Lange reichte sein Geld tatsächlich nicht mehr aus. Und ein Telegramm aus Zürich hatte ihn erst gestern erreicht. Darin stand die unmissverständliche Anordnung von Lenz & Karrer, so rasch als möglich in die Zentrale zurückzukehren.
Als er an diesem Abend zu Emanuela Grandis und ihrem Bed & Breakfast zurückkehrte, wartete Nelson Joanne vor dem Eingang auf ihn. Sie wirkte angespannt und nervös, war zuvor wohl auf und ab gegangen, wie ein Tiger im zu engen Käfig.
»Jules«, rief sie aus, als sie ihn im Halbdunkel der wenigen Straßenlaternen endlich erkannt hatte, »Gott sei Dank.«
»Was ist denn los?«
»Sie suchen nach dir. Zwei Kerle waren auch in meiner Bar, wollten wissen, wo man dich finden kann. Sie haben Roberto und Chaves verprügelt und mich bedroht. Ich hab aber nichts verraten.«
»Und sie sind dir auch nicht hierher gefolgt?«
Jules hatte die beiden Männer längst entdeckt, die aus einer dunklen Nebengasse getreten waren und sich ihnen zielstrebig näherten. Er blickte Nelson Joanne lächelnd an und nickte zu den Kerlen kurz hin, worauf sie sich ihnen zudrehte.
»Das sind die beiden Männer«, ihre Stimme klang erschrocken, beinahe panisch und sie sah Jules wild an, »renn weg!«
Doch Jules dachte nicht einen Moment lang an Flucht, da er keinerlei Waffen in den Händen der beiden Kerle erkennen konnte. Sie waren sehr dunkelhäutig, nur mittelgroß aber äußerst kräftig gebaut und von gedrungener Gestalt. Sie blickten ihm grimmig entgegen, aber nicht etwa zornig oder hasserfüllt, erledigten wohl bloß einen Job, mit dem sie beauftragt worden waren. Jules entdeckte erst mit Verspätung die Schlagringe an ihren Fäusten. Der eine trug seinen rechts, der andere links. Als sie näherkamen, trennten sie sich, wollten den Schweizer ganz offensichtlich in die Zange nehmen. Jules wich rückwärtsgehend zurück und damit weg von Nelson Joanne und dem Eingang zum Bed & Breakfast. Die beiden Männer passten sich sogleich seiner Bewegung an. Ihre Körper waren angespannt, erwarteten vielleicht die Flucht ihres Opfers, wollten es womöglich sogar in eine bestimmte Richtung treiben? Dort, wo der Mörder von Heinz Keller wartete?
Jules tat ihnen den Gefallen nicht, sondern ging zum Angriff über, rannte direkt auf den einen los, sprang drei Meter vor ihm in die Luft, die Füße voran, traf den Überraschten voll auf die Brust, so dass der sich nach hinten überschlug, während der Schweizer geschmeidig wie eine Katze auf allen Vieren auf dem Boden gelandet war, sich sogleich wieder hochgestemmt hatte und nun den zweiten erwartete. Dieser schlug mit seiner unbewaffneten Rechten eine Finte, um sein Opfer anschließend mit dem Schlagring an der linken Hand zu erwischen. Doch Jules hatte nicht nur die vorstoßende Rechte mit seinem linken Unterarm geblockt, sondern auch den Schwinger der Linken mit seiner rechten Hand abgefangen, stieß gleichzeitig mit seinem Kopf vor, knallte seine Stirn in das breite Gesicht des Haitianers, zertrümmerte krachend dessen Nase und spaltete dessen Oberlippe. Der Mann taumelte ein paar unbeholfene Schritte zurück, war nicht ausgeknockt, jedoch angeschlagen und der Schweizer ließ ihm keine Chance mehr, setzte sogleich nach, knallte dem kurzzeitig Wehrlosen die Faust auf den Gurgelknoten. Der Dunkelhäutige ächzte und begann zu röcheln, sah den Schweizer aus hervorquellenden Augen an und setzte sich auf seinen Hosenboden, legte sich dann sogar hin, weil ihm jeder Atem fehlte, wurde bewusstlos.
Fast gemächlich wandte sich Jules wieder dem ersten Angreifer zu, der sich aufgerappelt hatte und mit staunendem Blick seinen wie tot am Boden liegenden Kollegen betrachtete.
»As-tu assez? Tu veux aller dormir comme ton confrère?
Der Mann hob seine Hände wie zur Abwehr und wich von ihm weg, wirbelte dann herum und rannte fort. Jules ging die paar Schritte zurück zu Nelson Joanne.
»Du bist nicht sicher hier. Komm mit hinein. Madame Grandis wird dir ein Taxi rufen.«
Er führte die Barbesitzerin ins Haus und drückte die Eingangstüre hinter sich ins Schloss. Da drängte sich Nelson Joanne plötzlich an ihn, presste ihren Körper an seinen und ihre Lippen fanden einander. Wahrscheinlich wurde die Frau von ihren Gefühlen nach der überstandenen Gefahr überwältigt. Ob das in ihre Blutbahn eingeschossene Adrenalin dafür verantwortlich war oder ob die Barbesitzerin eine perverse Neigung für Gewalt besaß, mochte Jules nicht entscheiden, während sich ihre Zungen fanden, liebkosten und umspielten und er vom starken Moschusduft ihres Parfüms umhüllt wurde. Doch er sollte es noch in dieser Nacht herausfinden.
*
Sie stellte sich als die von ihm erwartete, sehr erfahrene Liebhaberin heraus, forderte alles von ihm, gab ihm genauso viel zurück. Jules und Nelson Joanne harmonierten vom ersten Moment an, steigerten ihre Erregung im Gleichklang. Trotzdem kam Jules zuerst, japsend und nach Luft schnappend, nach seinem minutenlangen Stakkato seines Beckens, zu dem sie ihn angestachelt und immer wieder angefeuert hatte. Wahrscheinlich bemerkte sie es im ersten Moment noch gar nicht, hörte jedenfalls mit der Gegenbewegung ihres Beckens nicht auf, forderte mehr und mehr von ihm. Und Jules gab ihr alles, was er nur konnte, bis auch sie aufstöhnend kam, mühsam ihre Schreie unterdrückend und heftig aufbäumend ihre Finger ins Laken krallend. Jules presste sich weiterhin auf ihren Körper, bewegte sein Becken im selben Rhythmus weiter, bis sie unter ihm zuerst zu zittern und dann zu schlottern begann, als sich ihre lustvolle Anspannung langsam löste. Gesprochen hatten sie die ganze Zeit über kein Wort, weder ein Liebesgeflüster noch Anfeuerungsrufe. Zu intensiv empfanden wohl beide diese Begegnung, schicksalsträchtig verbunden in den Momenten der vollkommenen Lust, der Selbstaufgabe, des reinen Spürens und Schmeckens des anderen.
Auch Licht hatte sie keines angemacht und so lagen sie nebeneinander in der Dunkelheit, hielten sich an den Händen, entspannten sich, kamen zur Ruhe, schwiegen weiterhin, aber nicht vor Scham oder Selbstvorwürfen, sondern aus purem Genuss. So jedenfalls empfand der Schweizer, auch wenn er sich selbst eingestand, dass ihn an Nelson Joanne vor allem ihre Eroberung gereizt hatte und er mit keinem Gedanken an eine längere Beziehung dachte. Und so hoffte Jules, dass es der Frau ähnlich erging, dass sie in ihm auch bloß den interessanten Zeitvertreib sah, eine weitere Trophäe in einer mit Sicherheit sehr langen Reihe ähnlicher Begegnungen. Sie legte sich plötzlich und mit einer gleitenden Bewegung auf ihn drauf, war mit ihrem Gesicht dem seinen auf einmal ganz nahe.
»War das etwa schon alles?«, gurrte sie leise und schloss den Satz mit einem spöttischen, auffordernden Lachen ab. Er umfasste mit seinen Armen ihren Oberkörper, presste ihn an sich, fand ihren Mund und küsste ihn.
»Aber diesmal liege ich unten und du kannst die Hauptarbeit leisten«, forderte er sich leise lachend auf. Und Nelson Joanne ging sogleich darauf ein, wand sich aus seinen Armen und setzte sich rittlings auf seine Oberschenkel, begann seinen Penis zu streicheln und massieren, hockte sich dann auf ihn drauf, sobald er hart genug war, begann auf und ab zu hüpfen, in einer lüsternen, alles verzehrenden Weise, so als wäre sie am Verhungern, als müsste sie eine viele Jahre lang dauernde Sehnsucht in dieser einen Nacht befriedigen. Jules ließ es sich gerne gefallen, ging mit ihrem Rhythmus mit, packte irgendwann zu und hielt sie fest, stieß von unten mit seinem Becken auf und ab, drang so tief als ihm möglich in sie hinein, fühlte ihr Zittern und Beben und strengte sich doppelt an, spürte, wie er bereits wieder kurz vor dem Abspritzen stand, wollte es aber weiter hinauszögern, verringerte rasch seine Kadenz, konnte den Samenerguss trotzdem nicht mehr verhindern, spritze in sie hinein, zweimal voller Lust, das dritte, vierte und fünfte Mal bereits unter zunehmend ziehenden Schmerzen in seinem Hodensack, der völlig leergepumpt schien. Erst als er sich entspannte, spürte er, dass auch Nelson Joanne im selben Moment wie er gekommen sein musste, spürte ihre immer noch bebende Bauchdecke auf der seinen, fühlte ihre schweißnasse Haut auf seinem Körper.
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