch gesehen!“
„Da war niemand. Ich hätte es doch bemerkt.“
„Aber ...“
„Schluss jetzt!“, fuhr Hakoon auf. „Du siehst Geister! Wenn da jemand gewesen wäre, hätte ich das gemerkt!“
Ryans Blick wurde ungläubig. „Vielleicht liegst du auch mal falsch?!“, entgegnete er seinem Freund und Rudelbruder genervt. „Du bist auch nicht unfehlbar!“
„Mag sein. Aber hier ist niemand außer uns. Lass uns gehen. Tavis wartet.“
„Koon!“
„Ich sagte, Schluss!“, zischte der Angesprochene. „Wir gehen!“
Ryan senkte den Blick zu Boden, während Hakoon sich umwandte. Er hatte sie gespürt und ihren Geruch wahrgenommen. Er war sich auch sicher, sie gesehen zu haben. Doch als er genauer nachschauen wollte, war sie verschwunden.
Ryan hatte den älteren Wolf sofort nach ihr gefragt. Koon war mit seinen besser ausgebildeten Fähigkeiten im Vorteil. Außerdem war er ihr Späher. Es war sein Fachgebiet, fremde Wölfe aufzuspüren. Vielleicht hatte Ryan sich aber doch getäuscht. Vielleicht war sie wirklich nicht da gewesen. Koon hätte es bemerkt, er hätte sie bemerkt.
Und trotzdem. Ryan wurde das Gefühl nicht los, dass da jemand gewesen war. Jetzt natürlich nicht mehr. Aber hinter seinen Augen kribbelte es seltsam, als wäre er müde, könnte aber nicht schlafen.
„Ry! Komm endlich!“
Ryan hob den Blick wieder. Hakoon hatte sich schon ein ganzes Stück entfernt, stand nun aber ihm zugewandt. Der Späher hob auffordernd die Hände und zog die Augenbrauen hoch. Ryan seufzte und setzte sich in Bewegung.
Kaum hatte er das getan, drehte auch der ältere Wolf sich um und lief weiter. Ryan musste rennen, um aufzuholen. Eine leichte Windböe wehte einen Geruch in seine Richtung. Er hatte Koon noch nicht ganz erreicht, blieb aber abrupt stehen und atmete tief ein. Das war sie! Das war ihr Duft! Sie war doch hier gewesen und sie war es noch, zumindest war sie nicht weit entfernt!
Ryan drehte den Kopf, um ihre Fährte aufzunehmen. Eine weitere Brise half ihm und schon wusste er genau, wo sie langgelaufen war. Er würde sie binnen weniger Minuten haben. In Wolfsgestalt sogar noch schneller. Ohne zu zögern, nahm er sie an. Seine Kleider fielen zu Boden, wo er eben noch auf zwei Beinen gestanden hatte. Kurz kämpfte er mit den Stoffen, dann hatte er sich befreit und rannte los.
Koons Ruf in den Ohren folgte er ihrer Fährte. Schon einen Moment später hörte er die leisen Schritte eines anderen Wolfs hinter sich. Sein Freund folgte ihm, doch Ryan achtete nicht darauf. Sie war jetzt seine Beute und seine Nase brachte ihn zu ihr.
Der Club, aus dem die beiden Jungs gekommen waren, war einer von mehreren am Stadtrand. Es war aber auch einer von der Art, in die sich nur Leute wagten, die nicht wirklich viel zu verlieren hatten. Die Rudel hingen dort rum, weil sie dort unter sich sein konnten.
Es verirrten sich natürlich auch Menschen in diese Gegend - was allerdings eher selten war - doch das war es gewesen, was Ryan hatte aufmerken lassen. Sie roch menschlich, aber irgendwie auch nicht. Ihr Geruch hing nun an verschiedenen Stellen auf seinem Weg. Wände, Mülltonnen, dem Gehweg selbst. Als wäre sie mehr getorkelt als gelaufen. Ryan überlegte, ob sie vielleicht betrunken war.
Er bog um eine Häuserecke und folgte ihrer Spur durch eine Gasse. Seine Pfoten patschten in Pfützen und das Wasser spritzte ihm bis an den Bauch. Dann wurde ihr Duft stärker und nun hörte er auch einen Herzschlag, keinen Wölfischen, sondern einen menschlichen. Trotzdem war er schneller, als er sein sollte. Noch eine Biegung, dann versperrte ihm ein Zaun den Weg. Wo war das Mädchen?
Ihre Fährte führte hierher, doch sie war nicht da. Koon kam hinter ihm zum Stehen und legte den Kopf schief. Er fragte damit, was Ryan hier wollte, doch der schaute sich weiter um.
Rechts an der Hauswand und nah am Zaun standen Kisten. Sie waren so hoch aufgestapelt, dass man mit ihrer Hilfe über den Zaun klettern konnte. Sie musste es getan haben und nun auf der anderen Seite sein.
Ryan ging hinüber und begann die Kisten hochzusteigen. Hinter ihm knurrte Koon missbilligend, doch er ignorierte es. Oben angekommen fand er augenblicklich, was er gesucht hatte.
Das Mädchen saß an die Wand des Hauses gelehnt, die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen. Er spürte Verzweiflung und Angst von ihr ausgehen. Leise und vorsichtig legte er sich hin und seinen Kopf auf die Vorderpfoten, den Blick wandte er dabei nicht von ihr. Eine erneute kleine Windböe wehte von ihr zu ihm und er erkannte jetzt eindeutig Wolfsgeruch. Doch er war unrein. Viel zu viel Mensch war darin. Seine Augen verengten sich.
Werwölfe verwandelten sich in der Regel im Alter von 13 oder 14, aller spätestens mit 15 und verloren dann diese Unreinheit. Sie hatte dieses Alter mit Sicherheit überschritten, doch noch immer roch sie, als hätte sie die Wandlung nie vollzogen. Hatte sie es vielleicht nicht?
Jetzt hob Ryan den Kopf doch wieder und musterte sie unverhohlen. Seiner Schätzung nach war sie vielleicht sein Alter, also Anfang 20. Es war schwer einzuschätzen, wegen des Dämmerlichts und ihrer Haltung. Sie wirkte krank und müde. Ihre Aura strahlte mehr als alles andere Hilflosigkeit aus.
Einem Instinkt folgend erhob Ryan sich, doch noch bevor er springen konnte, kippte das Mädchen nach vorn und auf die Knie. Ihre Finger hätten sich in den Boden gegraben, wäre er nicht aus Beton gewesen. Augenblicklich roch Ryan das Blut, doch sie schien es nicht zu bemerken. Die Stirn zwischen ihren verkrampften Händen auf den Boden gelegt, schien sie einen Aufschrei zu unterdrücken, der ihr einen Moment später doch entfuhr. Sie litt eindeutig Schmerzen.
Mit einem Satz war Koon neben ihm und schaute ebenfalls auf das Mädchen hinab. Sein Blick war verwirrt und ein leises Grollen drang aus seiner Kehle. Ryan schaute nicht weiter zu ihm, stattdessen entschied er, sich dem Mädchen zu nähern, und sprang von den Kisten über den Zaun. Er landete fast lautlos und senkte sofort den Kopf als Zeichen des Friedens, doch sie hatte ihn nicht mal bemerkt. Noch immer hockte sie auf Knien, doch den Kopf hatte sie nun nicht mehr am Boden.
Abermals legte Ryan sich nieder und kroch dann näher an sie heran. Sie keuchte schwer und der salzige Geruch von Tränen hing in der Luft. Es waren vielleicht noch drei Menschenschritte Abstand zwischen ihnen, als er sich mit einem leisen, kehligen Laut bemerkbar machte. Er hielt sofort inne, als sie auf und zu ihm schaute. Ihre Augen schimmerten vor Tränen und eine tropfte noch von ihrer Nase auf den Boden, als ihre Blicke sich trafen.
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