Die Harrigans konnten ihre Verwandtschaft nicht leugnen, da sie alle die gleichen blonden Locken besaßen. Carl war von stämmiger Statur, während seine Frau eher zierlich wirkte. Susan mochte vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein und begann sich langsam zur Frau zu entwickeln. Sie musterte die Dunhills und schien sich noch nicht sicher zu sein, was sie von ihnen halten sollte.
Matt hatte eigentlich erwartet, dass Harrigan sie auffordern würde, ins Haus zu kommen. Es war ein Gebot der Gastfreundlichkeit und zudem mussten die Ranchbewohner doch sicherlich neugierig sein, was sich in der Welt um sie herum tat, doch der Mann machte keine Anstalten, Matt und Mary-Anne zum Aussteigen aufzufordern.
Die unerwartete Distanziertheit des Ranchers irritierte Matt. Er räusperte sich verlegen. „Wir, äh, verbringen ein paar Tage Urlaub in Lenningstown. Vielleicht können Sie uns ein paar Tipps geben, was hier in der Gegend einen Ausflug lohnt?“
Plötzlich meldete sich die junge Susan zu Wort: „Pa, der ist ein Major der Kavallerie. Sag es ihm! Sag ihm, dass sie Mörder sind!“
Carl Harrigan zuckte zusammen. „Lydia!“
Seine Frau reagierte prompt. Sie wandte sich um und zerrte die Tochter mit sich durch die Tür ins Haus.
„Du musst es ihnen sagen!“, hörten Matt und Mary-Anne noch die verzweifelt klingende Stimme des Mädchens, dann wurde die Tür geschlossen.
Harrigan räusperte sich nun ebenfalls. „Tut mir leid, hier in der Gegend gibt es nicht viel, was sich anzusehen lohnt“, sagte er, als habe er die Worte seiner Tochter nicht gehört. „Jedenfalls empfehle ich Ihnen, auf dem südlichen Ufer zu bleiben. Wir hatten in den letzten Tagen eine Menge Ärger mit Wölfen auf unserer Seite. Sie sollten darauf achten, dass Ihrer Lady nichts geschieht, Mister Dunhill. Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen? Wir müssen raus und das Vieh versorgen.“
Der Hinauswurf war ebenso unerwartet wie deutlich.
Matt tippte grüßend an sein Kepi und zog das Gespann herum.
Während sie vom Hof der Ranch rollten, sah Mary-Anne hinter sich. „Matt, du weißt, ich bin nicht ängstlich, aber in dieser Gegend geht etwas vor sich und ich würde mich wohler fühlen, wenn du deine Kompanie bei dir hättest.“
Matt fühlte sich ebenfalls unbehaglich. Die schroffe Abweisung durch die Ranchbewohner stand im krassen Gegensatz zu der überschwänglichen Freundlichkeit des Hotelbesitzers. Matt war auf seinen Kavalleriepatrouillen zahlreichen Ranchern und Farmern begegnet und war sich sicher, nur sehr selten so unfreundlich abgewiesen worden zu sein.
„Fahren wir in die Stadt zurück“, meinte er. „Mir ist der Appetit auf ein Picknick vergangen.“
Sie erreichten die Brücke gleichzeitig mit einem Reiter, der aus Richtung der Stadt kam und einen weißen Schimmel ritt, der gegen den Schnee kaum auszumachen war. Der Mann trug Jacke und Hose aus wärmendem Schafsfell und hob sich ebenfalls kaum von dem hellen Hintergrund ab. Als er die Kutsche entdeckte, zügelte er sein Pferd, um auf sie zu warten.
„Marcus Delano Croyden“, stellte er sich vor und nickte Mary-Anne zu. Sein Blick traf Matts Rangabzeichen. „Ein Major ist ein seltener Anblick in unserer Gegend, Mister. Was treibt Sie denn ausgerechnet nach Lenningstown?“
„Urlaub und nach einem Jahr die günstigste Gelegenheit, meine Frau endlich einmal wiederzusehen“, antwortete Matt reserviert.
Croyden grinste. „Ihre Lady wird Sie sicher für die einsame Gegend hier entschädigen“, sagte er im Versuch, galant zu sein. „Ich empfehle Ihnen, in der Stadt zu bleiben und die Zweisamkeit zu genießen.“ Das Gesicht des hageren Manns wurde hart. „Seitdem ihr Blaubäuche am Sand Creek das Indianerlager niedergemetzelt habt, ist es auch hier nicht mehr sicher. Noch vor Wochen konnte ich mit den Roten Wild und Häute tauschen. Manchmal sind sie sogar zur Ranch von Harrigan gekommen. Doch seit dem verdammten Gemetzel lässt sich keiner mehr blicken und ich wette, die hecken etwas aus.“
„Mein Mann ist für das Massaker nicht verantwortlich“, fühlte sich Mary-Anne genötigt, ihren Matt zu verteidigen. „Unser Sohn ist ebenfalls Offizier und sagt gegen den Verantwortlichen aus. Matt mag schon gegen Indianer gekämpft haben, aber dennoch ist er ihr Freund.“
„Yeah, ganz sicher.“ In der Stimme des Jägers lag Spott. „Ist heutzutage aber kein Problem, Freunde, Brüder und Verwandte umzubringen, nicht wahr? Das zeigt euer verfluchter Krieg ja deutlich genug.“
Croyden nickte ihnen nochmals zu, bevor er sein Pferd antrieb und in Richtung der Ranch ritt.
„Mister Tucker scheint mir der Einzige zu sein, der sich über unseren Besuch in Lenningstown freut“, knurrte Matt missmutig. „Fahren wir wieder zum Union Star. Für heute reicht mir der Anblick unfreundlicher Gesichter.“
Kapitel 4 Ein verhängnisvolles Jahr
Das Abendessen im Restaurant des Union Star war gut und es war reichlich. Im Anschluss daran bat Mister Tucker das Ehepaar Dunhill in den Saloon hinüber, wo der angekündigte Wettbewerb der Hausmusikanten stattfinden sollte. Der Saloon entsprach immerhin weitestgehend dem Klischee, welches man sich im Westen von solch einem Etablissement machte. Der Tresen nahm die gesamte Stirnbreite des Raums ein. Gut bestückte Regale mit zahlreichen Flaschen zogen sich die Wand entlang, dazwischen hing ein großes Gemälde. Es zeigte eines der im Augenblick beliebten Motive, einen großen Wagentreck, der nach Westen rollte. Mister Tucker hatte die Kosten auf sich genommen und ein Piano heranschaffen lassen, doch an diesem Abend konnte dessen Spieler pausieren. Die runden Tische und die Stühle waren umgruppiert worden und ließen an einer der Seitenwände eine Fläche für die Familien mit ihren Instrumenten frei.
Es zeigte sich wieder einmal, dass sich viele Bewohner des Westens und der kleinen Städte auf das Spielen eines Instruments verstanden. Fidel, Geige und Banjo, Mundharmonika, Waschbrett und eine Reihe von Blas- und sogar Zupfinstrumenten kamen zum Einsatz und unterstützten die Stimmen der Sängerinnen und Sänger. Die Talente mochten sich unterscheiden, doch allen war anzumerken, wie viel Freude ihnen der Abend bereitete. Das Publikum ging mit und klatschte im Takt, stampfte mit den Füßen und stimmte in die Refrains mit ein.
Es wurden einige der populären patriotischen Stücke dargeboten, doch die meisten Gruppen bevorzugten die traditionelle Folklore.
„Wir machen das regelmäßig“, erklärte Mister Tucker. „Von Anbeginn an, denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Abende den Gemeinschaftsgeist fördern.“
„Dem kann ich nur zustimmen“, sagte Mary-Anne lächelnd. „Solche Abende werden auch in den Forts und Camps veranstaltet, in denen wir vor dem Krieg stationiert waren, und ich bin mir sicher, in den großen Lagern unserer Soldaten, da ist es nicht anders.“
„Sie sagten gerade, dass Sie diese Abende seit Gründung der Stadt veranstalten“, hakte Matt nach. „Seit wann existiert Lenningstown eigentlich?“
„Es ist jetzt das sechste Jahr.“ Mister Tucker winkte einem Angestellten, damit er die Gläser nachfüllte. „Wir sind mit der Entwicklung zufrieden, auch wenn wir erst rund vierhundertfünfzig Einwohner zählen.“
„Die Katastrophe in diesem Jahr hat sie sicherlich schwer getroffen“, meinte Matt mitfühlend.
Phil Tucker runzelte die Stirn. „Katastrophe? Was für eine Katastrophe?“
„Wir kamen während unseres Ausflugs am Friedhof vorbei und entdeckten, dass innerhalb kurzer Zeit rund achtzig Mitbürger verstorben sind.“
„Oh.“ Tuckers Gesicht war einen Moment unbewegt. Er schien zu überlegen, bevor er sich zu einer Antwort entschloss: „Es war ein tragischer Zwischenfall, über den wir nicht gerne sprechen. Der Schmerz ist einfach noch zu groß.“
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