Es war ein ausgezeichneter Schuss. Die vierkantige Stahlspitze traf exakt das Loch, welches der Lichtschneider gebrannt hatte, vergrößerte es, indem sie den Panzer durchdrang.
Erst jetzt reagierte der Krebs auf den Schmerz. Er richtete sich steil auf und warf sich zugleich nach vorne, um dem Ding zu entgehen, welches ihn von hinten getroffen hatte. Diese Bewegung spannte das Drahtseil zwischen Kanone und Harpune. Durch den Zug des Seiles klappte die vierkantige Spitze auseinander, zerschnitt Gewebe und wurde zu einem breiten Anker, der sich innerhalb des Panzers verkeilte.
„Wir haben ihn!“, brüllte Kane-Lano erregt. „Ruder Hartlage rechts! Maschine stopp! Und jetzt macht den Kerl fest!“
„Hartlage rechts und stopp!“, bestätigte Farrel-Tuso, der mit dem Rudergänger am Rand drehte und seine Anweisung in das Sprachrohr schrie.
Das Schiff reagierte auf die Bewegung, als die Ruderzüge die beiden Steuerkufen am Heck drehten. Es schwenkte nach rechts und der scharfe Bug verfehlte den Krebs nur knapp.
Das Tier war in Bewegung. Das gespannte Drahtseil der Harpune riss die Kanone herum. Desara und Kane-Lano konnten gerade noch verhindern, dass sie geköpft wurden.
„Fallen Anker!“, befahl der Kapitän. „Und legt ihn endlich fest! Fixiert den Kerl, sonst reißt er uns das Schiff auseinander!“
Normalerweise hatte ein Krebs kaum eine Chance gegen die Masse des Schiffes, doch dies war ein besonders großes Exemplar und es bewegte sich im instinktiven Bemühen, die Quelle des Schmerzes loszuwerden. Es stemmte sich gegen den Zug der Harpunenleine und seine beiden großen Sandschaufeln schlugen ungezielt um sich.
Haltekeile wurden aus den Zahnstangen geschlagen und die vier Pfahlanker klatschten in den Sand, gruben sich durch ihr Eigengewicht ein. Matrosen rannten mit ihren Wurflanzen zur rechten Schiffsseite, um die Waffen auf den Krebs zu schleudern.
Die Halterung der Harpunenkanone ächzte. Knallend löste sich ein Niet, der sie am Deck fixierte. Die Lafette drehte sich ein wenig und begann sich zu neigen.
Eine Sandschaufel des Krebses fuhr an der Reling entlang. Holz und Stahl gaben nach und zwei Matrosen wurden erfasst und über das Oberdeck geschleudert. Einer von ihnen verschwand über die Reling der anderen Seite. Blut spritzte über das Deck.
Wurflanzen wurden mit aller Kraft geschleudert. Einige prallten ab, andere drangen in den Panzer. Matrosen versuchten die Drahtseile zu spannen, aber gegen die Kraft des Krebses kamen sie noch nicht an.
„Anschabb!“, fluchte der Kapitän erregt. „Legt ihn endlich an die Seile!“ Er duckte sich, als erneut eine Sandschaufel des Krebses über den Bug strich. Zwei weitere Nieten lösten sich an der Lafette der Kanone.
Desara bewies ihren außergewöhnlichen Mut, als sie die Verschraubung des Lichtschneiders löste, um diesen von der Kanone zu trennen. Waffe und Drahtseil waren in konstanter Bewegung und unter hoher Spannung. Eine winzige Unachtsamkeit oder das Reißen des Seils würde der Harpunierin das Leben kosten.
Doch Desara war nicht bereit, die Beute entkommen zu lassen. Es gelang ihr, den Lichtschneider zu lösen. Sie warf einen Blick auf das klobige Gerät. „Geladen“, ächzte sie erleichtert und richtete es auf den Schädelwulst des Krebses.
Der Impuls brannte ein Loch in den dicken Schädelpanzer.
Es war ein glücklicher, wenn auch nicht tödlicher Treffer, denn die Bewegungen des Krebses wurden deutlich langsamer und weniger kraftvoll.
„Legt ihn fest!“ Der Kapitän wusste nicht, wie oft er dies nun schon geschrien hatte.
Matrosen ließen sich über Strickleitern auf den Boden des Sandmeeres hinunter, begannen die Beute zu umkreisen. Andere folgten den Lanzenwerfern mit großen Hämmern und Stahlstangen, die sie nun tief in den Sand trieben, um daran die Seile der Lanzen einzuklinken. Die Seile jener Lanzen, die inzwischen festen Halt gefunden hatten, wurden nun zunehmend gespannt und nahmen dem verwundeten Tier immer mehr Bewegungsfreiheit.
Eine der Verankerungen wurde aus dem Boden gerissen und vier Matrosen wirbelten über den Sand.
Desara setzte alles auf einen glücklichen Wurf. Sie klinkte das Harpunenseil der Kanone aus und ließ dem Tier mehr Freiheit, während sie hastig eine neue Harpune lud. Von den Matrosen ertönten erbitterte Flüche, da sie das verwundete Tier kaum halten konnten, obwohl inzwischen ein Dutzend Ankerseile gespannt wurden.
Desara visierte jene Stelle an, an welcher der Lichtschneider den Schädelwulst des Krebses perforiert hatte und schoss.
Als sich die Harpunenspitze spreizte, war es vorbei.
Der Krebs erstarrte für einen Moment, dann fiel er haltlos vornüber. Der Ruck riss die Lafette der Harpunenkanone endgültig aus dem Deck und der Sand erbebte, als der mächtige Leib des Tieres aufschlug. Dann herrschte einen Moment Stille, nur vom Stöhnen einiger Verletzter unterbrochen, bevor Jubel aufbrandete.
„Bei den Göttern und den Vorfahren, was für ein prachtvoller Krebs!“, rief Kane-Lano erleichtert und blickte auf die Beute hinunter. „Erweisen wir ihm den gebührenden Respekt.“
„Gedenkt der Beute!“, dröhnte Farrel-Tusos Stimme über das Deck.
Kane-Lano legte die Fingerspitzen an die Schulter. „Möge dein Dasein seinen Frieden im ewigen Meer des Sandes finden“, wünschte er dem besiegten Gegner. „So, wie es dir gebührt.“
Die Männer und Frauen erwiderten die Geste. „So, wie es dir gebührt“, wiederholten sie.
Der Kapitän klatschte in die Hände. „Versorgt die Verwundeten und dann weidet unsere Beute aus! Beeilt euch, es wird nun rasch dunkel!“
Die Scheinwerfer erwachten zum Leben, während sich die Besatzung über den Kadaver des Krebses hermachte. Trotz des ungewohnt dicken Panzers zerteilten sie den Körper in überraschender Schnelligkeit. Fässer wurden vom Oberdeck des Sandschiffes herabgelassen, mehrere Feuerstellen mit Braunstein entfacht, über denen große Kessel in ihren Dreibeinen hingen. Kostbares Wasser begann zu brodeln.
Mit Beilen, Hämmern und Metallkeilen wurde der Panzer weiter geöffnet. Einige seiner Stücke würde man herausbrechen und mit Gewinn verkaufen. Scharfe Klingen zerteilten das Gewebe. Das schmackhafte Fleisch wanderte in bereitstehende Fässer. Was nicht genießbar war, warf man in die Kessel, kochte es aus, um daraus Fett zu gewinnen. Dies galt ebenso für die bereits öligen Körperflüssigkeiten des Kadavers, die auf diese Weise noch verfeinert werden konnten. Öl und Fett wurden abgeschöpft und ebenfalls in Fässer umgefüllt. Einige Gelehrte behaupteten, ein Krebs sondere seine organische Flüssigkeit auch durch Poren im Panzer ab, was es ihm ermögliche, so leicht durch das ewige Sandmeer zu gleiten.
Maat Josch-Ugo hackte mit zwei anderen Matrosen die Innereien aus der mächtigen Höhle, die der zunehmend leere Panzer bildete. Ihnen ging es nicht alleine darum, das Gewebe vom Panzer zu lösen, sondern vor allem um den großen Magensack, der sich im hinteren Ende des Leibes befand. Unter den dortigen Magensteinen fanden sich immer wieder kostbare Funde.
Josch-Ugo durchtrennte die Außenhaut und sprang zur Seite, damit ihn die Magensäfte des Kadavers nicht trafen. Eine breiartige Mischung gelangte ins Freie. Der Maat nahm eine Metallstange und stocherte darin herum, ignorierte den bestialischen Gestank, bis er auf feste Gegenstände stieß. Geschickt förderte er sie aus dem Brei heraus. Ein paar große Felsbrocken aus Gebirgsgestein und Braunfels, rund geschliffen von den Bewegungen des Magens. Dann ein paar wertvolle Edelsteine. Schließlich stieß Josch-Ugo auf den kopfgroßen Klumpen eines blau schimmernden Kristalls. „Ruft den Käpt´n, Jungs. Wir können uns ein neues Schiff kaufen.“
Kane-Lano eilte herbei und betrachtete den Fund des Maats. „Bei den Göttern und Vorfahren, das ist der größte Fund, den man je gemacht hat. Du hast Recht, Josch-Ugo, für diesen Brocken werden uns die Sternenmenschen den Preis eines ganzen Sandschiffes zahlen.“
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