Man lebte am Rand des Comanchengebietes und in der angespannten Lage der letzten Jahre war dies kein geringes Risiko. Der nächste größere Armee-Stützpunkt war Fort Belknap und dieses lag fast hundert Meilen entfernt im Südosten. William Gordon achtete daher sehr streng darauf, dass man den Indianern mit Respekt und Fairnis begegnete.
Bislang gelang es, den Frieden aufrecht zu erhalten. Immer wieder kamen einzelne Krieger oder kleine Gruppen nach Grand Forks und trieben dort Handel. Sie brachten Felle, Pelze und auch indianische Stickereien in den General Store der Familie Kleinschmitt. Diese riefen stets den alten Gordon, der den Wert der Sachen einschätzte und den Indianern, im Gegensatz zu vielen anderen Händlern, einen fairen Preis machte. Gordon verkaufte oder tauschte Glasperlen, Mehl, Zucker und Kaffee, Tabak, Munition und auch Gewehre. Es waren überwiegend ältere Waffen aus dem amerikanisch-mexikanischen Krieg, aber hin und wieder war auch eine moderne dabei. Gute Messer aus erstklassigem Stahl waren bei den Comanchen sehr beliebt. Gordon wusste, dass ein solches Messer für die Indianer ein wichtiges Hilfsmittel darstellte.
Es gab Indianer, die nach Feuerwasser verlangten, doch hier war eine Grenze, die Gordon nicht überschritt. Nicht alleine, weil man wusste, dass die Indianer keinen Alkohol vertrugen und dann leicht aggressiv werden konnten, sondern weil Grand Forks tatsächlich eine Gemeinde von Abstinenzlern war. Gordon und Peabody waren tief religiös und erachteten Alkohol als Sünde. Eine große Enttäuschung für jene Reisenden, die hier Rast machten und auf ihren üblichen Whiskey hofften.
Einen halben Tagesritt entfernt lag die nächste Gemeinde. Ruckerford war einige Jahre jünger, begann Grand Forks jedoch allmählich, hinsichtlich der Einwohnerzahl und Ausdehnung, zu übertreffen. Größtenteils war dies dem Umstand zu verdanken, dass die jüngere Siedlung direkt an der Überlandlinie der Postkutsche lag, die dem alten Santa Fe Trail folgte. In Ruckerford pausierten gelegentlich Frachtzüge und Siedlertrecks. Aus diesem Grund gab es auch eine Poststation, ein Telegrafenbüro und sogar einen Sheriff.
Der Kontakt zwischen beiden Gemeinden war freundschaftlich. Man war Nachbar und teilte die Gefahr des Indianergebietes. Die guten Kontakte zwischen Grand Forks und den Comanchen waren bekannt. Gelegentlich suchte Sheriff Curtland den Rat von Town Mayor Gordon, wenn er befürchtete, dass Indianer in einen Vorfall verwickelt waren.
An diesem Tag ritt Sheriff Samuel Curtland mit einem seiner Deputies nach Grand Forks. Curtland war groß und hager, und obwohl er erst in den mittleren Jahren war, wirkte sein Gesicht von Wind und Wetter gegerbt. Er hatte sein Leben als Cowboy im Sattel verbracht, doch nach einem schweren Sturz, bei dem er sich einen Arm brach, konnte er das Lasso nicht mehr richtig schwingen. Man wählte ihn eher zufällig zum Sheriff von Ruckerford und es zeigte sich, dass dies zu beiderseitigem Vorteil war. Curtland war kein heißblütiger Mann. Er verstand es zu vermitteln und sich durchzusetzen.
Die beiden Gesetzeshüter folgten der bescheidenen Hauptstraße von Grand Forks. Aus der Townhall konnten sie die Stimmen von Kindern hören, die gerade dabei waren, ein Gedicht auswendig zu lernen. In der Stadt waren nur wenige Männer zu sehen. Die meisten gingen der täglichen Arbeit auf den Feldern, den Weiden oder beim Holzeinschlag nach.
Curtland trabte zum General Store, wo er absaß und die Zügel des Pferdes um den Holm legte. Sein Begleiter blieb bei den Tieren, während Curtland die zwei Stufen des Vorbaus hinauf ging und dann den Laden betrat.
Wie die Bezeichnung General Store schon besagte, gab es hier fast alles, was man zum Leben im Westen benötigte. Lebensmittel, Kleidung, Stoffe, Haushaltsgerät, Werkzeuge und sogar drei Gläser mit Süßigkeiten. Bonbons, Zuckerstangen und Lakritze stellten eine stete Versuchung für die älteren und jüngeren Kunden dar. Was man im Store der Familie Kleinschmitt nicht fand, konnte man aus einem der Versandhauskataloge bestellen.
„Guten Morgen, Sheriff Curtland“, grüßte die 13-jährige Juliane artig und machte einen Knicks. „Wollen Sie zu meinem Pa oder zu Mayor Gordon?“
„Morgen, Kleines.“ Curtland reckte sich. „Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mit beiden reden könnte.“
„Warten Sie, Sheriff, ich hole sie. Sie sind hinten im Lager.“
Curtland folgte dem Mädchen mit den Blicken und lächelte. Die langen blonden Zöpfe waren mit dunkelblauen Schleifen gebunden. Die kleine Juliane war adrett wie immer. Aber die Deutschen schienen ohnehin einen eigenen Hang zu Sauberkeit und Ordnung zu haben. Selbst der Spucknapf am Verkaufstresen war blitzsauber und auf Hochglanz poliert.
Curtlands Blick fiel auf eine Reihe Konservendosen, die in einem der Regale standen. Dosenpfirsiche aus Virginia? Die gab es nicht einmal in Ruckerford. Wie war der alte Fuchs Kleinschmitt an die Dosen gekommen?
Hinter dem Tresen war ein Waffenständer. Alte und neue Musketen und Gewehre. Eines davon war eine Volcanic. Ein Unterhebelrepetierer mit fünfundzwanzig Schuss. Die extreme Feuergeschwindigkeit hatte der Waffe zu ihrem Namen verholfen. Die ersten Patente hatte ihr Erfinder schon 1848 angemeldet und die Waffe weiter verbessert. In der Feuerrate kam ihr keine andere Waffe nahe, dennoch würde kein erfahrener Westmann sie erwerben. Bei ihr gab es keine Papierpatrone. Die Treibladung war in die Aushöhlung des Geschosses integriert und dementsprechend schwach. Auf wenige Meter Entfernung war sie schon nicht mehr in der Lage, eine Holzbohle zu durchschlagen. Eine gute Waffe, wenn es galt, Indianer zu erschrecken, und ein erbärmliches Mittel, wenn es galt, den Feind auch zu töten. Gordon würde wohl auf einen unerfahrenen Neusiedler oder Reisenden hoffen, dem er das Ding andrehen konnte.
„Ah, Sie bewundern mein bestes Stück, Sheriff Curtland?“
Curtland wandte sich zur Seite und sah William Gordon und Albert Kleinschmitt, die durch die offene Tür des Lagerraumes eintraten. Gordon hielt Stift und Buch in Händen, die er nun auf den Tresen legte, um dem Besucher die Hand zu reichen. Der Bürgermeister und Händler trug einen grauen Anzug mit Weste, die sich ein wenig über dem Bauchansatz spannte.
„Die Volcanic?“ Curtland grinste. „Da kann ich ja gleich mit einem Stock um mich schlagen. Ich verlasse mich lieber auf meinen alten Colt Paterson und meinen Hawken-Vorderlader.“
„Eine gute Jagdwaffe“, räumte Gordon ein, „aber längst überholt. Sie sollten sich einen der modernen Hinterlader für Papierpatronen besorgen. Ich hätte da…“
„Nichts für ungut, Mister Gordon, aber es kommt nicht darauf an, schnell zu schießen, sondern darauf, gut zu treffen.“
„Gelegentlich auf beides, Sheriff, gelegentlich auf beides.“
Der deutschstämmige Ladenbesitzer stellte drei Gläser auf den Tresen und schenkte aus einer Flasche mit tiefbraunem Inhalt ein. Kleinschmitt war jetzt fünfundvierzig Jahre alt und man sah ihm an, dass er einst als Schmied gearbeitet hatte. „Wir sollten jetzt erst einmal anstoßen, Gentlemen.“
Curtland blieb nichts anderes übrig, wollte er nicht unhöflich sein. Dieser verdammte Kräutersaft mochte ja ausgesprochen gesund sein, doch er enthielt kein Quäntchen Alkohol. Der Sheriff leerte das Glas mit einem Zug, um es hinter sich zu haben, doch zu seinem Bedauern schenkte Winter sofort nach.
„Was führt Sie zu uns, Sheriff?“, kam Gordon nun zur Sache.
„Ein Rindvieh.“ Curtland bemerkte das Erstaunen der beiden. „Ein totes Rindvieh.“
„Das sicher nicht einfach tot umgefallen ist“, brummte Kleinschmitt, „sonst hätten Sie sich nicht den weiten Weg gemacht.“
Curtland nickte und schlug den Schoß seiner Jacke zurück. Das hoch sitzende Halfter des Paterson wurde sichtbar. Der Sheriff zog zwei Gegenstände aus der Innentasche hervor und warf sie auf den Tresen. „Das haben wir bei dem toten Rind gefunden.“
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