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eBook-Ausgabe 2011
Rhein-Mosel-VerlagBrandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542-5151 Fax 06542-61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-807-4 Lektorat: Gabriele Korn-Steinmetz Umschlagsfoto: Cornelia Czerny
Thomas Sutter
Tod eines Jagdpächters
Kriminalroman
RHEIN-MOSEL-VERLAG
Für meinen Sohn Max, dem ich noch viele Bücher widmen möchte und für Ben, meinen treuen Begleiter auf dem Jakobsweg.
Allein der Gedanke an Pirsch erweckte ein großartiges Gefühl. Sich anschleichen, auflauern, im Hinterhalt geduldig warten, bis der Finger sich am Abzug leicht krümmte. Das erhabene Gefühl des Erlegens. Jedem Raubtier ist dieser Triumph bekannt.
Karl Nirbach hatte sich immer als Raubtier gefühlt, aber im Alltag hatten die Triumphe sehr nachgelassen. Im Geschäftsleben konnte er nicht mehr wie früher zuschlagen. Fette Beute machen war weitaus schwerer geworden. Erfolge waren lange nicht mehr so leicht wie in seinen Jahren in Köln und der ersten Zeit hier in der Eifel. Stattdessen zeichneten sich mittlerweile sogar Niederlagen ab. Die verflixte Staatsanwaltschaft wollte es doch wirklich wissen. Sie würde ihm nichts anhaben können, aber das Prozedere lähmte trotzdem, und die Firma, die er seiner Frau überschrieben hatte, in der er aber immer noch die Fäden zog, hatte Kunden verloren.
Deshalb hatte es ihn besonders gewurmt, in den letzten Wochen seiner Jagdleidenschaft nicht mehr frönen zu können. Seinem Ausgleich, bei dem die Triumphgefühle nie ausblieben.
Sämtliche Hochstände in seiner Pacht waren verwüstet worden. Leere Alkoholflaschen, Müll und Uringeruch waren noch das Harmloseste gewesen. Zwei Hochstände waren angesägt, und ein dritter war in Brand gesetzt worden. Zum Glück hatte er die Mistkerle erwischt. Auch ihnen hatte er, wie dem Wild, nachts aufgelauert. Er hatte sich in einer Art um sie gekümmert, die er seit seiner Jugend kannte und die er für richtig hielt: Keine Polizei. Was auf die Fresse, das wurde immer besser verstanden als Worte. Dabei war er nicht zimperlich vorgegangen. Die Burschen hatten richtig was abgekriegt.
Bei dem vollen Mond hatte er die Taschenlampe gar nicht erst eingeschaltet. Die Lichtstrahlen der matten Scheibe hatten den Weg durch die Tannen erkennen lassen, und es gab nicht viel Unterholz, über das er stolpern konnte. Ein leichtes Lüftchen bog die Bäume und das Knarren klang wie Seufzer. Kleinere Äste knackten unter seinen schweren Schuhen, dann fühlte er wieder leichten, federnden Boden. In der Ferne rief ein Käuzchen.
Mit seinem Schienbein stieß er gegen einen quer liegenden Stamm, aber er strauchelte nicht und brauchte auch jetzt die Lampe nicht einzuschalten, um darüber hinwegsteigen zu können.
Er hatte die Wildschweine flüchten gehört, aber er wusste, sie würden wiederkommen. Höchstens ein, zwei Stündchen in Ruhe auf dem Hochstand ausharren, dann waren sie wieder da.
Mit seinen fünfundfünfzig Jahren war er zeitweilig immer noch die Ungeduld in Person, aber nicht bei der Jagd. Da war Ungeduld ein Fremdwort für ihn. Das Adrenalin, das die Jagd im Körper aktivierte, verursachte genüssliche Wachsamkeit.
Der Wald wurde lichter, und es waren nur noch wenige Meter bis zur Rodung. Der Hochstand lag noch etwa zweihundert Meter weiter am Rande der Lichtung. Vor einer Woche hatte er ihn säubern und ausbessern lassen. Im Gegensatz zu den Wildschweinen würden diese jugendlichen Vandalen nicht noch mal hier auftauchen. Die hatten ihre Lektion bekommen und würden kein weiteres Unwesen mehr treiben. Dafür hatte er gesorgt.
Zuerst dachte Nirbach an ein Glühwürmchen. Aber der winzige glühende Punkt, der einige Meter von ihm entfernt stakkatoartig herumflirrte, war zu schnell für ein Glühwürmchen. Außerdem tanzte er über den Boden und flog nicht in der Luft.
Ein Schreckgedanke lähmte ihn. Konnte es wirklich das sein, was er befürchtete? Argwöhnisch beobachtete er, wie das rote Lichtchen im Zickzack auf ihn zuwanderte und ihn berührte. Wie es sprunghaft an ihm hochkletterte bis zur Brustgegend. Der Jagdpächter griff mit der Hand danach, aber da zeigte sich das rote Fleckchen auf seinem Handrücken, und als er die Hand zurückzog, blieb es wieder an seiner Brust kleben. Langsam bewegte es sich noch ein wenig nach links, wo es genau in der Herzgegend verharrte.
Er duckte sich, riss das Nachtsichtfernglas hoch und spähte in die Richtung, aus der der rote Punkt zu kommen schien. Entlang des Waldrandes war nichts zu erkennen. Auch zwischen den Tannen nahm er nichts Verdächtiges wahr. Dann aber erspähte er tief im Dickicht die Umrisse einer auf dem Bauch liegenden Gestalt in mindestens zweihundert Metern Entfernung, die mit einem Gewehr auf ihn zielte.
Bis zu den schützenden Bäumen war es zu weit, deshalb warf er sich zu Boden. Es gab ein paar Bodensenken und direkt vor ihm befand sich ein kleiner Hügel, dennoch fand das rote Lichtchen ungehindert den Punkt zwischen seinen Augenbrauen. Sofort zwängte er sich tiefer in die Kuhle.
Die Nacht war kühl, trotzdem begann ihm der Schweiß aus allen Poren zu strömen. Er spürte kein Adrenalin, das die Vorfreude der Jagd eben noch durch seine Venen gepumpt hatte, sondern nacktes, nervenzerreißendes Entsetzen.
Langsam tastete er nach seinem Gewehr, obwohl er befürchtete, dass dies seinen Beobachter zum Todesschuss anstacheln könnte. Sein Gewehr befand sich noch in der Tasche. Mit zittrigen Fingern begann er die Druckverschlüsse zu öffnen, und er fühlte das harte Holz seiner Waffe. Sollte er nicht einfach liegen bleiben? Was wollte der Schütze von ihm? Angst einjagen? Das war ihm gelungen. Aber Nirbach würde das nicht einfach so hinnehmen. Er hatte es schon mit einigen harten Jungs aufgenommen und er hasste es, sich vor diesem Mistkerl da drüben im Wald so zu erniedrigen. Der Kerl bluffte. Wahrscheinlich wollte er nur seinen Spaß haben. Aber dem Jagdpächter war absolut nicht nach Spaßen zumute. Er würde abdrücken, sobald er den Unbekannten im Visier hatte.
Seine Finger krampften sich um den Gewehrschaft. Zentimeter für Zentimeter, sehr bedacht, die Waffe am Boden zu halten, zog er sie aus der Hülle zu sich heran. Der rote Punkt war nicht mehr zu sehen. Vielleicht hatte derjenige, der ihm nach dem Leben trachtete, aufgegeben und war abgehauen.
Mit einer schnellen Bewegung wagte Nirbach, das Visier des Gewehrs an das rechte Auge zu bringen. Dann nahm er den roten Punkt, der von seiner Nase zur Stirn wanderte, wieder wahr. In seinem Visier erschienen die fernen Umrisse einer menschlichen Gestalt. Nirbach hatte den Finger bereits am Abzug, aber die Millisekunde, ihn durchzuziehen, blieb ihm nicht mehr.
Zuerst hatte er geplant, den Wagen weiter weg zu parken und einige Kilometer durch den nächtlichen Wald zu gehen. Aber das wäre zu riskant gewesen. Er hätte dabei auf andere Jäger stoßen können.
So hatte er das Auto vor dem Fußballplatz abgestellt, der zwischen Loch und Aichen lag. Es war ruhig hier oben. Nachts kam niemand hierher. Das hatte er ausgekundschaftet. Und selbst wenn, der Wagen war gestohlen und nicht mit ihm in Verbindung zu bringen. Morgen würde er ihn irgendwo in Bonn abstellen.
Eine Sache war nun vom Tisch. Ein Teil der Rechnung war beglichen. Aber nur ein Teil, und damit war es nicht getan. Die Wahrheit musste vollständig ans Licht. Vorher würde er keine Ruhe geben. Er fühlte sich sehr gut mit seiner Aufgabe. Einer Aufgabe, die seinen Fähigkeiten entsprach. Schade, dass er heute Nacht nicht durch den Wald wandern konnte. Mit dem Gewehr auf dem Rücken durch den nächtlichen Wald. Wie beim Training, bei dem er immer der Beste gewesen war.
Zahllose Nächte hatte er nachts im Wald verbracht. Eine mondhelle Nacht wie heute war nicht nötig, um im Busch zurecht zu kommen. Er brauchte nur wenige Minuten, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann bewegte er sich nachts genauso sicher im Wald wie tagsüber.
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