„Bis zum Hals“, bestätigte Billings, „aber der Mist läuft uns noch nicht in den Mund.“
„Wäre gut, wenn wir das verhindern könnten. Ich bin nicht besonders gut im schlürfen“, versuchte die junge Frau zu scherzen. Sie schnallte sich los und richtete sich probeweise auf. „Grundgütiger, mir scheint echt nichts passiert zu sein. Die Brust schmerzt ein wenig.“
„Sehen wir nach. Ein paar gebrochene Rippen kämen uns jetzt höchst ungelegen.“
Die junge Frau öffnete ihren Bordoverall, der zugleich als leichter Raumanzug genutzt werden konnte. Das Licht der Bodenleisten und Konsolen reichte aus, um eine flüchtige Untersuchung vorzunehmen.
„Prellmarken von den Gurten“, diagnostizierte Billings. „Kein Wunder, so wie wir alle in die Sicherheitsgurte geschleudert wurden. Meine sind sogar gerissen.“ Sie verzichtete darauf, zu erwähnen, dass dies Jelly das Leben gekostet hatte.
Billings fand den Medo-Kasten der Brücke und ging zu Wesley zurück. Der Funker sah sie dankbar an, als sie seine Zunge provisorisch versorgte. Der organische Klebeverband versiegelte die offene Wunde der Zunge und regte zugleich das natürliche Zellwachstum an. Mit etwas Glück würde der Mann in einigen Tagen wieder verständlich sprechen können und, Wochen später, wenn sich der Verband selbst auflöste, wieder über eine vollständige Zunge verfügen. Allerdings würde er für längere Zeit auf einen Teil seines Geschmackssinnes verzichten müssen, bis man ihn in einer richtigen Klinik versorgen konnte.
In der Messe versorgte Larissa die Überlebenden, dann bemühte sich die Gruppe um Professor Jen-Do, eine direkte Verbindung zur Brücke herzustellen. Tatsächlich waren die Räume im Oberdeck weitestgehend intakt geblieben. Ein paar der Türen waren verzogen, konnten aber wieder gängig gemacht werden. Nun war es wieder möglich, sich im Oberdeck relativ frei zu bewegen. Drei der Räume, darunter eine der Unterkünfte, mussten jedoch versiegelt werden, da hier die Außenhülle beschädigt worden war.
Es war eine gemeinsame und belastende Aufgabe, die Toten von der Brücke und der Messe in eine der verbliebenen Unterkünfte zu bringen, doch keiner hatte das Verlangen, durch deren Anblick ständig an die Verluste erinnert zu werden. Da die Messe der größte gemeinschaftliche Raum war, wurde sie, so gut es ging, wieder hergerichtet. Der Notstrom reichte völlig aus, zusätzlich die kleine Bordküche zu betreiben. Es entstand fast so etwas wie eine behagliche Atmosphäre, als sich die Überlebenden in der Messe versammelten, denn Heißgetränke und ein kleiner Imbiss vermittelten den Eindruck von Normalität.
Captain Billings fasste die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung der E.S. James Cook zusammen und das Bild, welches sie vermittelte, war ernüchternd. „Fest steht, dass sich die Cook nie wieder von diesem Planeten erheben wird. Unser Schiff ist ein Totalschaden, auch wenn glücklicherweise noch ein paar Dinge funktionieren. Unsere einzige Aussicht, von hier zu verschwinden, ist also ein Rettungsschiff der Navy.“
„Wofür wir einen Notruf absetzen müssen“, fügte Tech hinzu. „Bedauerlicherweise gehören der Normalfunk und der Überlichtfunk zu jenen Teilen des Schiffes, die nicht mehr funktionieren.“
Leroy lachte trocken. „Was wahrscheinlich aber keinen Unterschied macht, weil in diesem verdammten Nebel ohnehin kein Scanner und kein Funk funktionieren. Oder zumindest nur zeitweise, wie wir ja bei der Drohne erlebt haben.“
Larissa wurde bleich. „Dann können wir gar keinen Notruf absetzen?“ Sie sah ihren Mentor fragend an. „Professor, die Uni weiß aber doch sicherlich, wo wir uns befinden, nicht wahr? Das weiß sie doch.“
Jen-Do errötete verlegen. „Die Konkurrenz bei Forschungsexpeditionen ist hart.“
Carlssen stieß einen erbitterten Fluch aus. „Jetzt sagen Sie nur nicht, unser Kollegium hat keine Ahnung, wo wir uns befinden.“
„Nun, ich fürchte, leider verhält es sich so.“
„Sie verdammter Narr“, zischte Carlssen. „Dann sind wir hier hoffnungslos gestrandet. Sie sind ein verdammtes…“
„Moment bitte!“ Captain Billings hob um Ruhe heischend die Hand. „So aussichtslos ist es nun auch wieder nicht. Für solche Situationen verfügt die James Cook über eine Funkboje. So ähnlich, wie man sie früher auch in U-Booten besaß. Wir starten die Boje in den hohen Orbit, von wo aus sie ein Notsignal an die nächste Basis der Sky-Navy funkt.“
„Zwischen dem Nebel und dem Orbit funktioniert nichts“, knurrte Carlssen.
„Die Drohne hat eine Weile funktioniert“, hielt Leroy dagegen. „Außerdem verstehe ich es so, dass die Boje unabhängig vom Schiff ist, nicht wahr, Captain?“
„Selbstverständlich. Sie verfügt über eigenen Antrieb, eigene Energieversorgung, ein eingebautes Hiromata-Nullzeit-Funkgerät und ein leistungsfähiges tetronisches Gehirn. Wir müssen sie hier unten nur mit den korrekten Navigationsdaten füttern, damit sie sich orientieren kann, dann richtet sie sich anhand der Sternkonstellationen auf die nächste Basis aus und ruft die Navy.“
„Hört sich doch gut an“, sagte Professor Jen-Do hastig und lächelte verlegen. „Da sie eigenständig operiert, ist sie nicht auf eine Verbindung zum Schiff angewiesen und der Nebel kann ihr nichts anhaben.“
„Das können wir nur hoffen“, dämpfte Leroy den einsetzenden Optimismus. „Denn sobald die Boje das Schiff verlässt, haben wir keine Ahnung, was mit ihr passiert. Wir sind hier unten taub und blind und könne nur darauf hoffen, dass die Boje ihren Job erledigt.“
„Ich finde, Captain Billings, wir sollten dieses Ding schnellstens in den Orbit schießen“, sagte Carlssen, der sich wieder beruhigte „Danach können wir nur hoffen, dass die Navy das Ding auch hört.“
„Sehe ich ebenso.“ Billings hob demonstrativ ihren Becher. „Wenn Sie gestatten, werde ich aber erst noch meinen Kaffee trinken. Wir sind wohl alle ziemlich müde und angeschlagen und das Koffein hilft mir, klaren Kopf zu behalten.“
„Schön, schön, Sie können unter diesen Umständen auch gerne zwei oder drei Becher trinken“, kam es prompt von Jen-Do.
Eine knappe halbe Stunde später drängte alles auf Brücke, wo es nun sehr beengt zuging.
„Die Sonde befindet sich natürlich in ihrem Auswurfschacht im oberen Pol“, erklärte Captain Billings, während Nav an ihrer Arbeitsstation saß. „Nav füttert sie von hier mit den erforderlichen Daten. Da das über eine schiffsinterne und kabelgebundene Verbindung erfolgt, gibt es auch keine Störungen.“
„Welche Daten übertragen Sie an die Boje?“
„Wir aktualisieren zuerst die Datenbank der Boje mit dem Sternenkatalog und den Navigationsdaten. Dazu kommen unsere Flugdaten und die Angaben, die wir von der Drohne erhielten. Die nächste Rettungsstation befindet sich auf… Moment… Ja, auf der Navy-Basis Arcturus. Die Boje wird die richtige Sternkonstellation identifizieren, die Antenne des Hiromata entsprechend ausrichten und dann unsere Nachricht abstrahlen. Mehrfach, wie ich an dieser Stelle betonen möchte.“
„Die Datenübermittlung dauert aber ziemlich lange“, fand Larissa.
„Der Nullzeit-Funk mit Hiromata-Kristall ist keine gewöhnliche Funkverbindung, bei der man Bild und Ton übermitteln kann. Beim Hiromata kann man nur kurze und lange Impulse abstrahlen. Daher muss unsere Textbotschaft in den sogenannten Morsecode übersetzt werden. Nav schreibt unseren Hilferuf in ihre Tastatur und die Tetronik wandelt ihn in einen Morsespruch um, der nur wenige Sekunden dauert. Kein Mensch könnte seine Finger schnell genug bewegen, um dasselbe Resultat zu erzielen. Am Empfänger befindet sich natürlich ebenfalls eine Tetronik, die das Ganze wieder in lesbaren Text umsetzt.“
„Fertig, Cap“, meldete die Navigatorin in diesem Moment. „Alle Daten sind an die Boje übermittelt und wurden bestätigt.“
Читать дальше