Nick Stein
Tod eines Milliardärs
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Tod eines Milliardärs
Teil drei der Serie
Blutbücher
Nick Stein
Alle schlechten Eigenschaften entwickeln sich in der Familie. Das fängt mit Mord an und geht über Betrug und Trunksucht bis zum Rauchen.
(Alfred Hitchcock)
JOHANNA
Sie hatte fliehen müssen.
Viola hatte zwölf Menschen umgebracht. Vielleicht auch nur elf oder doch dreizehn, so genau ließ sich das nicht sagen.
Mord war nicht gleich Mord. Eines ihrer Opfer hatte sie unwissentlich und indirekt in den Tod getrieben. Galt das als Mord? Eine andere Frau, die sie getötet hatte, war ohnehin dem Tode geweiht gewesen. Viola hatte das Lebensende der Frau als Sterbehilfe verbucht.
Und allen Opfern hatte sie zu postmortalem Ruhm verholfen.
Im Flugzeug von London nach New York sann Johanna Svensson, die frühere Viola Kroll, über die Ironie dieser Reise nach.
Nicht die Polizei hatte sie in die Flucht geschlagen; die brauchte sie kaum zu fürchten, auch wenn ein Bullenpärchen ihr hartnäckig auf den Fersen gewesen war.
Es waren ihre Freunde und Verbündete gewesen, die ihren Tod verlangt hatten. Ihr Liebhaber von der ’Ndrangheta. Giovanni de Luca.
Viola hatte gehorcht. Sie war in ein schnelles Auto gestiegen und mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Berg gerast. Der Wagen war in Flammen aufgegangen, von Viola hatte man nur ein wenig Blut und ein paar Haare finden können. Genug, um sie zu identifizieren, zu wenig für die große, raumfüllende Präsenz dieser schönen Frau.
Viola Kroll war tot.
Ins Flugzeug von Rom nach London war bereits Johanna Svensson gestiegen, mit einem Jobangebot von Penguin Random House in der Handtasche.
Ihre Freunde von La Familia waren zufrieden mit der Inszenierung ihres Todes gewesen. Sie hatten ihr drei Tage für den Suizid gegeben; Viola hatte diese Zeit gut genutzt.
Sie hatte sich Papiere und eine neue Identität besorgt; sie hatte eine suizidgefährdete Bekannte überredet, an ihrer Stelle ins Auto zu steigen und damit von Rom nach Norden zu rasen, mit einer Echthaarperücke aus Violas Haaren auf dem Kopf und etlichen gefüllten Benzinkanistern im Kofferraum.
Diese selbstmordsüchtige Frau hatte ihr geglaubt, dass sie ihre Todessehnsucht überwinden könne, wenn sie für zwei Stunden unter höchster Lebensgefahr über die Autostrada rasen würde.
Dass Viola das Auto vorher präpariert hatte, weil sie eine weibliche, ihr ähnliche Leiche, nach Möglichkeit bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, in ihrem Mietwagen benötigte, hatte sie allerdings nicht gewusst. Vermutlich wäre es ihr sogar gleich gewesen.
Als diese Bekannte zwischen all den persönlichen Dingen Violas, ihren Fingerabdrücken, der Handtasche, etlichen Blutspuren und ihrem Handy, in einer Kurve schließlich die Kontrolle über den getunten Sportwagen verlor, hatte Johanna bereits eingecheckt.
Sie hatte nun kurze, schwarze Haare statt ihrer rotblonden Haarpracht, sie hatte kosmetische Veränderungen vorgenommen. Sie hatte sich einen anderen Gang angewöhnt und zog sich anders an.
Nicht genug, um Freunde und die Personen zu täuschen, die sie gut kannten. Für die Grenzkontrollen reichte es allemal.
Aus dem Fenster sah sie gerade eine der kleineren schottischen Inseln vorbeiziehen. Die ursprüngliche Johanna Svensson, eine Schwedin, die ihr ähnlichgesehen hatte, war auch von einer zu Schweden gehörigen Insel zu ihr nach Berlin gekommen. Dort hatte sie ihr Werk vollendet und es Viola hinterlassen; später war sie wortwörtlich in einem Kunstwerk von Viola aufgegangen.
Eines dieser Werke stand in New York, nein, mehrere, korrigierte sie sich. Die Skulpturengruppe, welche die originale Johanna enthielt, stand hinten im Abstellraum einer Galerie in Mailand; Violas etwas harmloseres Œuvre war in der Met ausgestellt. Dort würde sie eines Tages hingehen, wenn sie im Big Apple Fuß gefasst hatte.
Ihr graute vor der langweiligen Tätigkeit bei Penguin. Sie würde dort als Übersetzerin arbeiten, deutsche Krimis ins Amerikanische und amerikanische Werke ins Deutsche übertragen. Stupide Arbeit. Keine Kunst.
Nicht, dass Johanna die Morde fehlten, die Viola zu ihrer steilen Karriere und ihrem Reichtum verholfen hatten. Die hatten ihre Zeit gehabt und ihren Zweck erfüllt.
Viola hatte stets wenig dabei verspürt. Es war nie hoch hergegangen; sie hatte meist ein freundliches Ende herbeigeführt, Blut war selten geflossen. Gut, zwei Frauen hatte sie mit einem Auktionshammer aus Messing erschlagen und dabei leichten Ekel empfunden.
Ihr Mittel der Wahl war Gift gewesen, wie bei den meisten Mörderinnen. Einer Frau mit der Glasknochenkrankheit hatte sie kurzerhand den zerbrechlichen Hals umgedreht.
Ansonsten hatten die toten Schriftsteller, die ihr gutes literarisches Material geliefert hatten, Viola als letzte Morgengabe noch ihre Körper gegeben, die sie zu Asche verbrannt und in künstlerischer Keramik verbacken hatte, zu Gesamtkunstwerken.
Für Johanna war alles passé, was Viola früher unternommen hatte. Sie gedachte das nicht in den Staaten in ähnlicher Form fortzusetzen. Die Morde hatten ihre Zeit gehabt.
Geld hatte sie genug, auch wenn sie sich von ihrer wunderschönen Villa am Lago Maggiore und ihrem Haus mit Atelier am Berliner Schlachtensee hatte trennen müssen. Und auch von ihrem Mobiliar, ihrem sexuell begabten Gärtner und ihren beiden Pekinesen.
Ihre Vorgeschichte hatte ein bis zum Anschlag erfülltes Leben umfasst, trotz ihrer Jugendlichkeit. Standen ihr nun ruhigere Jahre bevor?
Johanna empfand Dankbarkeit, dass sie es geschafft hatte, sich in dieses andere Leben hinüberzuretten, selbst wenn es einen letzten Mord an einer Bekannten erfordert hatte. Eigentlich hatte sie dieser Frau nur einen Wunsch erfüllt. Sie war nicht nur suizidgefährdet gewesen, sie hatte sich nach dem Ende gesehnt.
Auf dem Bildschirm ihres Erste-Klasse-Sitzes liefen Nachrichten. Mehrfach war ein Mann mit rotem Gesicht und gelben Haaren zu sehen, den Johanna verabscheute.
Wenn sie noch einen Mord begehen würde, dann an dem, dachte sie bei sich, alles andere würde sich nicht lohnen und keine Steigerung ihrer Karriere mehr darstellen.
Aber dafür flog sie nicht nach New York.
Sie wusste noch nicht, was sie erwartete. Sie würde ein paar Tage Zeit haben, um sich eine Wohnung zu suchen und sich in der Stadt zurechtzufinden, bevor sie ihre triste Arbeit antreten sollte.
Um den Job auf die Schnelle zu bekommen, hatte sie dieses Mal keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen können.
Die echte Johanna Svensson war eine einsame Frau auf einer menschenverlassenen Insel gewesen, niemand hatte sie bislang vermisst. Immerhin war sie mit einem deutschen Vater und einer schwedischen Mutter mit Englisch als Muttersprache aufgewachsen. Sie hatte Referenzen, die Random House gefallen hatten, den fehlenden Rest hatte Viola dazuerfunden, bevor sie zu Johanna wurde.
Die wirkliche Johanna hatte sie auch auf den Gedanken gebracht, sich in den USA zu bewerben. Johanna hatte schon damals in die Staaten gewollt, als Übersetzerin, und Viola hatte ihr sogar eine sehr nette Referenz geschrieben. Und nun, nach dem letzten Mord, noch eine zweite, dringliche, dass Johanna den Job jetzt bräuchte, um ihrer Einsamkeit zu entrinnen.
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