„Na, wo Einsicht ist, ist auch die Möglichkeit zur Veränderung.“ Nach dieser versöhnlichen Feststellung öffnete er die Tür und marschierte hinaus.
Ich folgte ihm nicht, sondern stand auf und ging zum Fenster. Tatsächlich warteten am Eingang des Grundstücks zwei Wachmänner auf ihren obersten Vorgesetzten. Ein Mann wie Cham Corram hatte so viele Feinde, dass er besser nicht alleine durch Dongarth spazierte.
Als sie weg waren, verließ ich den Besucherraum. Romeran war nirgends zu sehen, deshalb ging ich in mein Zimmer. Ich verfügte zwar nicht über Begleiter, die auf mich aufpassten, aber über einen Degen. Den holte ich, bevor ich mich auf den Weg hinunter in die Stadt machte.
Serron war derjenige von meinen Freunden, der so gut wie immer wusste, wo die anderen sich gerade herumtrieben und womit sie beschäftigt waren. Deshalb suchte ich ihn, um meine Bitte loszuwerden. Inzwischen stand die Mittagssonne hoch am Himmel, der Schatten, den der Berg Zeuth morgens immer auf die Stadt warf, war verschwunden.
Ich fand Serron am Rand des Marktplatzes, von wo aus er zusah, wie die Händler ihre Stände abbauten. Er hatte sich bei einem Bäcker ein gerolltes, gefülltes Fladenbrot geholt und kaute daran herum, als wäre es zäh wie altes Fleisch.
„Nicht gut?“, fragte ich, als ich neben ihm stand.
„Schmeckt, als hätte der Bäcker Ratten für die Fleischfüllung verwendet.“
„Und? Hat er?“
„Nein. Aber es heißt, er verkaufe in seinem Laden nicht nur die Produkte seines Backofens, sondern auch noch weniger bekömmliche Sachen.“
„Kräuter, Pilze und Pülverchen?“
Serron nickte. „Man hat mich gebeten, ein Auge auf ihn zu haben. Nur die Heiler dürfen solche Sachen verkaufen, und das aus gutem Grund. Sie sehen es nicht gerne, wenn sie illegale Konkurrenz bekommen.“
Ich sah mich um. „Wo ist er?“
„In seinem Geschäft drüben auf der andern Seite des Platzes. Wie jeder Bäcker hat er schon morgens um drei mit der Arbeit begonnen. Gleich wird er den Laden einer Verkäuferin überlassen, in den ersten Stock hochgehen und sich schlafen legen.“
„Du bist seit drei Uhr hier?“, vergewisserte ich mich.
„Richtig. Ich wollte sehen, ob er nächtlichen Besuch bekommt. Heute war das nicht der Fall, aber das hat nichts zu besagen.“ Er deutete mit den Augen seitlich an mir vorbei. „Dort kommt die Verkäuferin.“
Ich drehte mich kurz nach ihr um. Sie war eine Frau Mitte dreißig von plumper Gestalt, die sich aufreizend bewegte. Sie wollte bei männlichen Beobachtern sicherlich nicht den Eindruck einer guten Mutter und Hausfrau hinterlassen. Um die Hüfte geschlungen trug sie ein Art Schal, der mit kleinen Schmuckstücken behängt war. Bei jedem Schritt glitzerten sie in der Sonne. An beiden Handgelenken hatte sie goldene oder, wahrscheinlicher, vergoldete Armreife. Auch die Ringe an den Fingern waren auffallend groß.
„Nicht das, was man von einer Verkäuferin erwartet, die nur einen oder zwei Taler im Monat verdient“, sagte ich.
„Du denkst dasselbe wie ich“, bestätigte Serron. „Ich werde ihr folgen, wenn sie am späten Nachmittag wieder nach Hause geht.“
„Tu das. Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir über die Frauen in deinem Leben zu sprechen. Fürst Borran hat mich beauftragt, jemanden zu suchen. Du hast keine Zeit, wie ich nun weiß. Wie steht es mit Gendra und Martie?“
„Können beide ein paar Heller extra gebrauchen und müssten frei sein. Ich kann dir sagen, wo du sie findest, aber ich selbst möchte im Moment nicht hier weggehen.“
„Verständlich.“
Eine Stunde später saß ich mit den beiden vor einer der Tavernen nördlich des Händlerwasens in der Sonne. Wir hatten einen Tisch und drei Stühle herausgetragen, zur Überraschung der anderen Gäste, die sich lieber drinnen mit Würfeln und Kartenspielen die Zeit vertrieben. Das Schankmädchen brachte uns drei Humpen kaltes Bier und kassierte gleich ab.
Immerhin hatten wir so den Vorteil, keine Mithörer in der Nähe zu haben, sodass wir ungestört reden konnten. Ich erklärte ihnen, welchen Auftrag ich von Fürst Borran erhalten hatte, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. Aber ich nannte ihnen den Namen des Mannes, über den sie Erkundigungen einholen sollten.
Gendra riss überrascht die Augen weit auf. „Serenhem Bendal? Hab ich schon gehört. Ich glaube, den musst du nicht lange suchen.“
Martie nickte und fügte hinzu: „Von dem habe ich gerade heute Morgen ein Angebot bekommen. Er will Söldner anwerben, die hier in der Stadt ein paar Erledigungen für ihn ausführen.“
„Heißt das, er sucht Schläger, so wie Rellmann es getan hat?“, hakte ich nach.
„Ja, aber von einer härteren Sorte und vor allem - Einheimische.“ Martie rieb sich nachdenklich das Kinn. „Sollte er etwas mit Rellmann zu tun haben, dann hat er aus dessen Versagen gelernt. Wenn er dir Leute wie Gendra oder mich auf den Hals hetzt, bekommst du ernsthaft Probleme, Aron. Was hat der Mann gegen dich?“
„Soweit ich weiß, nichts. Aber Fürst Borran findet es seltsam, dass ein Händler aus Kerrk unvermittelt hier in Dongarth auftaucht, und möchte mit ihm darüber reden. Und über anderes. Wisst ihr, wie viele Söldner Bendal anheuern will?“
„Vier oder fünf“, sagte Gendra. „Wie wäre es, wenn du selbst das Gerücht streust, du würdest eine Stelle suchen?“
„Jeder in der Stadt weiß, dass das nicht stimmt. Zumindest jeder, der in solchen Kreisen verkehrt. Ist Bendal wählerisch, was seine Söldner angeht?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe bisher von keinem gehört, den er tatsächlich in seinen Dienst genommen hat. Entweder, er hat sich noch nicht entschieden, oder die Leute haben Anweisung, den Mund zu halten über ihren neuen Arbeitgeber.“
„Hat ihn überhaupt schon jemand gesehen, gibt es eine Beschreibung?“, fragte ich weiter.
Sie schüttelten beide den Kopf. „Das läuft alles über Hörensagen und Gerüchte“, sagte Gendra.
Ich erzählte ihnen von Seliim, den sie kannten. Dass dieser schmächtige Mann für den Fürsten arbeitete, sagte ich nicht, aber das konnten sie sich denken. „Er hat von Serenhem Bendal gehört. Auch, dass der einen falschen Namen benutzen will. Deshalb finde ich es seltsam, hier seinen wahren Namen zu hören.“
Gendra grinste und sagte: „Woraus man folgern kann, dass Serenhem Bendal eben nicht sein wahrer Name ist.“
„Aber er ist Händler in Kerrk und hat ein Geschäft, das auf ihn eingetragen ist“, wandte ich ein, wusste jedoch, wie wenig das in Wirklichkeit besagte. Ein ordentliches Schmiergeld genügte, und schon trugen die zuständigen Behörden einer Stadt alles in die Händlerrolle ein, was man wollte.
„Falls das stimmt, sollte sich jeder in Acht nehmen, der Geschäfte mit ihm macht.“ Martie sah mich an. „Ich werde das als Gerücht in meinem Bekanntenkreis streuen. Gilt dein Angebot immer noch? Wir sollen uns nach ihm umhören?“
„Jetzt mehr denn je“, bestätigte ich.
„Dann, mein Lieber, kostet dich das mehr denn je“, sagte er. „Unsere kleine Unterhaltung hat mir klar gemacht, wie gefährlich es sein kann, hinter diesem Mann herzuschnüffeln.“
Gendra nickte zustimmend und ich griff mit gespielter Entrüstung zu dem Lederbeutel mit Talern, den ich dabei hatte.
Ein halbes Dutzend Lagerfeuer auf dem Händlerwasen loderten mehr als mannshoch in den nächtlichen Himmel. Die Lenker der Fuhrwerke und die Helfer der Händler saßen beisammen, sahen zu, wie die fetten Braten an Spießen gedreht wurden, und tranken Bier. Fast einhundert Männer und Frauen hatten sich hier eingefunden. Einige machten Musik mit Trommeln, Flöten und Saiteninstrumenten. Eine Gruppe führte einen rhythmischen Tanz vor und wurde bejubelt. Der bunten Kleidung nach zu urteilen stammte sie tief aus dem Süden.
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