Das diskusförmige Schiff war ein Prototyp und eine Eigenkonstruktion der Universität. Man hatte ein Schiff entwickeln wollen, welches möglichst wirtschaftlich und schonend inneratmosphärische Flüge und planetare Landungen vornehmen konnte. Hieraus resultierte die ungewöhnliche Form des Rumpfes. Mit guten fünfundfünfzig Metern Durchmesser und einer maximalen Höhe von zwölf Metern war das Schiff extrem flach. Sein Rumpf sollte in jeder Lufthülle das Triebwerk wie eine Tragfläche unterstützen. Obwohl man im Direktorat allgemein Staustrahltriebwerke als Atmosphäreantrieb verwendete, da sie mit jedem Luftmedium arbeiten konnten, war man bei der James Cook wieder zum Prinzip der Drehflügel zurückgekehrt.
Pilotin Jelly nutzte die besonderen Eigenschaften des Forschungsschiffes, umkreiste Planet Fünf zwei Mal und ging dabei langsam tiefer, bis die dichter werdende Lufthülle das Schiff so weit abgebremst hatte, dass die Rotoren genutzt werden konnten. Oben und unten im Rumpf öffneten sich die Blenden, um die drei riesigen Rotorenschächte freizugeben. Obwohl man bei der James Cook auf möglichst leichte Bauweise geachtet hatte, wurden die Rotorblätter aufs Äußerste beansprucht, bis sich der Flug entsprechend verlangsamte und stabilisierte. Dann glitt das Schiff jedoch überraschend sanft durch die Atmosphäre und näherte sich erneut dem Bereich des „blinden Flecks“ und des darin wallenden Nebels.
Jelly trug einen VR-Helm, wie er auch beim Militär üblich war und auch sie bediente eine unsichtbare Steuerung, von dem Joystick abgesehen, denn sie mit ruhiger Hand führte. Die Pilotin wurde von der Navigatorin und dem Systemtechniker flankiert, die an ihren realen Konsolen saßen und den Flug überwachten. Vor allem der Tech war angespannt, denn auf seinen Anzeigen wurde das Schema des Schiffes und der Status jeder einzelnen seiner Komponenten angezeigt.
„Temperatur von Rotor Drei steigt“, meldete der Techniker. „Aktiviere das Kühlsystem. Temperatur geht wieder in den normalen Bereich zurück.“
„Wir sind jetzt über der Mitte des Nebels.“ Jellys Kopf bewegte sich unmerklich unter dem Helm. „Landemanöver einleiten, Captain?“
„Langsam und sehr behutsam“, mahnte Billings. „Sobald irgendeine Art von Störung auftritt, Vollschub nach oben, verstanden?“
„Hab´s im Griff, Captain“, versicherte Jelly.
Langsam sank das Schiff tiefer, berührte die Oberfläche des Nebels und sank darin ein.
Vor den Klarstahlscheiben der Brücke war nur noch das grauweiße Wallen zu sehen, die Anzeigen der Scanner und Sensoren fielen schlagartig aus.
„Schön vorsichtig“, murmelte Billings. „Eine wirklich komische Sache und ich kann nicht sagen, dass sie mir gefällt.“
Blind zu fliegen gefiel niemandem an Bord, doch ihnen blieb keine andere Wahl, wollten sie tatsächlich auf dem Grund des enormen Kraters landen.
Da die Scanner nicht arbeiteten, gab es keine direkte Möglichkeit, die Höhe zu kontrollieren. Die Lösung bestand darin, jede Flugbewegung des Schiffes, jede Lageänderung und Veränderung seiner Geschwindigkeit, an die bordeigene Tetronik zu übermitteln. Das leistungsstarke künstliche Gehirn berechnete fortwährend die Höhe, in dem es alles mit den Angaben der Drohne verglich. Keiner wusste, ob diese Angaben auch wirklich zuverlässig waren und die Stimme der Navigatorin klang entsprechend leicht verunsichert.
„Zehntausendzweihundert über Grund.“ Nav zögerte unmerklich. „Die Luftdichte nimmt rapide zu.“
„Achte darauf, dass die Tetronik immer mit den aktuellen Daten rechnet, Nav“, erinnerte Billings, die versuchte, wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben.
„Die dichtere Lufthülle wirkt sich auf die Rotoren aus“, stellte Tech fest. „Ich korrigiere die Leistung nach.“
„Verdammte Suppe.“ Jelly gefiel es nicht, keinerlei Orientierungspunkt zu haben. „Nav, ist denn wirklich gar nichts zu sehen?“
Die Navigatorin, die zugleich für die Ortungssysteme des Schiffes verantwortlich war, schüttelte den Kopf. „Weder optisch, noch über Radar, aktive Scanner, passive Sensoren, Filter wie Infrarot oder sonstige Erfassungsmittel. Es ist, als flögen wir durch absolutes Nichts.“
„So etwas habe ich noch nie erlebt“, gab Jelly zu, „und ich habe auch keine Lust, es später noch einmal zu wiederholen.“
Billings verstand, warum der Professor sich für dieses Phänomen interessierte und es unbedingt erforschen wollte. Aber der trug auch nicht die Verantwortung für ihr Schiff und das Leben an Bord. Zumindest nicht, so lange die James Cook nicht sicher aufgesetzt hatte.
„Tech, schalten Sie das Shriever-System ab“, befahl Billings. „Dann bekommen wir wenigstens ein Gefühl dafür, ob wir eben fliegen und wo das reale Oben oder Unten ist.“
Bislang war es noch nicht gelungen, ein Gerät zu entwickeln, welches die Schwerkraft aufhob. Stattdessen hatte man mit den Shriever-Platten die Möglichkeit entwickelt, künstliche Schwerkraft zu erzeugen. Gleichgültig, wie sich ein Schiff bewegte, der Boden war für die Besatzung stets der Boden. Nun ließ der Captain dieses System abschalten, damit das natürliche Schwerefeld des Planeten ein Mindestmaß an Orientierung bot.
„Shriever abgeschaltet“, bestätigte Tech.
„Wir haben eine minimale Neigung nach Backbord“, stellte Jelly fest und glich mit einer minimalen Leistungssteigerung des entsprechenden Rotors aus.
„Höhe Fünfhundert und abnehmend“, kam es von Nav. „Jetzt Vierhundert.“
Die Pilotin handelte automatisch. „Rotorleistung erhöht. Falls die Höhenmessung nicht zuverlässig ist, will ich nicht mit zu hoher Fahrt aufsetzen.“
„Tech, Landesystem aktivieren.“
„Landegestell wird ausgefahren. Dämpfungssystem auf Maximum eingestellt“, bestätigte der Techniker.
Unter dem Rumpf fuhren drei kräftige Teleskopelemente aus, deren Auflagenteller ihre Fläche vergrößern konnten.
„Noch zweihundert Meter“, las Nav von der Anzeige der Tetronik ab. „Wir müssten…“
Ein harter Ruck ging durch die James Cook .
Schlagartig wechselten einige Anzeigen der Systemkontrolle auf Rot.
Dann kippte das Schiff in Schräglage und stürzte ab.
„Anzüge schließen! Auf Aufprall vorberei…“ Weiter kam Captain Billings nicht.
Ein brutaler Schlag ging durch ihr Schiff. Sie spürte noch, wie sie sie nach vorne geschleudert wurde und die Gurte nachgaben. Den Aufprall auf den Rücken von Jelly spürte sie kaum, dann wurde es Schwarz um sie herum.
Exploration Ship E.S. James Cook, Absturzstelle, unbekannte Position im Nebel.
Als Captain Billings erwachte, kam das einzige Licht von dem grauweißen Wallen vor der Verglasung der Brücke. Die indirekte Raumbeleuchtung und die der Konsolen blieben dunkel. Man erkannte nur Konturen und die Frau richtete sich ächzend auf. Ihr Schädel schien zu hämmern und sie tastete benommen um sich.
Sie spürte warme Nässe, die über ihr Gesicht lief. Ihre Hand glitt über die kurz geschnittenen Haare und fand eine Platzwunde. „Verfluchter Dung“, ächzte sie. „Verdammt, was…?“
Erst langsam realisierte sie, was geschehen war. Was geschehen sein musste. Das Schiff war abgestürzt. In der letzten Phase der Landung und aus nicht allzu großer Höhe, sonst wäre sie nicht mehr am Leben.
Sie sah sich um und stöhnte auf. Vor ihr hing Pilotin Jelly reglos in ihren Anschnallgurten. Der Kopf lag auf eine Weise im Nacken, dass es keinen Zweifel gab, dass die Frau sich das Genick gebrochen hatte. Selbst der VR-Helm hatte sie nicht schützen können, als ihr Captain mit voller Wucht gegen sie geprallt war.
Billings stützte sich auf die Lehne des Pilotensitzes und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. „Stat.. Status?“, krächzte sie. Sie dachte nicht einmal daran, ihren Folienhelm aus dem Kragen des leichten Raumanzuges zu ziehen und zu schließen. Die Tatsache, dass sie überlebt hatte bewies, dass zumindest die Brücke druckdicht geblieben war. Ein Glück, denn keiner war noch dazu gekommen, die Folienhelme der Anzüge zu schließen. „Jemand… am Leben?“
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