»Nach der Abschussfeier bleiben die Boote unter Verschluss?«
»Wer rudern möchte, kann das tun. Es steht jedem frei. Die Wettkampfboote dürfen nicht genutzt werden. Alle anderen stehen jedem zur Verfügung. Ich selbst mache auch im Oktober häufig noch Touren mit meiner Frau. Es ist ein schönes Erlebnis in der bunten Natur. Eine Fahrt durch die Weingebiete an Mosel, Saar oder Ruwer ist eine Augenweide. Auch die Lippe hat schöne Ufer. Besonders der letzte Teil, wenn die Lippe durch die unberührte Natur fließt.«
Berendtsen bemerkte einen Anflug von Romantik in Kötters Blick.
»Ich habe in der letzten Woche mehrmals mit ihm telefoniert«, erinnerte sich Korte. »Er hatte einige Fragen zu seiner Arbeit. Er benötigte einige Daten zu den Leistungsquotienten seiner Athleten.«
»Welche Arbeit?«
»Er schrieb an seiner Dissertation.«
»Worum ging es dabei?« Hallstein hatte Notizbuch und Stift in der Hand.
»Er schrieb über das Thema: ›Möglichkeiten zur Leistungssteigerung durch Spurenelemente und Aminosäuren‹. Das Thema war mit Herrn Professor Kötter abgesprochen«.
»Wir haben es zusammen erarbeitet«, bestätigte Kötter. »Es war in der Hauptsache sein Interesse.«
»Ist Ihnen etwas aufgefallen? Hat Fritz Streit gehabt oder hat er Ihnen gegenüber etwas erwähnt, was mit seinem Verschwinden zu tun haben könnte? Vielleicht auch nur angedeutet?«
»Es war ein feuchtfröhlicher Abend.« Die beiden sahen sich schmunzelnd an.
»Es herrschte eine großartige Stimmung. Alle waren gut drauf«, fügte Korte an. »Ich habe lange Zeit mit ihm hinterm Fass gestanden und gezapft.«
»Waren die Kanuten vom RV auch dabei?«
»Die kamen von einer Kanalfahrt. Sie hatten in Datteln abgelegt und sind bis zum Yachthafen gerudert. Zwischendurch hatten sie ein Picknick. Die kamen gegen acht Uhr am Bootshaus an, haben ihre Kanus verstaut und sind direkt nach Hause. Einige von ihnen, vier oder fünf, haben noch mit uns ein Bier getrunken. Schmitz war auch dabei. Gegen zehn Uhr hat er abgeschlossen.«
»Gibt es eine Liste der Leute, die an dem Abend anwesend waren?«
»Wir waren mit acht Booten unterwegs. Ein Achter, fünf Doppel und drei Einer. Dazu kamen noch elf Leute, die nur zum Feiern anwesend waren. Die sechs Fahrer der Transporter haben auch mitgemacht. Und die fünf vom RV.«
Berendtsen bat um eine Teilnehmerliste.
»Am Donnerstag war Fritz hier auf dem Gelände, fällt mir ein. Ich habe sein Fahrrad im Ständer vor dem Kraftraum bemerkt, als ich nach Hause fuhr.«
»Wann war das?«
»Ich habe um siebzehn Uhr Schluss.«
»Sie haben nicht mit ihm gesprochen und nicht gesehen, was er gemacht hat?«
»Nein. Ich wusste nicht, dass er hier war. Ich habe nur das Rad gesehen, als ich nach Hause fuhr.«
»Haben Sie etwas bemerkt?«, wandte sich Berendtsen an Kötter.
Er schüttelte mit dem Kopf und runzelte die Stirn. »Ich habe ihn die ganze Woche nicht gesehen.« Sein Handy brummte. »Ja ich komme.« Er blickte Berendtsen an. »Sind wir fertig?«
Berendtsen nickte.
»Ich bin unterwegs.«
»Begleiten Sie uns zum Ausgang? Wir finden sonst womöglich nicht hinaus.«
»Gerne, Herr Kommissar.«
»Sagen Sie, Herr Korte, was war Fritz Herder für ein Mensch? Sie kannten ihn gut, nehme ich an.«
»Ein netter Kerl. Wir waren gute Kollegen und Freunde. Wir haben uns so gut wie nie privat getroffen, aber hier im Zentrum haben wir gut zusammengearbeitet.«
»War er sportlich, kräftig? Ich frage, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass er aus dem Boot gefallen ist.«
»Das ist er mit Sicherheit nicht. Er war mit seinem Boot verwachsen, durchtrainiert und kräftig. Während seines Studiums nahm er in Köln an Schwimmwettbewerben teil. Er war sogar einmal Vereinsmeister über vierhundert Meter Lagen. Er hat auf seinem Handy ein Bild mit dem Pokal. Das muss so ungefähr zwei Jahre her sein.«
»Trainieren Sie auch noch?«
»Nur noch für meine Fitness. Zweimal die Woche. Montags und donnerstags, wenn ich mir die Zeit nehmen kann. Sie wissen ja: Man nimmt sich etwas vor, aber im Alltag bleibt es oft unerledigt.«
»Haben Sie auch bei Professor Kötter ihre Arbeit geschrieben?«, wollte Hallstein wissen.
»Ich bin dabei. Allerdings schon vier Jahre. Ich habe hier viel zu tun, weil ich das Trainingszentrum leite. So komme ich nicht recht weiter. Ist mir im Moment auch nicht wichtig, denn mit der Position bin ich ganz gut zufrieden.«
»Welches Thema beackern Sie?«
»Angefangen habe ich mit der Untersuchung von Blutdoping. Leider ist mir jemand zuvorgekommen. Er hat veröffentlicht, als ich gerade eine Testmethode gefunden hatte. Pech. Jetzt untersuche ›Moderne Trainingsmethoden - Auswirkungen der Leistungssteigerung auf das Herz-Kreislauf-System‹. In dieser Sparte wurde das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aber, wie ich schon sagte, ich habe sehr viel um die Ohren und im Augenblick auch nicht den Flow, die Sache zu Ende zu bringen.«
»Hatte Fritz diesen ›Flow‹?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Hallstein. Er hat darüber nie ein Wort verloren. Ich kann wohl bestätigen, dass Fritz sehr akribisch war bei seinen Untersuchungen.«
»Diese Spurenelemente … was hat Fritz daran so interessiert?«, fragte Hallstein nach.
»Zu diesem Thema gibt es noch Stoff genug. Es gibt komplexe Zusammenhänge von Spurenelementen, dem Mikrobiom und dem Leistungsvermögen eines Sportlers, gerade im Hinblick auf die Ausdauer, die gerade im Rudersport eine wesentliche Rolle spielt. Eine kleine Veränderung kann im Leistungssport große Unterschiede bewirken.«
Sie waren unvermittelt auf dem Parkplatz angekommen. Der Porsche mit dem Kennzeichen HK – ist das ihrer?«
»Carrera einfach. Dreieinhalb Jahre alt. Leider kein Turbo. Die grüne Farbe habe ich nicht ausgesucht, es war ein drei Jahre alter Gebrauchtwagen. Ein Schnäppchen, wie man so sagt.« Lächelnd fügte er hinzu: »Wohl wegen der Farbe. Dieses Mintgrün war damals eine Sonderlackierung.«
»Hauptsache, er fährt.« Hallstein hätte den Wagen auch trotz der Farbe genommen, aber er musste noch eine Weile darauf verzichten. Er hatte zwei Kinder.
Ein wenig Wind zog auf und der erwartete Regen setzte ein. Wie nötig er gewesen war, zeigte sich jetzt. Der Niederschlag perlte über die braune Erdkruste am Rande des Parkplatzes wie Wasser über fettiges Pergamentpapier. Das Gras und der Wald ringsum dufteten. Berendtsen hob das Schiebedach an und ließ die hinteren Fenster eine Handbreit offen. Das Laub hielt den Weg trocken. Noch.
Sie kamen am Haus der Westhoffs vorüber. Berendtsen wollte endlich mit dem Besitzer des Mofas sprechen. Er ließ Hallstein anhalten. Es goss inzwischen in Strömen. Der Wind wurde heftiger.
»Lass uns weiterfahren, entschied er. Bei dem Sauwetter können wir den Mann nicht veranlassen, uns die Vespa zu zeigen. Wir besuchen ihn beim nächsten Mal, wenn wir hier vorüberfahren.«
Hallstein war einverstanden.
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