Kendran Brooks
Il Principio
8. Abenteuer der Familie Lederer
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Inhaltsverzeichnis
Titel Kendran Brooks Il Principio 8. Abenteuer der Familie Lederer Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorgeschichte
Heimat
Stolz
Heimat?
Ehre
Feindschaft
Entscheidungen
Fortschritte
Ankunft
Impressum neobooks
»... und darum müsste ihr, als gläubige Kinder Allahs, eure Haare und auch eure Gesichter vor den Blicken der Männer verbergen. So verlangt es der Prophet. Ich erwarte von euch, dass ihr von morgen an im Niqab zur Schule kommt.«
Mohammed al-Barani blickte sich selbstsicher und zufrieden in seinem Klassenzimmer um, schaute dabei keines der Vierzehnjährigen Mädchen direkt ins Gesicht, sondern überflog ihre Köpfe, sah die bunten Tücher mit viel Wohlwollen, störte sich an den wenigen, dunklen Haarschöpfen dazwischen.
In der Dorfschule von al-Busayrah, einem Provinznest im Osten von Syrien, war man sunnitisch, nicht schiitisch und schon gar nicht alawitisch oder christlich, lebte Gott gefällig und nicht lästerlich, wie die Machthaber in der sündigen Hauptstadt Damaskus. Mohammed al-Barani war nicht nur Lehrer, sondern auch Imam in der nahen Moschee, verband den Dienst an der Bildung mit dem Dienst für Allah, wusste um sämtliche Sünden und Verfehlungen der Menschen, kannte ihren Preis im Jenseits.
Unwirsch zogen sich seine Augenbrauen zusammen, als er ganz hinten, in der linken Ecke des Raumes und nahe der Türe zum Flur, seine Schülerin Sheliza zögerlich ihre Hand heben sah, diese kleine, hellbraune Hand, die dem gottesfürchtigen Mann schon immer zu wohlgeformt schien, zu gepflegt, mit zu langen Fingernägeln, eine Hand wie die Versuchung selbst.
»Ja…«, nickte er dem Zeigefinger auffordernd zu, der sich aus der kleinen Faust des Mädchens keck emporgereckt hatte, »…hast du dazu eine Frage, Sheliza?«
Die junge Alawitin lebte noch nicht lange in al-Busayrah, kam erst vor zwei Jahren mit ihren Eltern hierher. Eine Erbschaft war der Grund gewesen, ein großes Hofgut mit mehr als sechshundert Hektar fruchtbaren Bodens, das mehr als einem Dutzend Familien Lohn und Brot gab. Doch das schlanke, feingliedrige Mädchen war Mohammed al-Barani vom ersten Tag an nicht ganz geheuer gewesen. Denn als er sie das erste Mal und als Zwölfjährige auf dem Schulhof erblickt hatte, da war sie bei seinem Auftauchen genauso wie er abrupt stehen geblieben, hatte ihn stumm, aber offen angesehen, hatte ihn mit einem klugen, prüfenden Blick und ihren so unangenehm wissenden Augen angeschaut und ihn durchdrungen. Sie schien in seinem Innersten wie in einem aufgeschlagenen Buch lesen zu können und hatte darin bestimmt alles über seine alte Schuld erfahren, diese Sünde, die von niemandem jemals vergeben werden konnte, selbst nicht von Allah.
»Entschuldigen Sie, werter Herr Lehrer al-Barani, doch können Sie uns bitte erklären, welcher Vers des heiligen Buches die Verhüllung der Frauen fordert?«
Einige ihrer Klassenkameradinnen kicherten leise, wandten sich ihre Gesichter zu und grinsten einander verschmitzt an. Die Saat dieser Frevlerin Sheliza war längst am Keimen, nicht nur hier im Klassenzimmer, sondern in der gesamten Schule. Oder lachten diese einfältigen Mädchen etwa nicht ihn aus, den Lehrer, sondern die vorlaute Sheliza? Dieses alawitische Mädchen aus der Hauptstadt? Diese Vierzehnjährige, die so gar nicht zu ihnen und in diese ländliche Gegend passte?
Mohammed al-Barani atmete tief ein und langsam wieder aus, beobachtete sich dabei selbst und war höchst zufrieden mit seiner strahlenden Selbstsicherheit und der nach außen hin bestimmt gut sichtbar getragenen Ruhe.
»Nun, du findest in Sure 33 Vers 59 die Antwort, Sheliza. Lies den Vers zu Haus ruhig nach, dann wirst du verstehen.«
Seine Augen wanderten bereits wieder von der Zimmerecke weg, schwenkten hinüber zur Fensterfront nach rechts, wollte seine Schülerinnen schon im nächsten Moment verabschieden und sie in die zweistündige Mittagspause entlassen. Doch da war wieder diese kleine, hellbraune Hand und der keck daraus emporgestreckte, schlanken Zeigefinger mit dem viel zu langen Nagel, wie er aus den Augenwinkel heraus erkannte. Kalt blickte der Lehrer hinüber, fixierten das Mädchen und nickten ihm auffordernd aber stumm zu, diesmal vielleicht eine Spur weniger selbstsicher als zuvor, dafür mit einem grimmigen Zug um die Mundwinkel.
»Aber werter Herr Lehrer al-Barani«, begann diese freche Göre aus Damaskus ihre Gegenrede, »ich kenne diesen Vers längst auswendig. Darin spricht Mohammed doch von der Djilbab, einem Kleidungsstück, dessen Form wir heute gar nicht mehr kennen. Wie sollen wir also wissen, ob er damit tatsächlich das Verbergen der Haare und die Verschleierung des Gesichts gemeint hat? Und weshalb…«, wollte die aufmüpfige Schülerin ergänzen, wurde von ihrem Lehrer jedoch barsch unterbrochen.
»Die Form des Kleidungsstücks spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, denn der Prophet spricht eindeutig von der Verhüllung des Kopfes und des Gesichts. Oder ziehst du das etwa in Zweifel?«
Sheliza senkte einen Moment lang ihren Blick, demütig, wie es dem Propheten gefiel. Doch schon hob sich ihr Antlitz erneut, schaute den Lehrer und Imam aus dunkelbraunen Augen stürmisch zwingend an.
»Aber der Prophet verwendet doch das Verb udina , und das bedeutet doch gar nicht verhüllen oder über sich ziehen , sondern bloß nahebringen ? Und Mohammed verspricht sich von der Djilbab vor allem, dass man die Frauen damit leichter erkennen kann, damit sie nicht belästigt werden. Vielleicht wollte der Prophet mit seiner Anweisung bloß erreichen, dass man die Frauen schon von Weitem an ihrer Figur, von ihrer Körperform her, erkennen kann?«
Die Augen des Lehrers hatten sich geweitet und er staunte das freche Mädchen einen Moment lang fassungslos und mit offenem Mund an.
»Wie kannst du es wagen, die Worte des Propheten nach deinem Gutdünken auszulegen? Und wie kannst du an der viele Jahrhunderte alten Auslegung der Verse zweifeln? Denn schon immer galt das Gebot der Verschleierung, schon zu Lebzeiten von Mohammed, dem Propheten Allahs.«
Die so zornig gesprochenen Worte von al-Barani verfehlten die von ihm erwartete Wirkung. Sie erzeugten bei der Empfängerin bloß ein Stirnrunzeln, das ihr auch noch ausgesprochen gut ins Gesicht stand, wie dem Lehrer bewusstwurde. Er würde sich für diesen unliebsamen Gedanken später hassen.
»Sie beziehen sich bestimmt auf die Auslegung des Verses durch Abd Allāh ibn ʿAbbās, Herr Lehrer. Doch der war doch Richter und gar kein Schriftgelehrter.«
»Jedoch ein Vetter des großen Propheten, du naseweises Kind. Und er trägt den Beinamen habr al-umma, Gelehrter der Umma. Auch hat Mohammed seiner Auslegung des Verses nie widersprochen. All das wüsstest du, wenn du die Schriften besser studiert hättest.«
»Aber Herr Lehrer, der Titel von Abd Allāh ibn ʿAbbās lautete nicht habr al-umma al-islāmīya. Und so war er nur ein weltlicher Richter, kein geistlicher…«, verteidigte sich die Vierzehnjährige gekonnt, schien nun ebenso aufgebracht wie ihr Lehrer.
»Willst du etwa den Zorn Allahs auf dich lenken, Unglückliche?«, herrschte der sie nun mit zornig funkelnden Augen an. Doch die Wut erlosch in ihnen ebenso rasch, wie sie darin hochgekocht war, »aber ich will mich nicht mit dir streiten, dummes Kind«, fuhr er sanfter fort, »denn du findest die erklärenden Anweisungen des Propheten auch in Sure 24 im Vers 31. Dort steht geschrieben, die Frau müsse ihre Augen vor dem Blick der Männer senken, um keusch zu bleiben. Und vergiss nicht Sure 33 Vers 53. Dort wird der Frau direkt befohlen, einen Gesichtsschleier zu tragen, wenn sie mit fremden Männern spricht.«
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