Doch vor allen anderen Untersuchungen stand die des „blinden Flecks“.
Er befand sich fast in der Mitte eines der Kontinente. Die Ränder waren unregelmäßig, doch insgesamt besaß er tatsächlich eine runde Form. Er durchmaß im Schnitt zweitausend Kilometer, wobei die Abmessungen um einige Dutzend Kilometer schwankten.
Jen-Do stand mit den anderen vor dem Holoschirm und betrachtete das Lifebild. Er neigte nun selbst zu der Annahme, dass es sich um den gewaltigen Einschlagskrater eines Meteoriten handelte, dessen Grund sich so tief unterhalb des Meeresspiegels dieser Welt befand, dass sich dort ein konstanter Nebel gebildet hatte und halten konnte. Umso interessanter würde es sein, festzustellen warum man keine Scans aus seinem Inneren erhielt.
„Captain Billings, gibt es Anzeichen für Leben?“
„Jede Menge“, kam die prompte Antwort, „aber da Sie sicherlich Anzeichen von künstlicher Bebauung und intelligentem Leben meinen, muss ich Ihre Frage verneinen, Professor.“
„Schön, schön, das haben die Aufzeichnungen der Sonde bereits vermuten lassen.“
Sie alle waren erleichtert. Hätte man Anzeichen von intelligentem Leben entdeckt, sei es auch nur in seiner niedersten Form, so waren die Gesetze des Direktorats eindeutig und das Betreten von Planet Fünf wäre zum Tabu geworden.
„Herr Professor, wir alle sehen das Ding“, meldete sich Leroy zu Wort. „Was machen wir jetzt?“
„Was wir bereits besprochen haben“, seufzte Jen-Do. „Wirklich, Leroy, Ihre Aufmerksamkeit lässt in höchstem Maße zu wünschen übrig. Larissa?“
„Wir schicken eine Sonde runter“, antwortete die Rothaarige prompt. „Äh, eine Drohne, Herr Professor.“
Jen-Do wandte sich erneut dem Holoschirm zu. „Captain Billings, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, eine unserer Drohnen abzufeuern?“
„Selbstverständlich, Professor. Tetronische Steuerung oder Individualsteuerung?“
„Leroy ist ein fähiger Drohnenpilot. Starten Sie das Ding und lassen Sie es über dem blinden Fleck kreisen. Leroy klinkt sich dann ein.“
Billings bestätigte. Kurz darauf startete eine der Drohnen, die zunächst an einen spitznasigen Zylinder erinnerte Sie steuerte sich selbst mit Hilfe ihres leistungsstarken tetronischen Gehirns in die obere Atmosphäre des Planeten. Als sie in tragfähige Luftschichten vordrang, fuhr sie Tragflächen und ein V-förmiges Leitwerk aus und schaltete auf ihr Staustrahltriebwerk um. Die Rotoren für den Langsamflug blieben noch innerhalb des schützenden Rumpfes. Sensoren und Scanner arbeiteten mit maximaler Leistung und übertrugen eine Fülle von Daten, mit Ausnahme des Zielgebietes, dessen Nebel zwar sichtbar, jedoch immer noch nicht zu durchdringen war.
„Schön, schön, Leroy, jetzt zeigen Sie, dass ich Sie nicht umsonst mitgenommen habe.“ Jen-Do wies auf eine Konsole in der Messe. Die anderen rückten die Stühle näher, während Leroy dort Platz nahm. Er langte zur Seite, öffnete ein Fach und setzte sich einen Pilotenhelm auf, der jenen der Piloten der Streitkräfte ähnelte, allerdings nicht luftdicht versiegelt werden konnte, da er nicht Teil eines Raumanzuges war.
„Aktiviere Konsole“, berichtete der Student, während sich seine Hände über die Elemente bewegten. „Schalte auf Virtual Reality. Übertrage auf Holoschirm.“
Die Hände bewegten sich jetzt über eine unsichtbare Tastatur. Alle Daten und Bilder, welche die Drohne empfing, erschienen auf dem Display des Helms. Die anderen sahen das Gleiche auf dem großen Holoschirm, der über der Konsole hing.
„Klinke mich in die Steuerung der Drohne ein. Steuerung übernommen.“
Auf der Brücke sahen die fünf Männer und Frauen der Besatzung ebenso gebannt zu, wie die Drohne nun auf die direkten Befehle von Leroy reagierte. Die Blicke des Navigators pendelten hingegen zwischen den Übertragungen des Fluggerätes und den Kontrollen der Raumüberwachung, deren Scanner und Sensoren unentwegt den umgebenden Weltraum kontrollierten.
Leroy studierte Künstliche Intelligenz und Tetronik, und man spürte förmlich seine Verbundenheit mit der Drohne. Eine Hand lag um den Joystick, der das einzige reale Mittel zur Steuerung des Fluggerätes war. Mit winzigen Bewegungen gab der Student seine Befehle. Die Drohne schraubte sich mit elegant wirkenden Kurven immer tiefer.
„Soll ich im Zentrum oder am Rand des Nebels einfliegen?“, erkundigte sich Leroy.
Jen-Do schien unschlüssig.
Doktor Carlssen meldete sich zu Wort. „Ich schlage das Zentrum vor, Professor. Wenn es ein Meteoritenkrater ist, dann werden wir dort die tiefste Stelle und vielleicht sogar Überreste des eingeschlagenen Objektes finden.“
„Ja, das ist eine Möglichkeit.“ Jen-Do nickte und klopfte Leroy auf die Schulter. „Also die Mitte.“
Die Drohne erreichte den Rand des Nebels.
„Ich gehe lieber auf langsamen Flugmodus.“ Leroy betätigte ein paar unsichtbare Schaltungen. Die Grafik, welche das Schema und den Status übermittelte, veränderte sich. Aus dem schlanken Rumpf fuhren an den Seiten vier tellerförmige Ausleger aus, deren Irisblenden sich öffneten und die Rotoren freigaben. Die Beobachter glaubten förmlich das leise Brausen zu hören, als diese Ansprangen und den Antrieb übernahmen, während zugleich das Staustrahltriebwerk abschaltete. „Drohne ist jetzt im Langsamflug. Nehme Kurs auf das Zentrum des Nebels.“ Leroy räusperte sich. „Bodenradar zeigt nichts an. Keine Ahnung, wie hoch ich über dem Nebel bin.“
„Es gibt um den Nebel keine Aufwölbung, die auf einen Kraterrand hindeutet. Er scheint sich auf dem Bodenniveau des umgebenden Landes zu befinden. Nehmen Sie dessen Höhe als Anhalt und Bodennull“, empfahl der Geologe.
Leroy nickte wortlos.
Die nach unten gerichtete Optik des Gerätes zeigte nichts als ein sanftes Wallen von milchigem Weißgrau. Eine Orientierung war nahezu unmöglich.
„Leroy, teilen Sie den Holoschirm. Einmal Sicht der Drohne und einmal Sicht vom Schiff. Wir müssen eine Vorstellung davon bekommen, wo sich unser fliegender Freund befindet.“
Die obere Hälfte des Bildschirms zeigte nun die Sicht der Optik des Schiffes. Nun konnte man wieder den in die Landschaft eingebetteten blinden Fleck sehen. Ein blinkender grüner Punkt markierte die Position der Drohne, die sich langsam dem Zentrum näherte.
„Keine Daten von unten“, meldete Leroy, obwohl alle das sehen konnten. „Soll ich runtergehen?“
„Ja, aber schön, schön langsam“, stimmte der Professor zu. „Und alles aufzeichnen.“
Leroy verdrehte kurz die Augen. Seit Aktivierung der Drohne liefen deren Aufzeichnungsgeräte sowie die Direktübertragung ihrer Daten und Bilder an die E.S. James Cook . Dokumentation war ein wesentlicher Bestandteil jeglicher Forschung und der Hinweis des Professor war eher eine Beleidigung, statt hilfreich. Der Student schrieb es der mühsam unterdrückten Aufregung des Expeditionsleiters zu, die sie alle immer stärker packte, je tiefer die Drohne jetzt ging.
„Allmächtiger“, ächzte Larissa.
Von einem Augenblick zum anderen wurde die optische Übertragung der Drohne grauweiß und zeigte nur noch das unheimliche Wallen des Nebels. Wo soeben noch Daten über den Holoschirm liefen, war plötzlich nichts mehr. Nur das Statusdisplay des Fluggerätes schien weiterhin zu funktionieren.
„Was ist? Ist sie abgestürzt?“, fragte einer der anderen besorgt.
„Unsinn“, knurrte Jen-Do. „Ihr Status wird ja noch übermittelt. Das Gerät ist noch in Ordnung, aber es empfängt keine Daten von Außen.“
„Ist aber seltsam, Professor Jen-Do“, stellte ein weiterer Student fest. „Wieso funktioniert denn die Übermittlung des Status noch, wenn alles andere versagt?“
„Ja, ein wirklich interessantes Phänomen“, gab der Angesprochene zu. „Um das herauszufinden sind wir ja hier, nicht wahr?“
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