„Der Wirt könnte ihnen verraten, dass die Wache schon da war“, sagte ich. „Das wird sie misstrauisch machen.“
„Wir haben ihm klar gemacht, dass er den Mund zu halten hat“, entgegnete Sterrin. Einen Moment später sagte er: „Verdammt, sie teilen sich. Einer geht alleine weiter. Ber, um den kümmerst du dich.“
Der Mann nickte, machte ein paar Schritte von uns weg und schien zu verschwinden. Nur, weil ich wusste, wo er sein musste, sah ich noch den etwas dunkleren Fleck, der an dieser Stelle mit der Hauswand verschmolz.
„Nicht schlecht“, sagte ich anerkennend. „Der versteht sein Handwerk.“
„Was das Verfolgen angeht, ist er der beste, den ich habe“, antwortete Sterrin. „Leider ist er für sonst kaum etwas zu gebrauchen. Da! Die anderen drei gehen jetzt hinein.“
Durch die Fenster sahen wir, wie einer von ihnen mit der Faust auf den kleinen Tresen hieb, bis aus einem Hinterzimmer ein bulliger, älterer Mann kam.
„Der Besitzer“, kommentierte Sterrin. „Rellmann hat für das Zimmer einige Tage im Voraus bezahlt. Wir haben dem Wirt gesagt, er könne das Geld behalten, wenn er mit uns zusammenarbeitet.“
Was drinnen gesprochen wurde, konnten wir nicht hören, aber es schien ein heftiger Wortwechsel mit gegenseitigen Drohnungen zu sein. Schließlich holte der Wirt ein paar Münzen aus der Tasche und warf sie vor die drei hin. Sie nahmen sie, schüttelten wütend noch einmal die Fäuste und machten kehrt.
Wir zogen uns zurück, damit sie uns nicht sahen, wenn sie wieder auf die Straße traten.
Sie blieben vor der Absteige stehen und warteten. Also würde wohl der vierte Mann gleich zurückkommen. Nach einigen Minuten sahen wir auch ihn. Nur einen Moment später stand scheinbar aus dem Nichts kommend Ber neben uns.
„Er hat eine der besseren Tavernen in der Nähe des Nord-Tors ausgekundschaftet. Kurz hinein geschaut, als suche er jemanden. Hat den Wirt gefragt, und der hat den Kopf geschüttelt.“
„Seid still, sie streiten sich“, warf ich ein.
Diesmal wurden die vier so laut, dass wir das meiste von dem verstehen konnten, was sie sagten.
„Rellmann hat aber geschworen, dass er den Auftraggeber in der Taverne getroffen hat!“
„Ich habe dem Wirt Rellmann beschrieben. Er sagt, so einen hätte er nie bei sich gesehen. Außerdem sei die Taverne eine Woche geschlossen gewesen, weil er und alle seine Leute Dünnpfiff hatten. Muss etwas Schlechtes im Essen gewesen sein.“
„Und deshalb glaubst du ihm, dass Rellmann nie dort war?“
„Dummkopf, die Taverne war auch an dem Tag geschlossen, als Rellmann hier angeblich den Auftraggeber getroffen hat. Der Kerl hat uns angelogen!“
„Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich ihn jetzt erschlagen!“, brüllte einer der vier. „Er schuldet jedem von uns einen halben Taler.“
„Wir müssen aus Dongarth verschwinden“, sagte ein anderer. „Die Wache lässt uns nicht noch einmal laufen. Wie steht es, kommt ihr mit? Morgen früh gehen wir nach Norden und suchen uns eine kleine Stadt, in der wir zu Geld kommen können.“
Die drei Anderen stimmten zu und gemeinsam gingen sie in Richtung Tor.
Sterrin gab Ber den Auftrag, ihnen zu folgen. Dann kehrten wir zu der Absteige zurück und fragen den Wirt, was er mit den Kerlen besprochen hatte.
„Sie wussten, das der Mann im Voraus bezahlt hat, und wollten das Geld haben“, sagte der. „Ich habe ihnen klar gemacht, dass es nicht ihr Recht ist, das zu fordern. Sie haben behauptet, er schulde ihnen etwas, aber das ist ja nicht meine Sache. Weil ich nicht wollte, dass sie mir die Möbel kurz und klein hauen, habe ich ihnen schließlich ein paar Münzen gegeben.“
„Wie viel?“, fragte ich.
„Zwölf Heller“, antwortete er.
„Das reicht, um in einer billigen Taverne bis zum Morgengrauen Bier zu trinken“, sagte Sterrin. „Vermutlich ist es das, was sie jetzt vorhaben.“
Wir gingen wieder hinaus.
„Rellmanns Auftraggeber hat keine Spuren hinterlassen“, sagte Sterrin.
„Also ist er kein Anfänger“, folgerte ich.
„Die Seherin behauptete, es handle sich um ein gewöhnliches Verbrechen. Sie hat nicht gesagt, dass dahinter ein gewöhnlicher Verbrecher steckt.“
„Guter Einwand“, gab ich zu.
6
Die hohe, gewölbte Form der Außenmauern der Akademie des Zeuth zeigte ein schwaches Rot. In der Stadt steckten die Leute die Köpfe zusammen und tauschten tuschelnd Vermutungen aus, was die Magier erzürnt haben mochte. Ich erledigte an diesem Vormittag ein paar Besorgungen für Jinna und kümmerte mich zunächst nicht darum. Erst, als ich im Vorbeigehen den Namen Borran in Verbindung mit den Magiern hörte, wurde ich aufmerksam.
Die vergangene Nacht hatte ich nicht in seiner Residenz verbracht, sondern im Handelshaus Oram. Auf dem Weg dorthin achtete ich darauf, nicht verfolgt zu werden. Die Befürchtung, ich könnte durch meine Anwesenheit eine Gefahr für Jinna darstellen, ließ mich nicht los. Auch wenn ich das nun, da die vier Kumpane von Rellmann die Stadt verlassen hatte, für übertrieben hielt.
Ich eilte die Straße hoch zur Residenz und sah eine Gruppe von zwei Dutzend Schaulustigen. Sie streckten vor dem Eingangstor zum Grundstück die Hälse, um etwas zu sehen. Wachsoldaten des Fürsten drängten sie zurück. Mich ließen sie passieren. Die Tür stand offen, wurde jedoch ebenfalls von zwei Soldaten bewacht, so dass Neugierige nicht eindringen konnten.
Romeran war nirgends zu sehen, und auch sonst niemand von der Dienerschaft. Ich rannte die Treppen hoch, denn ich hörte Stimmen aus dem rechten Flügel des Gebäudes, wo sich die Sammlung magischer Artefakte befand. Auch hier stand ein Soldat. Er kannte mich nicht und hielt mich zurück. Durch die offene Tür rief er in den Saal mit der Sammlung: „Darf der hier passieren?“
Es dauerte eine Minute, bis Romeran erschien. „Lassen Sie ihn herein“, sagte er.
„Was ist passiert?“, fragte ich. Doch dann war ich durch die Tür, konnte in den Saal sehen und blieb abrupt stehen.
In der hinteren Hälfte schien ein Feuer gewütet zu haben. Wände und Decken waren geschwärzt, Möbel angesengt und das Glas von Vitrinen geplatzt.
Menschen in farbigen Roben standen diskutierend beisammen. Zwei Magi und vier Adepten der Akademie des Zeuth beschäftigten sich mit einem Gegenstand, den ich nicht erkennen konnte. In einer Ecke beugten sich ein Heiler und ein Priester der Göttin Fanna über jemanden, der am Boden lag. Die Gegenwart des Priesters war es, die mich am meisten erschreckte.
Fanna hatte, wie alle Götter, zwei Gesichter, und man wusste nie, welches sie den Menschen gerade zuwandte. Sie war die Göttin der Heilung und des Todes zugleich. Deshalb erbat man ihren Beistand nur, wenn man schwer erkrankt oder verletzt war. Sie besaß die Kraft, einen Menschen schnell zu heilen - oder noch schneller zu töten. Bat man sie um ihre Hilfe, wusste man nicht, welche der beiden Gnaden sie einem zuteilwerden ließ.
Romerans Gesicht war blass, zeigte aber einen gefassten Ausdruck. Doch seine Augen waren ständig bei dem Heiler und dem Priester. Es war klar, wer der Mann war, um den sich die beiden kümmerten.
Ich rannte zu ihnen und sah Fürst Borran verkrümmt und bewusstlos am Boden liegen. „Was ist geschehen?“, fragte ich.
Der Heiler war dabei, mit behutsamen Griffen die verkrampften Glieder seines Patienten zu strecken. Ein strenger Geruch lag in der Luft, offenbar hatte er Borrans Brandwunden im Gesicht bereits mit einer Salbe behandelt. Der Priester murmelte mit gefalteten Händen ein Gebet. Beide würdigten mich keiner Antwort, sondern konzentrierten sich auf ihre Aufgabe. Was auch besser war. Ich benahm mich schon wie einer der Schaulustigen bei einem Unfall, der die Rettungsarbeiten störte, nur um genau sehen zu können, was vor sich ging.
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