Muller nickte, wirkte gleichmütig.
»Das war bereits Ihre vierte Frage, Mister Lederer«, stellte er dann aber klar und nahm Jules die Gesprächsführung elegant aus der Hand.
»Ich kannte auch Ihren Vorgänger, diesen Heinz Keller.«
»Heinz war bei Ihnen?«
Jules Alarmglocken begannen zu schrillen.
»Nein, ich habe ihn nie persönlich getroffen. Heinz Keller war, wie soll ich es am besten ausdrücken…?«, Jules zweifelte keinen Moment daran, dass Muller sich seine Worte längst zurechtgelegt hatte und bloß rhetorisch mit ihm und der Situation spielte, »er war so unbedarft, der junge Mann, so stürmisch und von sich selbst überzeugt.«
Jules sah seinen früheren Kollegen und Trainingspartner vor sich, erinnerte sich an ihr letztes Telefongespräch.
»Heinz wollte meistens mit dem Kopf durch die Wand.«
»Sie sagen es, Mister Lederer, Sie sagen es. Leider ließ sich Ihr Herr Kollege gar nicht raten.«
»Sie haben ihm Ihre Hilfe angeboten?«
Muller nickte, wirkte sogar ein wenig bekümmert.
»Ja, als ich von seinen Problemen erfuhr, ließ ich Kontakt zu ihm aufnehmen.«
»Doch Heinz lehnte ab?«
Wieder das zustimmende, stumme Nicken des Anwalts.
»Wie viel kostet denn Ihr Ratschlag?«, wollte Jules nun Gewissheit haben.
»Achthunderttausend amerikanische Dollar«, gab Muller, ohne mit der Wimper zu zucken zurück.
»Und sämtliche Probleme lösen sich mit der Zahlung dieser Summe für uns in Luft auf?«, fragte Jules ungläubig zurück, denn achthunderttausend waren weniger als zehn Prozent der Kaufsumme der Hotels und weniger als ein Drittel der Forderung der Erpresserbande.
»Ja, selbstverständlich, Mister Lederer«, meinte der Anwalt gelassen und saß dabei unerschütterlich ruhig hinter seinem breiten Mahagoni-Schreibtisch.
»Und warum hat Heinz nicht …?«, der Schweizer schien ratlos.
»Wie gesagt, Mister Lederer, es kam nie zu einer Unterredung. Ihr Kollege zog es vor, wie beschrieben Sie es eben? He wanted to break through walls with his head ?«
Diesmal nickte Jules, jedoch nicht nur zustimmend, sondern überaus grimmig.
*
In den nächsten Tagen telegraphierte Jules mit Zürich und Washington, erhielt die Zusage für die Achthunderttausend, leitete die Überweisung des Betrags auf ein Konto von Muller ein. Welche Fäden im Hintergrund gezogen wurden, das erfuhr der Schweizer nicht. Doch der US-Investor kam eine Woche später nach Port-au-Prince, unterzeichnete ein paar Verträge und flog noch am selben Abend zurück nach New York. Nicht einmal bedankt hatte er sich bei Jules. Für ihn war das Haiti-Geschäft reine Routine, ein unwichtiger Nebenschauplatz seiner Geschäfte. Und zur Beseitigung jeglicher Probleme bezahlte er schließlich Lenz & Karrer. Jules blieb nach der Verabschiedung des Amerikaners noch ein paar Minuten bei Muller sitzen.
»Nun werden Sie wohl bald nach Europa zurückfliegen?«
Der Anwalt hatte für Jules und sich selbst zwei Gläser mit französischem Cognac gefüllt und dem Schweizer eines davon gereicht. Sie nickte einander zu, schnüffelten befriedigt den verführerischen Duft ein und nippten kurz am Rand.
»Ich habe es nicht eilig«, beantwortete Lederer endlich die Frage.
»Sie denken doch nicht etwa an Rache?«
»Eher an Gerechtigkeit.«
Der Anwalt lachte kurz und trocken auf und lehnte sich dann im schweren Ledersessel zurück, zog die hochgerutschte Weste ein Stück nach unten, beugte sich dann wieder nach vorne.
»Das Schicksal Ihres Kollegen tut mir ehrlich leid, Mister Lederer. Doch Gerechtigkeit lässt sich in dieser Frage wohl kaum herstellen.«
»Sie wissen, wer ihn ermorden ließ?«
Muller nickte zustimmend, sein Gesicht blieb allerdings gleichgültig.
»Ein unbedeutendes Führungsmitglied einer ansonsten recht nützlichen Schlägerbande. Er überschritt seine Kompetenzen und wurde dafür bereits bestraft.«
»Und wie, wenn ich fragen darf?«
»Man hat ihm die linke Brustwarze abgeschnitten, als Zeichen dafür, dass er sein Herz einer falschen Sache gewidmet hat.«
Jules spürte, wie ihm bei der bildlichen Vorstellung der Bestrafung etwas flau im Magen wurde und er nippte rasch vom Glasrand einen weiteren Schluck Cognac, sah Muller daraufhin wieder fest an.
»Ein Leben für einen Nippel?«, fragte er dann den Anwalt erneut angriffslustig geworden. Der zuckte mit den Schultern, »Aug um Auge erschien uns wenig sinnvoll. Denn so ist der Mann uns weiterhin nützlich.«
»Heinz war ein guter Kollege von mir.«
»Aber kein Freund«, konterte Muller, »das spürte ich von Anfang an.«
»Um ehrliche zu sein, ich kenne keine Freunde, Mister Muller, wenn Sie mich so direkt fragen.«
»Das ist sehr schade, Mister Lederer. Erst eine echte Freundschaft bringt die besten Eigenschaften von uns Menschen zum Ausdruck.«
»Oder die schlimmsten«, konterte nun Jules und der Anwalt nickte amüsiert.
»Was würde Ihrer Meinung nach geschehen, wenn ich den Kerl ausfindig mache und ihn für die Ermordung meines Kollegen bestrafe?«
»Man würde Sie ohne Zweifel verhaften, des Mordes anklagen, verurteilen und für viele Jahre einsperren.«
»Und abgesehen von der Polizei und der Justiz?«
Muller verstand sehr gut, worauf der Schweizer zielte.
»Sie sind mir sympathisch, Mister Lederer. Falls Sie den Mörder Ihres Kollegen tatsächlich zur Rechenschaft ziehen wollen, so halten wir uns heraus. Wenn Sie sich jedoch dabei erwischen lassen, so sollten Sie nicht mit meiner Hilfe rechnen. Für Dummheiten ist der Staat zuständig.«
»Danke, Mister Muller, auch Sie werden mir bei jedem unserer Treffen sympathischer. Dann hätte ich nur noch eine Bitte.«
Der Anwalt hatte sich wieder bequem im Sessel zurückgelehnt, beugte sich nun aber wieder erwartungsvoll nach vorne.
»Könnten Sie bitte dem Mörder meines Kollegen ausrichten lassen, dass ich ihn suche und bestrafen will?«
Die Augen von Muller blitzten kurz auf, bevor er lächelnd nickte.
*
Mehrmals hatte Jules in diesen Tagen die Miracles Bar und Nelson Joanne Larue aufgesucht. Meistens saßen die beiden jungen Aufpasser an ihrem Tischchen im hinteren Teil des Lokals, kümmerten sich scheinbar um nichts. Oft waren auch Einheimische zugegen, tranken ihr Bier oder mal einen Rum, ganz selten einen Cocktail, so wie Jules jedes Mal. Mit der Barbesitzerin hatte er sich weiter angefreundet, machte immer wieder den Versuch eines echten Flirts, bekam aber stets die kalte Schulter der aparten Frau von Mitte dreißig gezeigt. Selbstverständlich fanden sich in den Straßen und Gassen der Hauptstadt immer hübsche Dinger, die durchaus Interesse an einem Flirt oder mehr mit einem reichen Touristen zeigten. Doch auch in diesem Punkt hatten Lenz & Karrer vorgesorgt und auf die hohe Aids-Rate bei den Prostituierten des Landes deutlich hingewiesen.
Im Verlauf der letzten vier Jahre konnte Jules auch einiges an Erfahrung mit wesentlich älteren Frauen sammeln. Viele waren auf der Suche, kurz nach einer Scheidung oder Trennung oder einem Todesfall, hatten vielleicht Jahre an der Seite eines in jeder Beziehung alten Sacks vergeudet, spürten große Angst, zu viel in ihrem Leben bereits verpasst zu haben, waren deshalb bereit, sich kopfüber in eine Affäre mit ihm zu stürzen, um sich noch einmal völlig verlieren zu dürfen, um sich noch einmal begehrt zu fühlen. Die Vorteile des Alters waren auch nicht unerheblich für einen jungen Mann wie Jules. Denn jüngere Frauen verbaten sich mittlerweile konsequent jeden Sex ohne Kondom, fürchteten sich meist sogar vor dem Blasen ohne Gummi. Frauen ab vierzig hingegen kannten kaum Angst vor ansteckenden Krankheiten, kümmerten sich nicht weiter um den Aids-Virus, hatten die letzten Jahre der allgemeinen Panik in einer treuen Partnerschaft verbracht, waren in dieser Zeit verblüht und fühlten sich längst abgestorben, empfanden das spontane Kennenlernen eines weitaus jüngeren, attraktiven und sehr höflichen Mannes wie ein Elixier, das sie wieder zum Leben erwecken sollte. In diesen Momenten gab es keinen Raum für Furcht oder Vorsicht. Womöglich war ihr Verhalten sogar auf biologisch tief verankerte Instinkte zurückzuführen? Das Überlebenssystem der Natur blendete Vernunftgründe zum eigenen Schutz und Überleben doch bei allen Tierarten regelmäßig aus, nur um die Vermehrungsrate zu sichern. Warum sollte dies bei Menschen anderes sein?
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