„Darf ich fragen, was geschehen ist?“
„Eine Bürgerversammlung im alten Rathaus.“ Tucker wies um sich. „Das Union Star ist nur ein Notbehelf, bis das neue Rathaus steht.“ Er sah die Neugierde in den Blicken des Paares und zuckte mit den Schultern. „Ein Feuer. Es brach während der Versammlung aus. Der größte Teil von uns konnte dem Brand entkommen, aber dann stürzte ein Deckenbalken herab und blockierte die einzige Tür. Eine Tragödie, eine wirkliche Tragödie.“
Tucker fischte ein Tuch aus seiner Jacke und tupfte sich die Augenwinkel.
Mary-Anne sah ihn mitfühlend an. „Wir fühlen mit Ihnen und den anderen, Mister Tucker. Ich bedauere, dass wir diese Wunde aufgerissen haben.“
Der Besitzer des Union Star lächelte halbherzig. „Nun, man muss sich wohl der Vergangenheit stellen, um für die Zukunft offen zu sein, nicht wahr? Ich wäre Ihnen aber verbunden, wenn wir nicht mehr darüber reden würden, ja?“
„Selbstverständlich.“ Matt nickte, doch eine Frage bewegte ihn noch. Immerhin hatte der Sergeant berichtet, dass man die Soldaten in der Stadt nicht besonders schätzte. „Die Soldaten des Depots … Konnten sie nicht helfen? Im Depot muss es doch sogar einen Spritzenwagen geben.“
Tuckers Gesicht verzerrte sich für einen Moment. „Wenn Sie den Captain dieses Depots kennen würden, dann würde sich Ihnen diese Frage gar nicht erst stellen, Mister Dunhill. Der Mann ist ein verdammter Säufer. Verzeihung, Ma’am.“
Mary-Anne nickte. Matt blickte verlegen drein. Es war nicht selten, dass Soldaten auf einsamen Posten zu Alkoholikern wurden. Kurz vor Ausbruch des Kriegs hatte Matt den Kommandanten eines abgelegenen Forts ablösen müssen, da dieser nicht mehr in der Lage gewesen war, seinen Dienst zu versehen, und das, während der Stützpunkt von Verrätern und kriegerischen Indianern bedroht worden war.
Tucker deutete zur nächsten Musikgruppe, die gerade ihre Plätze einnahm. „Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss mich noch um ein paar dringende Angelegenheiten kümmern. Genießen Sie den Abend. Ich will sehen, ob ich für Sie nicht für den morgigen Tag etwas Besonderes vorbereiten kann.“
„Für den morgigen Tag wird es nicht erforderlich sein.“ Matt lächelte freundlich. „Ich hatte versprochen, mit meiner Frau das Depot zu besuchen.“
„Verstehe. Nun, das wird sicher ein interessanter Tag für Sie beide.“
Kapitel 5 Das versteckte Camp
Das Camp lag in einer tiefen Schlucht, zwischen den Bergen und dichten Wäldern. Die hohen Felswände und Nadelbäume boten ausgezeichneten Sichtschutz und der Weg, über den man es erreichen konnte, war kaum zu erkennen und wurde gut bewacht. Es gab ausreichend Platz für einige Hundert Kavalleristen und deren Pferde, und im Sommer sicherlich auch ausreichend Futter. Jetzt, im Winter, war das anders und man hatte sorgfältige Vorbereitungen darauf verwendet, die Soldaten zu dieser Zeit heimlich zu diesem Ort zu bringen und mit allem zu versorgen, dass sie zum Überleben benötigten. Es hatte Wochen gedauert und die Vorbereitungen für die Mission der Reiter hatten bereits im Herbst begonnen. Für die 11th Alabama Cavalry, die „Black Raiders“, war das ungewöhnlich, denn sie waren darauf spezialisiert, blitzschnell über die Grenze in das Hinterland des Feinds vorzustoßen, in überraschenden Angriffen ein Maximum an Schaden anzurichten und sich dann ebenso rasch wieder zurückzuziehen.
Obwohl die Männer alle zumindest Teile konföderierter Uniformen trugen, ritten sie nicht unter der Fahne des Südens, sondern unter einer schlichten schwarzen Flagge, die für viele Yankees zum Symbol des Tods geworden war. Die 11th Alabama verschonte keinen Gegner und gewährte keinerlei Pardon. Wer Gegenwehr leistete, der war des Todes. Dies hatte sich für die Guerillatruppe bereits ausgezahlt, denn oft wandte sich der Feind ohne Gegenwehr zur Flucht, wenn er das schwarze Banner zu Gesicht bekam.
Die Reiter griffen keineswegs nur militärische Einrichtungen oder Bewaffnete an. Ihr Ziel war es, den Feind durch Terror zu demoralisieren, und sie hatten keine Skrupel, unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder zu töten. Selbst im Süden sah mancher sie daher nicht als Soldaten, sondern bezeichnete sie als gnadenlose Schlächter. Da sie jedoch unbestreitbar Erfolge zu verzeichnen hatten und kein Ende des Kriegs gegen die Yankees abzusehen war, duldete man die „Black Raiders“. Ihrem Kommandeur, Colonel Cassius, war dies nur recht, denn seine Truppe bewegte sich weitestgehend außerhalb der normalen Befehlsstruktur und konnte eigenständig operieren.
Dies galt seit den drei Jahren, in denen die „Black Raiders“ nun bestanden. Doch dieser Raid hoch nach Norden, in das Territorium von Nebraska, unterschied sich von ihren bisherigen Einsätzen. Das Ziel war dermaßen verlockend, dass sich Cassius erstmals bereitwillig dem Wunsch von Lucius Pembroke beugte und den Oberbefehl von General Amadeus Ferroman akzeptierte. So warteten die Guerillas nun auf das Eintreffen des Generals, der erhebliche Verstärkungen heranführen sollte.
Im Augenblick dachte Cassius allerdings kaum an die Bedeutung der Mission. Er hatte eine ungemütliche Nacht in einer provisorischen Hütte aus Zweigen und Decken verbracht. Der Wind hatte durch jede der Ritzen gepfiffen. Cassius fror erbärmlich und das galt sicher für die meisten seiner knapp zweihundertvierzig Reiter. Sie alle lagerten in den üblichen „A“-Zelten, in denen zwei bis drei Männer schlafen konnten. Die Bezeichnung der Zelte rührte von ihrer Form her. Die Seitenwände waren so steil, dass senkrecht fallender Regen von der Leinwand abperlte. Der Boden jedes Zelts war mit Zweigen ausgelegt und weitere bedeckten einen guten Teil der Seitenwände, um besseren Witterungsschutz zu gewährleisten. Doch trotz dieser Maßnahmen und der Decken und Mäntel waren die Nächte bitterkalt.
Das einzige Kleidungsstück, welches Cassius und seine Männer zur Nacht ablegten, waren die Stiefel. Die Füße mussten trocken und sauber bleiben, denn jeder wusste, was wunde Stellen und Entzündungen bedeuteten.
Immerhin konnte man im Camp kleine Feuerstellen unterhalten, auch wenn man strikt darauf achten musste, nur absolut trockenes Holz zu verwenden, damit kein verräterischer Rauch entstand. An den Feuern konnte man sich aufwärmen, heißen Kaffee genießen und sich eine warme Mahlzeit zubereiten. Dinge, die für die Moral einer Truppe im Winter sehr wichtig waren.
Cassius hatte eine weitere Verwendung entdeckt, denn er gab der Wache am Abend seine Stiefel und ließ diese am Morgen vorwärmen. Eine Wohltat, wenn die kalten Füße dann von dem warmen Leder umschmeichelt wurden.
Ein kleiner Bach verlief durch die Schlucht und bot Männern und Pferden genügend Wasser. Die Körperpflege war allerdings auf ein Minimum reduziert. Etwas Wasser über Gesicht und Hände, das musste bei der Kälte reichen. Cassius hatte früher gegen Seminolen und Komantschen gekämpft und dabei gelernt, dass man den Feind in der Nacht eher riechen als sehen konnte, und er musste akzeptieren, dass das im Moment wohl auch für seine Truppe galt.
Er selbst trug eine braune Hose, die graue Jacke eines Colonels der konföderierten Kavallerie und einen brauen Schlapphut, mit der goldschwarzen Eichelschnur eines toten Yankee-Offiziers. Seine Männer legten Wert darauf, dass die Rangabzeichen an ihren grauen, butternutfarbenen oder zivilen Jacken das Gelb der Kavallerie aufwiesen und sie legten Wert auf die beiden rechteckigen schwarzen Flicken, die jeder an den Unterarmen der Jacke aufgenäht hatte. Sie zeigten an, dass er ein Mann der „Black Raiders“ war und dass jeder Feind ihm besser aus dem Weg ging.
Cassius seufzte erleichtert, als er seine Stiefel wieder trug und einen Becher heißen Kaffees in Händen hielt. Während er seine Finger wärmte, sah er den First-Sergeant, der über die Feuerstelle wachte, fragend an. „Wie war die Nacht, Sarge?“
Читать дальше