„Nein, er wird sich aber sicherlich bald melden.“
„Er könnte unterwegs Serenhem Bendal begegnet sein. Falls Sie eine Möglichkeit finden, ihn zu kontaktieren, fragen Sie ihn danach.“
Ich nickte. Auf die Idee hätte ich auch kommen können.
7
Am folgenden Morgen genoss ich das reichhaltige Frühstück in der Residenz des Fürsten. Allerdings nicht gemeinsam mit ihm, sondern mit der Dienerschaft im Gesindeflügel. Borran ließ seine Leute wahrhaftig nicht darben. Ich hatte in guten Herbergen für viel Geld schon schlechter gegessen. Zwar konnte der gedeckte Tisch nicht mit dem mithalten, was Jinna manchmal nach einer langen Nacht für mich auffahren ließ, aber es kam dem nahe.
Romeran aß nicht mit uns. Er hatte die Gewohnheit, früh aufzustehen, noch vor Sonnenaufgang, und sich alleine in der Küche etwas zu Essen zu machen. Es gab Gerüchte über besondere Zutaten, die er in seinen Haferbrei rührte, und die ihn trotz seines Alters noch so rüstig machten. Natürlich hieß es, diese Zutaten stammten aus der Sammlung des Fürsten. Ein Pulver, so fein, dass man es kaum sehen konnte. Allerdings kamen nun Zweifel auf, ob nicht auch schädliche Wirkungen bei so einem magischen Mittel eine Rolle spielen konnten. Zwar wusste niemand in der Dienerschaft, was genau im Saal mit den Artefakten vorgefallen war, aber eben deshalb gab es viele Gerüchte und düstere Andeutungen.
Ich hörte zu, ohne mich selbst an dem Gespräch zu beteiligen. Jedenfalls nicht mehr, als es erforderlich war, um nicht als unhöflich zu gelten. Mir lag daran, aus der Stimmung der Diener auf die Stimmung in der Stadt zu schließen. Die meisten hatten Verwandte in Dongarth, oder, wie sie mit gewissem Hochmut sagten, „drunten“, und hielten Kontakt mit ihnen. Sie erzählten ihren Familien, was sie hier im Haus hörten und erlebten und erfuhren umgekehrt, was man in der Stadt so dachte. Wobei alle so taten, als wäre Stillschweigen ihre höchste Tugend. Aber man muss kein Weltweiser sein, um zu wissen, dass wirklich verschwiegene Diener zu der seltensten Art diese Spezies gehörten.
Eigentlich hatte ich vor, meine Freunde aus der Kartenrunde im Greiff für die Suche nach dem Verkäufer des Elfensteins, Serenhem Bendal, einzuspannen. Sie waren immer bereit, für ein paar Heller etwas zu tun, das den langweiligen Alltag unterbrach. Und von dem reichlichen Lohn, den der Fürst mir versprochen hatte - und er zahlte wöchentlich im Voraus, wie ich seit dem gestrigen Abend wusste! - würde ich einen Teil abgeben und mir damit die Arbeit erleichtern.
Doch daraus wurde nichts, denn noch während ich die letzten Schlucke Thee austrank, ließ Romeran mir ausrichten, ich solle in eines der Besucherzimmer kommen, die links und rechts der Eingangshalle waren.
Als ich die Halle betrat, wartete Romeran bereits auf seinen Stock gestützt neben einer Tür.
„Guten Morgen!“, wünschte ich. „Wobei kann ich behilflich sein?“ Denn ich konnte mir nur vorstellen, dass ich einen Botengang für den Fürsten erledigen sollte. Wegen eines wichtigeren Auftrags hätte Borran mich zu sich rufen lassen.
„Wir haben Besuch“, antwortete Romeran. „Fürst Borran hat keine Zeit, diesen nicht vereinbarten Termin wahrzunehmen. Er bittet Sie, mit dem Besucher zu reden.“
„Wer ist es denn?“
„Cham Corram, der Stadthauptmann von Dongarth.“
„Oh!“, fuhr es mir heraus. „Was soll ich ihm sagen?“
„Es gibt keine Vorgaben von Fürst Borran. Fragen Sie, welches Anliegen den Stadthauptmann hierher geführt hat.“
Ich kratzte mich am Kopf. Das konnte schiefgehen. Corram war der Vorgesetzte der Hauptleute der Wache. Ich kannte ihn vom Sehen, hatte aber noch nie mit ihm gesprochen. „Und wenn er ausdrücklich den Fürsten sprechen möchte?“
„Ich habe ihm bereits gesagt, dass das in den nächsten Tagen nicht möglich sein wird.“
„Warum?“
„Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nötig. Weder gegenüber Ihnen, noch gegenüber ihm.“
Romeran stakte mit seinem Stock davon und ließ mich ratlos vor der Tür stehen. Also setzte ich ein gekünsteltes Lächeln auf und trat in das Besucherzimmer.
Cham Corram war ein großer, kräftiger Mann Anfang vierzig. Er hatte ein Gesicht, das gleichzeitig Intelligenz und rohe Kraft ausdrückte. Am ehesten könnte man es mit dem eines gebildeten Boxers vergleichen, denn seine Nase war ein wenig eingedrückt und schief.
Er saß auf einem Stuhl, vor sich eine Tasse und eine Kanne mit Thee. Also wartete er schon länger, was ein Grund für das Stirnrunzeln sein konnte, als er mich sah.
„Sie?“, fragte er langgezogen. „Wann kommt der Fürst?“
„Er hat Ihnen bereits ausrichten lassen, dass er keine Zeit hat. Kann ich etwas für Sie tun?“
Ich setzte mich ihm gegenüber und sah ihn offen und aufmerksam an. Jedenfalls hoffte ich, dass meine Miene so wirkte.
„Sie können sich wieder in das Zimmer verkriechen, das Sie dem Vernehmen nach jetzt hier im Haus bewohnen“, sagte er bissig. „Halten Sie sich aus allem heraus. Und wenn Sie es genau wissen wollen: Das ist derselbe Ratschlag, den ich Fürst Borran geben wollte. Richten Sie ihm das aus.“
Er stand auf, als wolle er gehen. Ich stoppte ihn, indem ich fragte: „Seit wann sind Sie weisungsbefugt gegenüber einem Fürsten?“
Da ich sitzenblieb, konnte er auf mich herabsehen, während er antwortete: „Fürst Borran ist Herrscher über die Provinz Borran, aber nicht über die Hauptstadt. Dongarth ist Sitz des Königshauses und deshalb von allen Fürsten unabhängig. Auch wenn er hier wohnt, hat er nicht mehr Rechte, als jeder andere Bürger.“
Das war übertrieben ausgedrückt, denn ein regierender Fürst hatte in jeder Beziehung mehr Rechte als ein Bürger. Schon weil er über Geld und Soldaten verfügte, die es ihm ermöglichten, durchzusetzen, was er für sein gutes Recht hielt. Aber formell stimmte, was der Stadthauptmann sagte. Borran konnte ihm keine Befehle erteilen. Umgekehrt galt allerdings dasselbe.
Ich lehnte mich zurück, um bequemer zu Corram hochsehen zu können. „Gibt es einen besonderen Grund für ihre Bitte?“, wollte ich wissen. „Zumindest was meine Person angeht? Ich bin Bürger von Dongarth und kann in der Stadt tun, was ich will, solange es nichts Unrechtes ist.“
„Sie können wenig tun, wenn ich Sie einsperren lasse“, knurrte er. „Zu Ihrem eigenen Schutz, versteht sich. Sie ziehen in den letzten Tagen zu viel Ärger auf sich, junger Mann. Das mag ich nicht, auch wenn Sie ganz gut damit zurecht zu kommen scheinen.“
„Mir wäre es auch lieber, wenn ich hübsche Frauen anziehen würde, statt streitsüchtiger Schlägertypen“, behauptete ich. „Es liegt nicht an mir, das können Sie mir glauben.“
„Da bin ich mir nicht so sicher. Warum kommen diese Leute alle aus Krayhan, wo auch Sie herstammen?“
„Ich kenne keinen von ihnen aus früheren Zeiten. Als ich nach Dongarth kam, war ich neunzehn, und ich hatte schon eine lange Reise hinter mir. Seitdem bin ich nie wieder in Krayhan gewesen.“
„Sie halten Kontakt mit Ihrer Mutter“, sagte er.
„Aber nur per Brief, und auch das selten. Woher wissen Sie das? Bin ich so interessant für Sie, dass Sie mir Spitzel auf den Hals gehetzt haben?“
„Ich lasse mich regelmäßig über alle Ärgermacher in der Stadt informieren“, sagte er. „Ihr Name taucht da zu häufig auf, als dass ich Sie ignorieren könnte.“
„Moment!“, protestierte ich. „Ich bestehe auf der Feststellung, dass nicht ich derjenige bin, der Ärger macht. Es sind immer die Anderen, die anfangen.“
Er winkte ab. „Sparen Sie sich das. Ein ehrbarer Bürger, der tagsüber arbeitet und abends zu Hause oder in der Taverne sitzt, hat die Probleme nicht, die Sie anzuziehen scheinen.“
„Ob ich mich zum ehrbaren Bürger eigene, bezweifle ich selbst“, gab ich zu.
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