Jürgen Nottebaum
SOULAC SUR MER - Tod eines Kommissars
Der dritte Fall von Kommissar Moulin
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jürgen Nottebaum SOULAC SUR MER - Tod eines Kommissars Der dritte Fall von Kommissar Moulin Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
Thomas Moulin öffnete die Augen. Anders als in einschlägigen Krimis, in denen der aus einer Bewusstlosigkeit erwachende Patient zunächst nur verschwommen ein grell-weißes Licht über sich wahrnimmt, aus dem langsam die Konturen einer freundlich lächelnden Krankenschwester sichtbar werden, war der Kommissar sofort hellwach. Und alarmiert. Er wusste zwar tatsächlich in diesem Moment nicht, wo er sich befand, aber dass etwas nicht stimmte, begriff er sofort. Rund um beide Augen herum sah er einen kleinen weißen Wulst aus Gips. Zwischen den Augen schien dieser sich hinunter zur Nasenwurzel fortzusetzen, denn er nahm auf dem Nasenrücken einen Druck wahr, der auf äußere Einwirkung schließen ließ. Der Versuch, den Kopf zu drehen, scheiterte. Moulin sortierte seine Gedanken. Das Zimmer lag im Dämmerlicht. Es musste also gegen Abend sein. Neben ihm piepste es in mehreren verschiedenen Tönen, die auf das Vorhandensein medizinischer Apparaturen hindeuteten. Sehen konnte er sie nicht. Schlagartig wurde ihm klar:
Er befand sich in einem Krankenhaus. Allein schon die Schmerzen, die er am ganzen Körper fühlte, hätten genügt, diese Erkenntnis zu vermitteln. Zusätzliche Gewissheit kam auf, als er versuchte, sich zu bewegen. Das ging überhaupt nicht. Er fühlte fast am gesamten Körper, dass er auf irgendeine Weise eingeengt, um nicht zu sagen fixiert war. Und das in unnatürlicher Haltung. Moulin begann mit einer vorsichtigen Bestandsaufnahme seiner Situation, indem er nacheinander verschiedene Muskelgruppen anzuspannen versuchte, um daraus Rückschlüsse auf seinen Zustand ziehen zu können. Die Bilanz war deprimierend:
Der linke Oberschenkel war nach oben angewinkelt, während der zugehörige linke Unterschenkel horizontal gestreckt war, gleichzeitig aber an einem Gestell aufgehängt über der Matratze zu schweben schien. Kopf und Hals waren durch einen starren Gipsverband fixiert, der sich über die rechte Schulter fortsetzte, wohl um das Schlüsselbein und den rechten Oberarm zu stützen. Vom Brustkorb abwärts spürte er eine korsettartige Ummantelung des Unterkörpers. Moulin resümierte:
Allem Anschein nach lag er hier mit einer ganzen Reihe von Verletzungen, als da mindestens wären: ein gebrochenes linkes Bein, Schlüsselbeinbruch rechts und gebrochener rechter Arm. Zusätzlich Verdacht auf Beckenbruch.
Moulin konzentrierte sich auf sein Inneres. Merkwürdigerweise verspürte er keinerlei Schmerzen an irgendwelchen Organen. Er überlegte. Sollte er Glück gehabt haben? Oder hatte man ihn lediglich mit Schmerzmitteln vollgepumpt, so dass er etwaige Verletzungen nicht wahrnehmen konnte? Und was war eigentlich passiert?
Der Kommissar versuchte seine Gedanken zeitlich rückwärts zu lenken. Es gestaltete sich schwierig. War da etwa noch eine Gehirnerschütterung, die er bei seiner ersten Bestandsaufnahme übersehen hatte und die ihn nun daran hinderte, klare Gedanken zu fassen? Verwundern würde es ihn nicht, denn die registrierten Verletzungen zieht man sich nicht einfach so bei einem Sturz am Strand beim Volleyball zu.
Volleyball! Das war ein erster Anhaltspunkt. Er erinnerte sich, dass seine Bekannten vom Camping de l’Océan ein Spiel „Jung gegen Alt“ ausgetragen hatten – oder organisieren wollten?!
Was noch? Er erinnerte sich an ein Essen im Maison de Grave mit Louise, der bezaubernden jungen Journalistin, und einen Unfall mit Fahrerflucht.
Ihm fiel der bislang ungelöste Todesfall aus dem Frühjahr ein. Eine Leiche war vom Meer freigespült worden.
Er erinnerte sich an die unerwartet freundliche Einladung des Polizeipräsidenten zu einem Rundflug mit dessen Privatflugzeug.
Seine Gedanken begannen sich in seinem Kopf zu drehen. Er versuchte erneut sich zu konzentrieren.
Irgendwie fiel ihm noch eine Autofahrt ein. Er war mit Louise in Port de Maréchal gewesen. Dort gab es einen kulinarischen Geheimtipp für kleine Geldbeutel: onglet. Lecker!
Seine Gedankengänge wurden von einem Geräusch unterbrochen. Es klang wie das Klicken einer Türe. Moulin lauschte. Er hört leise Schritte. Anscheinend war er nicht alleine im Raum. Im Halbdunkel stieß jemand heftig gegen das Bettgestell, das daraufhin um einen halben Meter zur Seite rollte. Im gleichen Moment ertönten von diversen medizinischen Apparaten durchdringend schrille Alarmsignale. Er hörte einen leisen Fluch, dann schnelle Schritte und ein Rascheln von Vorhängen. Sekunden später wurde die Türe aufgerissen. Zwei Schwestern und ein Arzt stürmten in den Raum.
Gaston Berliot schaute aus dem Wohnzimmerfenster des Mobilhomes hinunter auf den Strand vor dem Campingplatz „Les Sables d‘Argent“. Das Feriendomizil seiner Familie, das vor wenigen Jahren noch in dritter Reihe vor dem Abhang zum Strand gestanden hatte, befand sich mittlerweile direkt am Steilhang, ohne dass man es extra hätte versetzen müssen. Für den „Standortwechsel“ hatte allein die stürmisch aggressive Strömung des Meeres gesorgt, die seit einigen Jahren besonders während der Frühjahrsstürme an den Dünen nagte, jährlich bis zu 10 Metern landeinwärts vordrang und die Sandmassen einfach fortspülte. Trotz aller Versuche, den Naturgewalten mit Stahlträgern, Holzbohlen und gewaltigen Felsbrocken Einhalt zu gebieten, war absehbar, dass auch das Mobilhome der Familie Berliot spätestens zum Ende dieser Feriensaison umgesetzt werden müsste. Seine Eltern überlegten noch, ob man auf diesem Campingplatz verbleiben würde oder auf einen anderen sichereren Platz wechseln wollte.
Gaston war deswegen ein wenig deprimiert, hatte er doch sämtliche Ferien von jüngster Kindheit an hier verbracht. Viele Erinnerungen und fröhliche Bekanntschaften verknüpften sich mit diesem Platz. Dieses Jahr war das letzte Jahr, in dem er seine Schulferien hier verbringen konnte. Das Abitur stand an, und was danach mit ihm sein würde, hatten die Eltern noch nicht entschieden. Auf den Rat eines guten Bekannten seines Vaters hin liebäugelten sie mit der Idee, ihren Sohn für ein oder zwei Jahre ins Ausland zu schicken. Und gerade in diesem Jahr genoss er den Aufenthalt ganz besonders.
Vor gut einer Woche hatte er zufällig morgens gegen 9 Uhr zwei junge hübsche Mädchen aus Richtung l’Amélie kommend am Strand joggen gesehen. Normalerweise war das nicht unbedingt die Tageszeit, zu der er in den Ferien schon wach war. Aber seine Schwester Julie hatte am Vorabend ihren Handywecker aktiviert, das Gerät dann aber versehentlich im Wohnzimmer liegen lassen, wo Gaston schlief. Erst nach einer ganzen Weile hatte Gaston noch schlaftrunken die Lärmquelle geortet und zum Schweigen gebracht. Als er danach missmutig aus dem Fenster geschaut hatte, waren sie ihm aufgefallen.
Schlank, mit geschmeidigen Bewegungen eilten die blonden Schönheiten im Licht der aufgehenden Sonne direkt an der Wasserlinie entlang zielstrebig in Richtung Soulac sur Mer. Gaston hatte das stets auf der Fensterbank bereit liegende Fernglas ergriffen, um die Mädchen genauer betrachten zu können. Sie liefen in Turnschuhen einer bekannten deutschen Marke. Ihr gesamtes Outfit wirkte absolut professionell. Anders als die üblicherweise barfuß daher rennenden Jogginganfänger, die im Urlaub gerade einmal einen Anfall von Sportlichkeit an sich entdeckten und schwerfällig schnaufend am Strand entlang durch den tiefen Sand keuchten, waren diese Sportlerinnen erkennbar durchtrainiert. Sie legten ein beachtliches Tempo an den Tag. Da sie von l’Amélie her kamen, mussten sie also mindestens schon gut zwei Kilometer zurückgelegt haben und ihr Lauf wirkte trotzdem noch immer spielerisch leicht. „Das könnten ambitionierte Nachwuchsläuferinnen sein.“ dachte er bei sich.
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