»Genau. Er ist Doktorand bei ihm. Er hat Sport studiert mit Schwerpunkt Leistungssport. Er hatte sich beim Radsport beworben, wurde aber durch das Los den Ruderern zugeschrieben, weil es mehr Bewerber für den Radsport gab, als Plätze zur Verfügung standen. Nach kurzer Zeit hatte er daran Spaß bekommen. Einige schöne Ausflüge hatten ihn umgestimmt. Die Radfahrer wurden auf den Straßen getrimmt, die Ruderer machten Ausflüge zu den Stauseen ins Sauerland oder an die Mosel und die Ahr. So lernte er Professor Kötter kennen. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet. Deshalb hat er sich hier beworben und sich riesig gefreut, dass der Mann ihn angenommen hat.«
»Interessant …«, murmelte Berendtsen, als in seiner Tasche das Handy vibrierte und er auf das Display geschaut hatte. Es war Uschi. Schmitz hatte nach dem Telefonat dem Bootshaus noch einen Besuch abgestattet, um nach dem Boot zu sehen, wobei er ein Rennrad bemerkt hatte, von dem er wusste, dass es Fritz Herder gehört. Er hatte daraufhin das Kommissariat benachrichtigt.
»Fuhr ihr Freund mit dem Rad zum Bootshaus?«
»Er war immer nur mit dem Rad unterwegs. Wir haben nur ein Auto. Mit dem fahre ich zur Arbeit. Fritz fährt damit nur, wenn er muss. Wenn mal viel einzukaufen ist.«
»Können Sie das Rad beschreiben?«
Berendtsen hielt ihr das Handy vor, damit Uschi zuhören konnte.
»Ein ganz edles mattgraues Rennrad mit Scheibenbremsen und ganz kleinem Licht, vorne und hinten nur diese LEDs, schlanker Gelsattel. Ein gelbes Logo auf dem Rahmen mit einem roten Blitz.«
»Hast du gehört Uschi?«
»Es ist das Rad. Ich schicke es auf Ihr Handy, Chef.«
Schon meldete das Smartphone die Ankunft einer Nachricht.
»Könnte dieses Rad gemeint sein?«
»Das ist es. Ganz sicher. Er hatte diese Standardpedale montiert, die gar nicht zu dem Rad passen, aber er fuhr nicht immer mit Cleats. Wo steht es?«
»Es steht im Bootshaus. Der Hausmeister Schmitz hat es gefunden. Er war heute im Bootshaus und hat nach dem Rechten gesehen. Er hat das Rad erkannt.«
Uschi meldete sich wieder. »Sie haben schnell aufgelegt, Chef. Ich habe noch eine Nachricht für sie. Wir haben das Handy geortet. Der letzte Standort war in der Nähe der Hervester Brücke.«
»Wann?«
»Zehn Uhr und fünf Minuten am Montagmorgen. Danach ist es nicht mehr geortet worden.«
»Schicken Sie gleich morgen früh Taucher zu der Stelle. Wir müssen es finden!«
Frau Schwier hatte das Gespräch richtig interpretiert. Hallstein musste sie auffangen. Die Kommissare betteten Sie auf der Couch im Wohnzimmer und schoben ihr ein Kissen unter den Kopf. Dazu mussten sie einen Yogateppich mit den Straßenschuhen überqueren, was Hallstein einige Überwindung kostete. Er klopfte ihr auf die Wangen. Berendtsen kam mit einem feuchten Tuch aus der Küche und legte es auf ihr Gesicht. Das nützte. Sie kam zu sich.
»Was ist mit Fritz?«, brachte sie kaum heraus. »Ist ihm etwas passiert?«
»Sein Handy war zuletzt in der Nähe des Bootshauses zu orten. Am Ufer und auf der Brücke wurde es nicht gefunden. Es liegt wahrscheinlich in der Lippe. Wir schicken gleich morgen früh Taucher. Morgen im Laufe des Tages wissen wir mehr.«
»Was heißt ›im Laufe des Tages‹?«
»Bis morgen Abend haben Sie Bescheid. Die Lippe hat dort einige Strömung und so könnte das Telefon auch eine beträchtliche Strecke abgetrieben sein. Der Untergrund ist schlammig. Sie werden mit zwei Tauchern suchen.«
»Können wir jemanden benachrichtigen, der ein wenig auf Sie Acht gibt?« Hallstein war um die junge Frau besorgt.
Sie suchte ihr Telefon. Ein mobiler Festnetzanschluss stand neben dem Fernseher. Hallstein wählte für sie und übergab.
»Hallo Mama? Kannst du vorbeikommen? Ich bin zuhause. Ich glaube, es ist etwas Schreckliches passiert. Wir vermissen Fritz. Sein Handy suchen Taucher in der Lippe.« Sie schrie kurz auf. An Hallsteins Schulter gelehnt brach sie in Tränen aus.
Hallstein bemerkte, dass das Gespräch noch nicht beendet war. »Hallstein, Kriminalpolizei. Wir sind bei ihrer Tochter und geben Acht. Wie lange werden Sie brauchen bis hierher?«
Er blickte Frau Schwier an. »Ihre Mutter ist in fünf Minuten hier.«
Sie beruhigte sich langsam. Sie wünschte Tee. Hallstein gab sein Bestes. Er setzte sich neben sie und stützte sie vorsichthalber ein wenig ab. Vollständig war sie noch nicht bei der Sache. Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen.
»Schwier«, stellte sich die Dame vor, die ihre Tochter nicht verleugnen konnte. Die Gesichtszüge waren trotz des Altersunterschieds beinahe identisch. »Was ist passiert?«
»Wir haben Anhaltspunkte, dass der Lebensgefährte ihrer Tochter zu Tode gekommen ist. Wir müssen eventuell davon ausgehen, dass er beim Rudern einen Unfall hatte. Kollegen haben sein Rad am Bootshaus sichergestellt und sein Handy in der Lippe geortet. Das sind die letzten Informationen, die wir haben.«
Die Mutter tauschte mit Hallstein den Platz und nahm die Tochter in ihre Arme. Brigittes Weinen verstärkte sich erneut. Die Tränen verschmierten ihr Gesicht. Frau Schwier deutete den Männern an, dass sie jetzt mit ihrer Tochter allein sein wollte. Berendtsen besah sich ein Bild an der Wand, auf dem Fritz auf einem Baumstumpf sitzend eine Rast einlegte, in der einen Hand einen Schokoriegel, in der anderen einen Energy-Drink. Sein Fahrrad lag im Gras. Ein kurzer fragender Blick genügte. Die Mutter nickte. Er entnahm das Bild und steckte es ein. Auf leisen Sohlen verließen die beiden Kommissare das Zimmer. Hallstein bemerkte im Vorübergehen einen Fitnessraum mit Kraftturm und Stepper. Er blickte auf seine Uhr. Viertel nach sieben.
»Du meinst, Oliver, wir sollten Feierabend machen?«
»Wir haben nichts, was wir noch tun könnten. Wir müssen jetzt abwarten.«
»Ich hätte sie gerne noch nach dem Boot gefragt, aber das scheint mit im Moment eher unangebracht.«
Sie machten sich auf den Weg nach Recklinghausen zum Präsidium. Hallstein fuhr direkt nach Hause, Berendtsen schaute noch kurz bei Uschi vorbei. Die Taucher hatten ihren Einsatz zugesagt. Ab neun Uhr wollten sie vor Ort sein.
****
Berendtsen machte sich Sorgen um den Jungen. Eine kleine Hoffnung gab es noch. Er mochte es sich nicht vorstellen, dass ihm selbst ein Kollege die Nachricht vom Tod Maximilians oder Sophie überbringen würde, weil er oder sie durch einen Unfall das Leben verloren hätte. Irmgard und er würden es nicht ertragen. Hatte Fritz Herder noch Eltern? Er hatte Frau Schwier nicht danach gefragt. Wussten sie Bescheid? Wo lebten sie? Er schaltete das Autoradio aus. Er hatte im Augenblick keinen Sinn für Musik und banale Nachrichten von einem im Oktober anstehenden Konzert des WDR im Funkhaus Wallrafplatz. Er begutachtete seine Hand. Mit etwas Terpentin würde es gehen.
Irmgard stand in der Küche und hörte den Wagen in die Garage fahren. Sie sah ihm an, dass es einen Toten gegeben hatte. Sie kannte seine Mimik bis in die letzte Bartstoppel. Schon an der Art, wie er das Garagentor schloss, bemerkte sie, dass ihm etwas Unangenehmes widerfahren war. Sie nahm ihn an der Haustür in Empfang und zog ihn in ihre Arme.
»Es gibt keine guten Neuigkeiten in Sachen Ruderer, stimmt’s? Ich sehe es dir an.« Sie hakte ihn unter und führte ihn in seinen Lieblingssessel im Wohnzimmer.
»Erzähle.«
»Man hat ihn noch nicht gefunden, aber wie es aussieht …«
»Wie alt ist er geworden?«
»Sechsundzwanzig. Ich halte diese Ungewissheit nicht aus. Wenn ich wenigstens mit den Ermittlungen anfangen könnte, dann …«
Sie schwiegen. Beide dachten an ihre Kinder.
Es schellte. Die Presse.
»Hallo Albert, gibt es Neuigkeiten? Ich habe gerade gesehen, wie niedergeschlagen du deine Garage geschlossen hast. Habt ihr den Mann gefunden? Gehst du davon aus, dass er es nicht geschafft hat?«
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