»Und wer muss diesen Höllenjob ausführen? Die Mannschaft?«
»Die Inspektion muss zwingend durch einen der nautischen Offiziere erfolgen. Jonkov, Björn und Igor ziehen jeweils Streichhölzer, um die arme Sau unter sich auszumachen. In den allermeisten Fällen zieht Björn das kürzeste Hölzchen. Wahrscheinlich bescheißt Jonkov bei der Verlosung. Und ich denke, Björn vermutet das auch längst.«
»Was vermute ich?«
Björn stand grinsend unter der Türe und strahlte die Männer am Tisch an. Seine Wache war zu Ende und er gesellte sich wie jeden Abend zu ihnen.
»Ach, nichts. Ich hab Jules nur von den Inspektionen in den Tanks erzählt.«
»Alles halb so wild«, meinte der Erste Offizier leicht hin und sein Gesicht strahlte dabei, »für richtige Männer mit Haaren auf der Brust, meine ich. Igor hat heute früher als üblich seine Wache begonnen. Keine Ahnung, warum der Kerl freiwillig Mehrarbeit leistet. Na, mir kann’s egal sein. Was trinkt ihr?«
»Wir verputzen die letzte Flasche 92er Port. Machst du mit?«
Björn setzte sich zu ihnen und die Männer stießen mit neu gefüllten Gläsern an.
»Weiß noch jemand eine Geschichte über Jonkov, die noch nicht alle von uns kennen?«, fragte Ikon dann in die Runde. Björn räusperte sich, so dass alle erwartungsvoll zu ihm hinblicken. Die Männer warteten auf eine weitere haarsträubende Erzählung des Ersten Offiziers, bei der am Ende immer Zweifel über den tatsächlichen Anteil an Wahrheit blieb.
»Wir waren im Winter unterwegs, ums Kap herum. Es war stürmisches Wetter«, begann der Erste Offizier. Seine Stimme war leise und er sprach langsam, so als müsste er sich die Einzelheiten der Begebenheiten erst mühsam in seinem Gehirn zusammensuchen.
»Ein Frachtschiff, die in Panama registrierte Eleonore mit fünfzigtausend Tonnen Zuladegewicht, kreuzte unsere Fahrtroute von Steuerbord kommend. Gemäß Seerecht hatte der Frachter also Vortritt vor uns. Doch statt die Geschwindigkeit zu drosseln oder einen etwas spitzeren Winkel zu fahren, befahl der Kapitän, stur geradeaus zu halten und die Eleonore einfach zu ignorieren. Auf dem Frachter musste wohl der Bruder von Jonkov als Kapitän Dienst getan haben, denn auch dieser Idiot wich keinen Strich von seinem ursprünglichen Kurs ab und verringerte auch seine Fahrtgeschwindigkeit um keinen Deut. Eigentlich hatte ich damals Wache. Doch der Kapitän blieb die ganze Zeit über neben mir stehen, so dass ich nichts unternehmen konnte. Ein paar Mal hab ich ihn um Erlaubnis gebeten, wenigstens Funkkontakt zum anderen Schiff aufzunehmen. Doch Jonkov lehnte strickte ab. Wozu sollte das gut sein?, meinte er teuflisch lächelnd, wir sind eh schneller als der Winzling und darum besteht für uns auch keinerlei Gefahr. Und so liefen die beiden Schiffe unausweichlich aufeinander zu. Am Ende behielt die Daisy knapp die Nase vorn und passierte den Schnittpunkt etwa fünfhundert Meter früher als die Eleonore. Jonkov jedoch war trotz der stürmischen See auf den Steuerbordausleger getreten, wo ihn die Böen hin und her beutelten. Als er sah, wie der kleine Frachter durch die wilden Turbulenzen unserer Heckwellen schneiden musste und dabei kräftig durchgeschüttelt wurde, klopfte er sich vor Freude auf die Schenkel. Ich sag euch, irgendwann versenkt uns der Kapitän mit seinen sturen Gehabe noch. Doch Jonkov ist nun mal der Kapitän und solange die Reederei ihn auf seinem Posten belässt, sind seine Anordnungen einzuhalten.
»Und du lässt das einfach so mit dir machen?«, fragte ihn Jules Lederer staunend.
»Natürlich. Er ist der Kapitän.«
»Und wenn er dich und die Besatzung mit seinem dummen Verhalten umbringt?«
»Auch dann bleibt er mein Vorgesetzter.«
»Das ist doch Irrsinn, Björn?«
Eindringlich sah er Engsholm an.
»Nein, das sind die eisernen Regeln an Bord eines Schiffes. Weißt du, Jules, wenn du als Offizier auf See ein einziges Mal gegen die Anordnungen deines Kapitäns handelst, dann wirst du niemals in deinem Leben ein Schiff führen. Das gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen zwischen den Reedereien und den obersten Offizieren auf See. Wenn ich also irgendwann einmal selbst als Kapitän auf einem Tanker oder Frachtschiff unterwegs sein will, muss ich mich an diese Bestimmung zwingend halten.«
Fassungslos sah der Koch den Ersten Offizier an. Von Björn hatte er also keine Unterstützung zu erwarten, falls er gegen den Kapitän vorgehen musste. Und Jules hatte so eine Ahnung, dass sie bestimmt noch heftig aneinandergeraten würden.
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