Nachts brannten hier riesige Lagerfeuer, um die herum bis in den Morgen hinein gefeiert und getrunken wurde. Der Aufenthalt auf dem Händlerwasen vor Dongarth war ein Höhepunkt im Leben der Helfer und Wagenlenker, die sonst von Stadt zu Städtchen zu Dorf fuhren. Aber im Moment war nicht viel los. Die meisten schliefen noch ihren Rausch aus. Wer am folgenden Tag weiterfahren musste, war jetzt am frühen Nachmittag schon dabei, die Wagen reisefertig zu machen. Alles wurde auf Haltbarkeit geprüft: Räder, Achsen, Zügel und so weiter. Man lud die Waren zum Weitertransport auf und band sie fest. Vereinzelt sah ich Handelsherren, die noch ein letztes Geschäft zu machen versuchten, damit sie bisher Unverkäufliches nicht wieder mitnehmen mussten.
Und zwischen all diesen Wagen und Leuten waren Söldner unterwegs, einzeln oder in Gruppen. Jedem, der zuhören wollte, schilderten sie die Gefahren langer Fahrten in den düstersten Farben und boten ihre Dienste an. Manche waren schlecht gekleidet und unrasiert. Sie versuchten einfach, aus Dongarth wegzukommen, und verlangten wenige Heller pro Tag. Andere trugen hochwertige Lederrüstungen und hatten glänzende Schwerter am Gürtel oder einen großen Bogen auf dem Rücken. Einer besaß sogar eine Armbrust, eine seltene Waffe, weil sie unhandlich und störanfällig war.
Den Mann, den ich suchte, sah nicht zwischen ihnen. Aber ich war mir sicher, dass er in der Nähe sein musste. Erst vor wenigen Tagen hatte er mir erzählt, dass er sich vor Ende des Monats einen lukrativen Auftrag suchen würde, der ihn für eine Weile aus der Hauptstadt wegbrachte. Er war wieder einmal der Frau eines Anderen zu nahe gekommen.
Zwei der Tavernen am Nordrand des Händlerwasens galten als Treffpunkte der alten Haudegen und der jungen Abenteurer, die ihr Auskommen mit ihrer Waffe zu verdienen versuchten: Zum Starken Arm und Zum Hahnenschrei . Im StarkenArm war nicht viel los, aber im Hahnenschrei saßen an mehreren Tischen Söldner beieinander. Sie spielten Karten oder würfelten. Keiner war betrunken, denn das hätte die Chance deutlich gesenkt, später am Tag noch einen Dienstherren zu finden.
Jonner sah mich hereinkommen. Er nickte mir zu, spielte aber weiter. Heftig knallte er den Würfelbecher auf den Tisch und sah sich dann das Ergebnis an. 5er-Pasch! Er rieb sich die Hände und gab Becher und Würfel an seinen Nachbarn weiter.
Ich sah mich um und entdeckte einige vertraute Gesichter. Aber die meisten der Männer kannte ich nicht. Auch zwei Frauen waren da, seltene Gestalten in diesem martialischen Gewerbe.
Da sich Jonner in den folgenden Minuten so benahm, als wäre ich nicht da, griff ich zu einem drastischen Mittel. Ich zog den Lederbeutel heraus und schüttelte ihn, sodass die zehn Silbertaler darin gegeneinander klirrten.
Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit der gesamten Taverne, einschließlich des Wirts und der Schankmädchen.
„Wenn du zu beschäftigt bist, suche ich nach einem Anderen“, sagte ich zu Jonner.
Wortlos warf er ein paar Heller auf den Tisch, stand auf und ging mit mir hinaus.
„Wie viel ist das?“, fragte er vor der Taverne.
„Zehn Taler. Anzahlung für einen Auftrag, den du alleine ausführen sollst. Du bekommst weitere zehn, sobald du zurück bist. Und noch einmal zehn, wenn du Erfolg hast.“
„Dreißig für wie viele Tage Arbeit?“
„Kommt drauf an. Du musst nach Kerrk in der Provinz Krayhan. Unterwegs sollst du jemanden suchen.“
„Wen?“
Wir gingen am Rand des Händlerwasens entlang zurück zum Stadttor.
„Ein Kurier wurde überfallen und getötet. Man hat seine Leiche im Dorf Erenlang gefunden, das liegt am Donnan zwischen hier und Kerrk. Dein Auftrag lautet, herauszufinden, wer ihn umgebracht hat. Und du sollst das, was er bei sich hatte, wiederbeschaffen.“
„Er hatte also etwas Wertvolles bei sich. Für wen?“
„Das braucht dich nicht zu interessieren.“
„Also Fürst Borran“, folgerte er.
„Habe ich nicht gesagt. Hör mir weiter zu: Es kann sein, dass er von jemandem aus dem Dorf ermordet und ausgeraubt wurde. Aber ich glaube eher, man hat ihn verfolgt und dort eine günstige Gelegenheit gefunden, ihn umzubringen.“
„Er kam aus Kerrk?“
„Richtig. Du hast gut aufgepasst, brav so!“ Jonner brauchte immer mal wieder einen Dämpfer, weil er im Innersten davon überzeugt war, der Beste zu sein. Im Kämpfen, im Aushorchen, in allem. Besser sogar als ich, was natürlich Unsinn war.
„Wenn der Täter nicht aus dem Dorf stammt, dann also aus Kerrk“, fuhr er ungerührt fort. Er musste wirklich dringend einen Auftrag brauchen, um gegen meinen respektlosen Ton nicht aufzubegehren.
„Jedenfalls ist das ein guter Ausgangspunkt. Kann natürlich auch sein, dass er aus Dongarth kam und dem Kurier aufgelauert hat.“
„Das bedeutet, ich muss Leute finden, die etwas gesehen haben. Das kostet Geld. Ist das in den dreißig enthalten?“
„Erst einmal ja. Sollten große Ausgaben nötig sein, schreib mir eine Begründung in den Bericht, ich schicke dir dann jemanden mit Geld hinterher.“
„Welchen Bericht?“ Er blieb stehen und sah mich stirnrunzelnd an.
„Einmal in der Woche will ich einen Brief von dir haben. Wenn ich den nicht bekomme, gehe ich davon aus, dass du verlorengegangen bist, und behalte die Prämie für mich.“
„Ha, ha“, machte er. „Wie steht es mit einem Pferd?“
„Was willst du mit einem Pferd auf einem Frachtkahn?“ Ich tat verwundert.
„Auf einem Schiff stromaufwärts treideln?“, rief er. „Das dauert ja ewig!“
„Nein, tut es nicht. Frag die Matrosen.“
„Depp!“
„Also, nimmst du an?“
„Natürlich. Ich hole nur meinen Kram aus der Herberge, dann suche ich mir ein Schiff, das mich nach Nordosten bringt.“
„Das ist die richtige Einstellung. Ich komme mit und erzähle dir unterwegs noch ein paar Einzelheiten.“
Wir gingen durch das Tor in die Stadt hinein. Jonner mied den Marktplatz und entschied sich für den Weg entlang der Stadtmauer, wo nicht viele Menschen waren. So gelangten wir, nachdem wir die Donnan-Brücke überquert hatten, in die Nordstadt.
Seine Herberge war ein heruntergekommenes, dreistöckiges Haus, das in der Nähe des Nord-Tors direkt an die Mauer gebaut war. Eine billige Absteige in einem schmutzigen Viertel. Jonner brauchte entweder dringend Geld oder er versteckte sich hier.
Als wir auf den Eingang zugingen, wurde offensichtlich, dass Letzteres zutraf. Zwei Dutzend Schritte weiter sah ich einen offenen Ausschank. An einem der Stehtische warteten drei kräftige Kerle. Kaum hatten sie uns entdeckt, kamen sie auf uns zu.
„Ich bin ja ganz froh, dass du bei mir bist“, sagte Jonner leise zu mir. „Der rechts heißt Cen Berte, er ist verdammt gut mit dem Kurzschwert. Die anderen beiden kenne ich nicht.“
„Aber ich“, gab ich zurück.
Cen und seine beiden Kumpane bauten sich vor uns auf. „Jonner, du bist ein Feigling“, sagte er und wandte sich dann mir zu. „Halt dich da raus, Aron. Der Hurenbock hat sich an einer Dame vergriffen und verdient eine Abreibung. Wir werden ihm ein paar gebrochene Knochen verpassen und vielleicht ein Auge ausschlagen. Mehr nicht.“
„Hört sich an, als würde ihm das mal ganz gut tun“, entgegnete ich. Ich zog mit einer beiläufigen Bewegung meinen Umhang zurecht, damit der Griff des Degens sichtbar wurde. „Aber ich habe ihn angeheuert, ich brauche einen Laufburschen. Mit gebrochenen Knochen kann ich ihn nicht losschicken.“
„Du wirst einen Besseren als ihn finden.“
Cens Begleiter sahen sich um, ob jemand von der Stadtwache oder andere unerwünschte Zeugen in der Nähe waren. Jeder in der Straße hatte bemerkt, dass Ärger bevorstand, und tat so, als wäre unsere Gruppe gar nicht da. Die Bahn war frei für eine kräftige Abreibung. Wäre ich nicht gewesen.
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