Sein Freund widmete sich wieder der Karte und ihren Markierungen. „Weiter nach Norden würde mir jedenfalls nicht gefallen. Zu dicht am großen Wall und zu dicht an den Plünderern. Die wagen sich in letzter Zeit immer öfter nach Süden. In der Stadt haben sie erzählt, dass die Kerle vor zwei Monaten ein Sandschiff aufgebracht haben. Es gab keine Überlebenden und das Schiff wurde vollkommen geplündert und ausgeschlachtet.“
„Keine Überlebenden? Und wie hat man davon erfahren?“
„Ein Flieger der Sternenmenschen fand das Schiff, hat es gefilmt und die Aufnahmen dem Oberherrn der nächsten Wasserstadt übergeben.“
„Sehr freundlich von den Sternenmenschen.“ Der Spott in der Stimme des Kapitäns war nicht zu überhören. „Uns wäre mehr geholfen, wenn sie uns rechtzeitig vor den Plünderern warnen würden.“
„Sie sagen, sie würden sich nicht einmischen.“
„Natürlich nicht. Solange Plünderer und wir aufeinander losgehen, haben die Sternenmenschen nichts zu befürchten.“
Farrel-Tuso sah seinen Kapitän überrascht an. „Würdest du etwa gegen sie kämpfen?“
„Wenn es erforderlich ist.“
„Sei kein Narr, alter Freund. Wir hätten keinerlei Chance gegen sie. Eines ihrer Sternenschiffe könnte unser gesamtes Volk auslöschen.“
Kane-Lano trat an einen Schrank, dessen Vorderseite verglast war und öffnete ihn. Er zog einen armlangen Gegenstand hervor und zeigte ihn Farrel. „Siehst du dies? Früher wäre es uns leicht gefallen, die Sternenmenschen zu vertreiben.“
„Dieser Impulsstrahler ist nichts als ein Artefakt aus vergangener Zeit“, erwiderte Farrel. „Die Macht der Vergangenheit ist erloschen und das ist auch gut so. Was hat sie uns denn gebracht, die alte Macht? Nichts als einen globalen Krieg und die Vernichtung. Und jetzt redest du plötzlich vom Kampf gegen die Sternenmenschen?“
Der Kapitän atmete tief durch und kreuzte verneinend die Arme vor der Brust. „Natürlich hast du recht. Ich sprach unbedacht.“ Er schob die funktionsunfähige Waffe wieder in ihre Halterung zurück und schloss den Schrank. „Ich kann schon nicht mehr klar denken, aus Sorge um einen guten Fang. Wir brauchen einen guten Fang, denn wir haben einige Reparaturen durchzuführen, die wir mit unseren Mitteln nicht vornehmen können. Alter Freund, wenn wir ohne Fang zurückkehren, dann wird es wohl keine neue Fangfahrt mehr geben, denn mir fehlt das Geld für die Reparaturen, für neue Vorräte und für frisches Wasser. Ich kann gerade noch die Pflichtheuer für die Mannschaft zahlen, dann bin ich bankrott.“
„Anschabb!“, fluchte der Obermaat. „So schlecht steht es?“
Kane-Lano stampfte zustimmend mit dem Fuß, schenkte ihnen nach und leerte sein Glas mit einem Zug. „Wenn wir in vier Tagen noch keinen Fang gemacht haben, und ich meine einen wirklich guten Fang, dann müssen wir umkehren.“
„Bei den Göttern und Vorfahren, ich spürte ja schon eine ganze Weile deine Unruhe, aber ich habe nicht geahnt, dass es so schlecht um uns steht.“ Auch Farrel-Tuso leerte nun sein Glas, nahm die Karaffe aus der Hand des Kapitäns und schenkte seinerseits nach. „Wie kommt das? Wir hatten doch gewinnbringende Fahrten.“ Er runzelte die Stirn. „Du hast gespielt?“
„Das Glück ist launisch“, seufzte Kane-Lano.
„Warum bist du dann dieses Risiko eingegangen?“
„Weil wir eine Welle für das rechte Schaufelrad benötigen und ein paar Schaufeln gleich dazu.“ Der Kapitän grinste kläglich. „Es sah erst sehr gut aus. Die Würfel fielen, wie ich es brauchte, aber dann gelang mir kein einziger Wurf mehr.“
„Du bist auf den ältesten Trick von ganz Negaruyen hereingefallen.“ Farrel-Tuso zupfte an seinem Kinnzopf. „Hast du nur Münzen verspielt oder musstest du Schulden machen?“
„Zwanzig Prozent der Saranvaal gehören jetzt Kell-Veso.“
„Dem Händler in Benilan? Diesem verdammten Kehlendurchschneider?“
„Ein guter Krebs und ich löse seine Anteile ab und wir können das Schiff reparieren.“
„Dann werde ich zu den Göttern und Vorvätern beten, dass …“
Der Ruf drang nur schwach durch die Decks und doch elektrisierte er die beiden Männer.
„Kreeeeebs! Kreeebs! Da spuckt er!“
„Ein Krebs“, ächzte Farrel-Tuso. „Dabei habe ich noch nicht einmal mit dem Gebet begonnen …“
Kane-Lano schlug erregt die Hände gegeneinander. „Ich wusste es. Dieses ungewöhnliche Herumgetanze der Plattensteher kam mir doch gleich seltsam vor!“
Sie stellten die Gläser auf den Tisch und eilten zur Tür, stießen kurz zusammen, da sie gleichzeitig nach draußen drängten.
„Ein Krebs!“, rief Kane-Lano dem Obermaschinisten zu. „Wann sind wir unter Dampf?“
Glen-Tuso war bereits dabei, eine Lunte anzuzünden, während ein Dampfschrauber eifrig Braunsteine in den Feuerkessel schaufelte. „Der Wasserstand ist gut. In einem Sechsundzwanzigstel haben wir genug Dampf für die Schaufelräder.“
Das Sechsundzwanzigstel eines Tages …
„Das muss schneller gehen, Glen“, forderte Farrel-Tuso seinen Bruder auf und folgte dem Kapitän zum Aufgang, der auf das Hauptdeck führte. „Der verdammte Krebs darf uns nicht entkommen!“
„Ich musste das Feuer löschen, damit wir die Maschine endlich richtig säubern konnten“, erwiderte Glen-Tuso erbost. „Ich kann nur guten Dampf liefern, wenn die Maschine auch gereinigt ist. Ja, ja, wir beeilen uns. Du kannst den Krebs ja so lange festhalten, bis du die Ventile pfeifen hörst.“
Farrel stieß ein wütendes Schnauben aus und folgte Kane-Lano, der bereits zum Hauptdeck hinaufstieg, wo ihm mehrere Matrosen mit Körben voller Braunfels begegneten.
„Ein Krebs!“, meldete einer von ihnen erregt. „Murna hat einen Krebs gesichtet!“
„Ich bin ja nicht taub. Schafft den Braunstein in den Bunker und macht euch fertig für die Jagd“, befahl der Kapitän und erreichte endlich das Oberdeck. Für einen Moment schlossen sich die Nickhäute, um die Augen vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen. Er sah zum Mastkorb des Ausgucks hinauf, wo die Matrosin Murna Ausschau hielt. „Murna! Wo ist er?“
Murna war jung, sehr attraktiv und besaß die schärfsten Augen von allen. Sie beugte sich kurz zum Deck hinab. „Zwei Finger breit rechts vom Bug, Käpt´n, und es ist ein großer!“
Kapitän und Obermaat hasteten zum spitzen Bug hinüber.
„Allmächtige Götter und Vorfahren“, ächzte Farrel-Tuso. „Meine Gebete wurden erhört.“
„Du hast noch gar nicht gebetet“, murmelte Kane-Lano geistesabwesend. „Ich will verdammt sein. Das ist ein Prachtexemplar.“
„Die Götter wussten, dass ich zu ihnen beten würde“, versicherte der Obermaat im Brustton der Überzeugung, „sonst hätten sie uns diesen Prachtkrebs nicht geschickt.“
Es war wirklich das größte Exemplar eines Sandkrebses, welches sie jemals zu Gesicht bekommen hatten. Der rötliche Panzer verriet, dass es sich um ein Männchen handelte und der grüne Fleck am Rücken, dass es geschlechtsreif war. Große Männchen wurden bis zu zwanzig Meter lang, doch dieses maß sicherlich fast fünfunddreißig.
Das Tier war rund zwei Kilometer vor der Saranvaal aus dem Sand aufgetaucht, lag nun auf dessen Oberfläche und spuckte jene Teile aus seinem Verdauungstrakt hervor, die es auf seiner Suche im Sand aufgenommen hatte und die unverdaulich waren. Einige von ihnen blieben allerdings im Magen zurück, da der Krebs größere Steine gerne nutzte, um den Mageninhalt zu zerkleinern. Gerade diese Magensteine erwiesen sich immer wieder als sehr wertvoll.
Die Matrosen, die bis dahin an den Braunfelsen geschlagen und diese zerkleinert hatten, stellten ihre Arbeit ein und sahen fasziniert zu dem Krebs hinüber, unschlüssig, wie sie sich verhalten sollten.
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