Mary-Anne war nicht nur sehr hübsch, sondern auch gebildet und engagiert. Ihr war rasch bewusst geworden, wie sehr sich das Leben der einfachen Soldatenfamilien von dem der Offiziersfamilien unterschied. Sie versuchte deren Los zu erleichtern. Ein Soldat verdiente nicht viel und war er verheiratet, dann musste seine Frau jede Arbeit annehmen, damit man über die Runden kam. Putzarbeiten, Näharbeiten, Wäsche oder Backen für die Garnison brachten wertvolle Cents und doch langte es oft vorne und hinten nicht. Nicht selten lag dies daran, dass die Ehemänner beim Spiel verloren oder zu viel von ihrem Sold vertranken.
Mary-Anne hatte eine schmiedeeiserne Sitzgruppe mit in die Ehe gebracht. Einen kleinen Tisch, zwei Stühle und eine besondere Bank, deren kleine Kufen leichte Schaukelbewegungen erlaubten. Matt genoss es, am Abend mit seiner Frau auf der Bank zu sitzen und mit ihr über die Ereignisse des Tages zu plaudern.
„Mark schläft bereits“, berichtete sie. „Oder er tut doch zumindest so.“
„Er ist ein guter Junge.“ Matt war stolz auf den Achtjährigen und sah gerne darüber hinweg, wenn dieser doch einmal über die Stränge schlug.
Die Kinder im Fort wurden tagsüber unterrichtet, doch ab dem späten Nachmittag dachten sie sich immer wieder einen Schabernack aus. Meist waren es harmlose Späße, aber in der letzten Woche hatten sich ein paar der größeren Jungen ein paar Schläge mit dem Stock eingefangen, da sie Kletten unter die Sättel einiger Kavalleristen geschoben hatten.
„Lass uns hineingehen“, schlug sie vor. „Ich habe dein Essen warm gestellt.“
„Ich habe noch keinen Hunger“, erwiderte er verlegen.
Ihr Blick wurde skeptisch. „Dann beschäftigt dich etwas, Matt. Immer wenn du keinen Hunger hast, dann machst du dir um etwas Gedanken.“
Matt zuckte mit den Schultern und zog sie erneut etwas enger an sich. „Nun ja, das Regiment ist praktisch fertig ausgebildet und du weißt, wie dringend man es entlang der Grenze benötigt. Ich denke, dass Sibley bald Befehle für uns bekommen wird. Wahrscheinlich wird man einige der Kompanien auf die Forts verteilen.“
„Ich habe mich daran gewöhnt, dass wir wie eine Indianerhorde herumziehen“, sagte sie lächelnd. „Aber für Mark ist es schwierig. Hier hat er Freunde und wer weiß, wie es in einer anderen Garnison aussieht. Es gibt nicht überall Familien.“
„Ich weiß.“ Manchmal konnte Matt noch immer nicht fassen, mit ihr verheiratet zu sein.
Er hatte sie während einer Patrouille in Louisiana kennengelernt und sich sofort in die Tochter eines wohlhabenden Händlers verliebt. Das war kaum verwunderlich, denn die junge Frau war hübsch, intelligent und heiß begehrt. Sehr viel überraschter war Matt von der Tatsache, dass sie seinem Werben nachgegeben hatte. Ihr Vater war nicht begeistert, da Mary-Anne in eine vermögende Familie hätte einheiraten können und somit das zivilisierte Leben in einer Stadt genossen hätte. Stattdessen war sie mit Matt Dunhill vor den Altar getreten, damals noch ein einfacher Captain. Nein, Mister John Jay Jones hatte sich Besseres erhofft, doch zwei Faktoren führten zu seiner Zustimmung: Mary-Annes feststehender Entschluss und die Liebe des Vaters zu seiner Tochter. Obwohl es Matt widerstrebte, musste er allerdings akzeptieren, dass „JJJ“ seiner Tochter eine stattliche Mitgift zugestand.
„Wir werden unsere Zweisamkeit verschieben müssen“, flüsterte sie. „Da kommt Daddy Lee. Wenn er so spät am Abend zu uns kommt, dann will er sicher etwas Wichtiges mit dir bereden.“
Matt beobachtete den schlanken Offizier, der sich langsam näherte. Lieutenant-Colonel Robert Edward Lee war sicherlich ein ganz besonderer Mann. Er hatte seine Karriere im Corps of Engineers begonnen und war, für seine Leistungen im Ingenieurwesen während des amerikanisch-mexikanischen Krieges, belobigt worden. Man machte ihn zum Superintendent der Militärakademie von West Point und gab ihm endlich, im Jahr 1855, das ersehnte Feldkommando. Nun war er stellvertretender Kommandeur der 2nd U.S.-Cavalry und erwies sich als Offizier, der von Vorgesetzten und Untergebenen gleichermaßen hoch respektiert wurde. Aufgrund seiner fürsorglichen Art wurde er gelegentlich, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, als „Vater des Regiments“ bezeichnet.
Selbst Matt Dunhill empfand Lee gegenüber nicht nur Respekt. Lee strahlte eine Wärme und Freundlichkeit aus, die es schwer machte, ihn ihm nicht eine Vaterfigur zu sehen. Zugleich war er ein überaus fähiger Offizier, der auch unnachgiebige Härte zeigen konnte, wenn dies erforderlich wurde.
„Guten Abend, Misses Dunhill. Guten Abend, Mister Dunhill.“ Lee grüßte freundlich und zeigte jenes Lächeln, mit dem er jedermann für sich einnehmen konnte und mit dem er so manches Wortduell geschlichtet hatte. „Ich bedauere sehr, dass ich so spät noch störe, aber ich würde gerne noch ein paar Worte mit Ihrem Gemahl wechseln, Misses Dunhill.“
Mary-Anne erwiderte mit ihrem bezaubernden Lächeln. „Darf ich Ihnen etwas Limonade anbieten, Mister Lee? Ich habe sie frisch zubereitet.“
„Das wäre sehr freundlich, Misses Dunhill. Es war ein heißer Tag und die Nacht verspricht sehr schwül zu werden.“
Mary-Anne mochte Lee. Für ihn musste der Dienst besonders schwer sein. Lee war schon viele Jahre verheiratet, doch im Jahr 1850 war seine Frau an rheumatischer Arthrose erkrankt und konnte ihren Gatten daher nicht zu seinen Dienstorten begleiten. Seine Frau lebte in Arlington, Virginia, und die beiden waren einander von Herzen zugetan. Man wusste, dass es eine rege Korrespondenz zwischen den Eheleuten gab.
Mary-Anne verschwand im Haus, und Matt und Lee setzten sich auf die Veranda. Die junge Frau zog sich wieder zurück, nachdem sie die Limonade gebracht hatte. Bis dahin tauschten die beiden Offiziere Belanglosigkeiten aus, doch nun kam Lee auf das zu sprechen, was ihn offensichtlich beschäftigte.
„Wie Sie bereits gehört haben, sollen wir Karabiner für unser Regiment bekommen. Nagelneue Sharps, wie sie schon bei den Dragoons eingesetzt werden. Bei unseren hat man eine Verbesserung durchgeführt. Man muss kein einzelnes Zündhütchen mehr aufsetzen, sondern es gibt einen automatischen Zündhütchensetzer, der beim Spannen des Hahns ein Zündhütchen auf das Piston der Waffe schiebt. Das nennt sich, wenn ich mich recht erinnere, Maynard Primer. Jedenfalls stand das so in der Ankündigung der Waffenlieferung. Nun, Mister Dunhill, Sie kommen ja von den Dragoons. Haben Sie Erfahrung mit der Sharps?“
„Mit dem Karabiner? Ja, Sir. Diese Erfindung von Maynard ist mir allerdings unbekannt.“
„Hm. Immerhin gehören Sie zu den erfahrenen Offizieren im Regiment und ich würde es begrüßen, wenn Sie morgen die Waffen in Empfang nehmen und sie genauestens auf dem Schießstand prüfen. Es wäre nicht sehr erfreulich, wenn wir mit Karabinern ausrücken, die nicht für den Felddienst taugen.“
„Selbstverständlich, Sir, ich werde mich darum kümmern.“
„Sehr schön, Mister Dunhill. Nun, dann will ich Sie nicht länger von Ihrem verdienten Dienstschluss abhalten. Grüßen Sie Ihre reizende Frau nochmals von mir und danken Sie ihr in meinem Namen für die vorzügliche Limonade.“
„Das werde ich tun, Sir.“
Der Lieutenant-Colonel hatte den richtigen Zeitpunkt abgepasst. Während er sich langsam entfernte, blies der diensthabende Hornist das Signal „to extinguish lights“, welches dazu aufforderte, alle Lichter zu löschen. Natürlich mit Ausnahme jener, die für den Wachdienst erforderlich waren.
„Und? Was lag Daddy Lee auf dem Herzen?“ Mary-Anne stellte das Essen auf den Tisch.
Matt hatte eigentlich keinen Hunger, aber er aß etwas, um seine Liebste nicht zu enttäuschen. „Ich soll morgen die Waffenlieferung überprüfen.“
Sie setzte sich zu ihm und sah ihn forschend an. „Weil du die meiste Kampferfahrung hast, nicht wahr?“
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