»Berendtsen.«
»Schmitz. Guten Abend, Herr Kommissar.«
»Guten Abend Herr Schmitz. Wieder zuhause?«
»Die letzten schönen Herbsttage muss man ausnutzen, Herr Berendtsen. In den nächsten Tagen soll ein Tiefdruckgebiet unser Gebiet erreichen, hat der Wetterbericht im WDR gestern Abend verkündet.«
»Regen und Sturm. Habe ich auch gehört. Was macht die Liste? Hatten Sie Gelegenheit, sich damit zu beschäftigen?«
»Ich habe die Liste aufgerufen. Sie beinhaltet insgesamt zwanzig Boote. Das gesuchte Boot gehört einem Fritz Herder. Soweit ich mich erinnere, liegt das gesuchte Kajak auf dem Liegeplatz in der Mitte der oberen Reihe im letzten Gang. Den Liegeplan füge ich ebenfalls an. Es gibt nur das eine Boot, das infrage kommt. Ich habe es Ihnen markiert. Wenn Sie mir bitte Ihre Adresse durchgeben, maile ich Ihnen die Adressen der Besitzer.«
Während Berendtsen sich bedankte, erschien der Briefumschlag mit einem »Gong« auf der Taskleiste unten am Rand seines Bildschirms.
»Herr Schmitz, können Sie sich erinnern, wann Sie Fritz das letzte Mal gesehen haben?«
In der letzten Woche habe ich ihn mehrmals gesehen. Ich glaube, er war jeden Tag hier. Er hat wohl seine neuen Paddel ausprobiert, wie er sagte. Ich habe mich einmal kurz mit ihm unterhalten. Ich glaube am Donnerstag.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Er hat mir am Vormittag geholfen, den Müll herauszusetzen. Dabei habe ich ihn nach seinen neuen asymmetrischen Paddeln gefragt, die mir in den Tagen vorher aufgefallen waren. Sie interessierten mich. Er probierte sie aus. ›Wenn sie etwas taugen, kannst du sie gerne haben, Otto‹, hat er zu mir gesagt. Er hatte sie von einem Hersteller bekommen. Er sollte sie begutachten und eventuell eine gute Kritik schreiben.«
»Hatte er einen Schlüssel zu dem Haus?«
»Er hatte mich am Sonntag darauf angesprochen. Ich habe ihm einen überlassen, weil ich nicht jeden Morgen kommen wollte, ihm die Halle aufzuschließen. Ihm konnte ich sie anvertrauen. Er war ein ordentlicher, ehrlicher Mensch und passte immer gut auf. Wir hatten das früher schon einmal so gehandhabt. Könnte es sein, Herr Kommissar, dass Fritz von denen umgebracht worden ist, weil er eine schlechte Kritik schreiben wollte? Ich habe so etwas schon einmal im Fernsehen gesehen. Wissen Sie, Herr Kommissar, ich bin kriminalistisch sehr interessiert.«
»Schönen Dank für den Tipp, Herr Schmitz. Werde es bei meinen Untersuchungen berücksichtigen. Behalten Sie die Ansicht bitte einstweilen für sich. Unbedingt!«
»Aber Herr Kommissar! Geht selbstverständlich klar. Ich werde mich nicht in Ihre Untersuchungen einmischen. Keine Sorge.«
»Danke für die Hilfe. Wir sehen uns.«
Berendtsen legte auf, ehe Schmitz weitere Vorschläge machen konnte.
Von Herder gab es nur eine Rufnummer aus dem Festnetz. Es meldete sich der Anrufbeantworter. Er leitete die Liste auf sein Handy weiter und benachrichtigte Hallstein. Sie machten sich auf den Weg nach Lippramsdorf.
****
Die Kommissare trafen auf ein Haus, dessen Baujahr Berendtsen auf den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts taxierte. Neben den drei Stufen zur braunen, frisch lackierten Eingangstür bestätigte ein altes blaues, leicht gewölbtes Emailleschild die Hausnummer 3a, wobei der Buchstabe nur mehr andeutungsweise zu sehen war. Sie stellten fest, dass Lippramsdorf ein kleiner Ort war mit entsprechend geringer Fläche, das Auto ordentlich zu parken. Sie hatten ein wenig zu gehen. Es erinnerte Berendtsen an seine neuen Vorsätze. Drei alte abgetretene Terrazzostufen in einem grau gestrichenen kalten Treppenhaus führten die Kommissare auf einen ersten, abwechselnd mit schwarzen und weißen Mosaiksteinchen gefliesten Absatz. Von dort wand sich eine schmale Holztreppe entlang der Wände in den dritten Stock, immer unterbrochen von geraden Stücken vor jeder Wohnungstür und versetzt auf der gegenüberliegenden Seite, wie Berendtsen mit einem Blick hinauf bis zum Dachfenster feststellen konnte. Es roch nach Farbe. Ein weißes Pappschild mit einem großen Pinsel und einigen Farbtupfern mit der Aufschrift: »Frisch gestrichen« baumelte an dem hölzernen Geländer. Berendtsen ärgerte sich, weil er trotz dieser Warnung in Gedanken kurz den Handlauf berührt hatte. Oben erwartete sie eine durchtrainierte, dunkelblonde junge Dame. Berendtsen schätzte sie auf Ende zwanzig.
»Brigitte Schwier«, stellte sie sich vor. »Stimmt die Aufschrift auf dem Hinweisschild des Malers?«, lachte sie mit Blick auf den Mann, der seine Hand begutachtete. Ihr schlanker, beinahe dünner Körper steckte in einem enganliegenden türkisfarbenen Oberteil und einer ebenso engen Stretch-Hose, deren Bund die Farbe des Oberteils wiederholte. Bauchfrei. Barfuß. Ein Frotteetuch lag über ihren Schultern und sie wischte sich letzte Schweißperlen aus dem Gesicht. Die Haare waren mit einem Gummiband zusammengehalten.
»Entschuldigen Sie, wenn wir Sie beim Training gestört haben. Wir sind von der Kriminalpolizei. Berendtsen, mein Kollege Hallstein. Wir möchten uns nach Fritz Herder erkundigen.«
»Fritz ist nicht hier. – Möchten sie sich kurz die Hände waschen?«
»Danke, aber es reicht fürs Erste«, entgegnete Berendtsen und rieb sich die Hände an einem Papiertaschentuch. Sie nahm es ihm freundlicherweise ab und entsorgte es im Mülleimer unter ihrer Spüle.
»Wann haben Sie Ihren … Lebensgefährten, nehme ich an, zuletzt gesehen?«
»Das habe ich Ihren Kollegen bereits mitgeteilt. Am letzten Montag nach dem Frühstück. Ich bin zur Arbeit gefahren und Fritz wollte zum Bootshaus an der Lippe in Hervest. Als er abends nicht nach Hause gekommen war und ich ihn über sein Handy nicht erreichen konnte, habe ich mir Sorgen gemacht. Am anderen Morgen habe ich die Polizei angerufen. Sie haben alles aufgenommen und gesagt, ich solle mich heute noch einmal melden. Das habe ich heute Mittag getan. Haben Sie Nachricht?«
»Wir suchen ihn. Wann haben Sie zum letzten Mal versucht, ihn zu erreichen?«
»Gerade eben. Nichts.« Sie hielt das Telefon noch in der Hand. »Ich habe ihm auch eine SMS geschickt. Keine Reaktion.«
»Wenn Sie uns die Handynummer ihres Freundes verraten, lassen wir ihn orten.«
Hallstein las die Nummer auf ihrem Smartphone und leitete die entsprechenden Maßnahmen ein.
»Glauben Sie, dass ihm etwas passiert ist?« Angst schien in ihr aufzusteigen. »Sagen Sie es ehrlich. Diese Ungewissheit macht mich krank.«
»Frau Schwier, wir haben keinerlei sichere Anhaltspunkte für einen Unfall ihres Freundes«, beruhigte Berendtsen. »Wir melden uns, wenn es Neues gibt.«
»Freunde und Bekannte haben Sie schon gefragt?«, fuhr Hallstein fort.
»Nichts. Ich habe all seine Kontakte abtelefoniert.«
»Auf seinem Computer sind keinerlei Hinweise zu finden?«
»Ich habe schon versucht, den Rechner zu starten. Ich hoffte, Hinweise auf dem Film zu finden, mit dem er sich so intensiv beschäftigt hat. Leider habe ich unser Passwort nicht. Er hat es mir vorgestern in mein Handy geschrieben, als er es geändert hatte, aber ich kann es nicht finden. Ich werde es suchen. Wir hatten immer ein einfaches Passwort. Jetzt hat er ein sehr langes und kompliziertes. Ich saß gerade vor den Tagesthemen und habe nur halb hingehört. Wer konnte ahnen, dass es wichtig wird? Er hatte viel Mailverkehr in den letzten Tagen. Dauernd pingte sein iPhone. Ich werde mein Handy genau durchsuchen. Ich kann auch nicht auf meine Daten zugreifen.«
»Sie sagen, er hat sich intensiv mit einem Film beschäftigt. Um welche Aufnahmen handelt es sich?«, fragte Hallstein.
»Es waren die Videos des Trainings am letzten Sonntag, also vor acht Tagen.«
»Wen hat er trainiert?«
»Er hat die Sportler während des Trainings beobachtet und kontrolliert.«
»Im Trainingszentrum von Professor Dr. Kötter?«, vermutete Hallstein.
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