Borran wirkte benommen und reagierte kaum auf die Fragen, die der Heiler an ihn richtete. Deshalb stützte man ihn, damit er mit kleinen Schritten zur Tür gehen konnte, wo Romeran mit besorgter Miene wartete.
Ich sah Magi Achain eine Weile an, bevor ich sagte: „Also ist Fürst Borran krank?“
„Entweder sehr krank oder sehr neugierig. Er hat versucht, die Wirkung dieser beider Artefakte zu vereinen. Sobald er dazu fähig ist, werde ich ihn zu einem Gespräch in die Akademie bitten und mit ihm über seine Sammlung reden. Es ist ein gefährlicher Zeitvertreib, sich mit magischen Gegenständen zu beschäftigen, ohne selbst Magier zu sein.“
„Warum erzählen Sie mir das?“
„Sie haben mich danach gefragt, junger Mann. Und ich halte es für gut, dass Sie das alles wissen. Wie man mir zugetragen hat, leben Sie von jetzt an hier im Haus.“
„Vorübergehend“, schränkte ich ein.
„Davon habe ich nichts gehört“, sagte er und wandte sich einem der Adepten zu, der bei den Aufräumarbeiten offenbar einen Fehler gemacht hatte.
Ich sah mich um. Viele Gegenstände aus der Sammlung des Fürsten waren von dem kalten Feuer betroffen, das hier gewütet hatte. Sie mussten aus ihren halb zerstörten Vitrinen genommen und anderweitig untergebracht werden. Und zwar, das sah ich nun ein, ohne dass sich zwei davon berührten und so womöglich noch einmal eine unerwünschte Reaktion auszulösen.
Ich beschloss, diese Arbeit der Fachleute nicht zu stören, und verließ den Saal.
Am Abend des zweiten Tages nach dem Vorfall ließ mich der Fürst in sein Arbeitszimmer rufen. Ich hatte bis dahin nichts mehr von ihm gesehen und nur von Romeran gehört, dass es ihm wieder gut ging. Zwar sah der Heiler noch drei Mal täglich vorbei, um die passende Salbe aufzutragen und nachzusehen, ob nicht eine Entzündung eingetreten war. Doch dabei handelte es sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme.
In der Stadt kursierten Gerüchte über ein kaltes Feuer, das jemand aus Rache entzündet habe. Aber niemand hatte eine genaue Vorstellung davon, um was es sich dabei handelte, und niemand wusste zu sagen, wer so einen Hass auf den Fürsten hegen könnte. Das Gerede würde sich bald legen.
Ich erwartete, mit ihm allein reden zu können. Aber es war ein Gast bei ihm, als ich eintrat. Ein schmächtiger Mann in abgenutzter Kleidung mit einem ungepflegten Bart und einer Halbglatze. Ich kannte ihn vom Sehen, er hieß Seliim und trieb sich meist auf dem Händlerwasen herum. Bisher hatte ich geglaubt, er sei einer von denen, die sich ein paar Heller verdienen, indem sie den eintreffenden Händlern beim Abschirren der Zugtiere und beim Einrichten provisorischer Unterkünfte für ihre Handlanger halfen. Aber so ein Mann passte nicht in das Arbeitszimmer eines Fürsten.
„Sie kennen sich?“, fragte Borran, ohne mich durch mehr als ein Kopfnicken zu begrüßen. Teile seiner Gesichtshaut waren gerötet und glänzten von der Salbe. Sein Bart war an der linken Seite weggesengt.
„Herr von Reichenstein“, kam mir Seliim mit einer Antwort zuvor. „Wir hatten bisher nicht direkt miteinander zu tun. Aber man sieht sich mal hier und mal dort, nicht wahr?“ Er grinste mich an, was seltsam aussah, weil er nur noch einen Zahnstummel im Mund hatte.
„So ist es“, stimmte ich zu.
„Sie beide werden künftig zusammenarbeiten“, sagte der Fürst. Als er meine Überraschung sah, fügte er hinzu: „Seliim hat immer ein offenes Ohr für die Geschichten, die die Händler mitbringen. Seine Aufmerksamkeit ist wertvoll für mich.“
Nun verstand ich. Das war ein Spitzel, der für den Fürsten arbeitete. Es war bekannt, dass sowohl Borran als auch das Königshaus sich solcher Zuträger bedienten. Angeblich sogar die Kurrether, die zwar niemand mochte, die aber gut bezahlten.
„Seliim, berichte noch einmal, was du erfahren hast.“
Der Schmächtige verbeugte sich, etwas tiefer, als es ein Diener normalerweise tat, und begann: „Es ist gestern ein Wagenzug aus der Provinz Krayhan eingetroffen. Sechs Planwagen, gezogen von Ochsen, was ungewöhnlich ist, und nur von einem alten Söldner begleitet. Beides lag darin begründet, dass die Wagen schwerbeladen waren mit einer Ware, die Diebe nicht zu schätzen wissen, nämlich Papier. Es stammt aus den Papiermühlen nahe Kerrk, ist von minderer Qualität, wird aber in den Städten im Südwesten gerne gekauft.“
Borran machte eine rotierende, ungeduldige Bewegung mit der rechten Hand. „Weiter!“
„Ich habe mich nützlich gemacht und derweil nicht nur mit den Treibern der Ochsen ein Gespräch angefangen, sondern auch mit dem Händler, der für den Transport die Verantwortung trägt. Sein Name ist Aldar Korqu. Er ist nicht von Bedeutung.“
Ich wollte fragen, warum er uns dann mit solchen Einzelheiten belastete, unterließ es aber. Womöglich hätte er in der Folge noch ausführlicher erzählt.
„Er hat mir von einer interessanten Begegnung unterwegs berichtet, in der letzten Raststätte vor Dongarth. Dort war ein Händler, den er schon einmal in Kerrk getroffen hatte. Der Name dieses Mannes lautet Serenhem Bendal.“
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Das war der Mann, der Fürst Borran den Elfenstein verkauft hatte. Hielt der sich hier in der Gegend auf?
„Bendal schien nicht erfreut darüber, erkannt worden zu sein. Er meinte, er wolle neue Geschäftsfelder in der Hauptstadt erkunden. Dabei sei es besser, unter anderem Namen aufzutreten. Sonst treibe man die Preise unnötig in die Höhe.“
„Hat er gesagt, um welche Art Geschäfte es ging?“
„Nein, er tat geheimnisvoll.“
Ich wandte mich an den Fürsten. „Vielleicht will Bendal mit Ihnen über den gestohlenen Stein reden.“
„Ich glaube nicht, dass er das vorhat. Seliim, berichte weiter.“
„Es bleibt nicht mehr viel zu sagen. Heute Morgen hat man Aldar Korqu tot aus dem Donnan gefischt. Jemand hat ihm in der Nacht erwürgt. Die Leiche sollte vermutlich den Strom hinab treiben, ist aber am Südufer hängengeblieben.“
„Könnte es sein, dass Serenhem Bendal besonders viel Wert darauf legt, in Dongarth nicht erkannt zu werden?“, fragte ich.
„Es ist eine der möglichen Erklärungen“, sagte Fürst Borran. „Danke, Seliim, du kannst jetzt gehen. Und pass auf, dass es dir nicht ergeht wie dem Händler Korqu.“
Seliim kicherte, rieb sich die Hände, dienerte und verließ das Arbeitszimmer. Vermutlich hatte ihm der Fürst bereits vorher einen Lohn für seine Arbeit gegeben.
„Aron, Sie müssen sich dieser Sache annehmen. Suchen Sie nach Bendal und finden Sie heraus, was er hier in der Stadt vorhat. Und vor allem, bringen Sie mir den Elfenstein!“
Der letzte Satz kam mit solchem Nachdruck heraus, dass ich nachzufragen wagte: „Brauchen Sie ihn so dringend?“
Sein finsterer Blick besagte deutlich genug, dass mich das nichts anging. Was aber an sich schon ein indirektes Eingeständnis. Er schien die Heilkräfte des Steines wirklich zu benötigen.
„Sie kümmern sich vorerst um nichts Anderes“, sagte er. „Ich bezahle Ihre Zeit gut, aber ich erwarte auch Ergebnisse. Bald!“
„Was heißt gut?“
„Fünf Silbertaler“, antwortete er.
„Das ist der Monatslohn, den ein einfacher Arbeiter bekommt!“, protestierte ich.
„Fünf Silbertaler pro Woche“, präzisierte er.
Ich stieß einen Pfiff aus. Das wiederum war ein unerwartet hoher Lohn, den zum Beispiel der angestellte Meister in einem Handwerksbetrieb verlangen konnte.
„Dafür werde ich jede wache Minute in den Dienst Ihrer Sache stellen“, versprach ich ein wenig hochtrabend.
„Dann fangen Sie am besten gleich damit an.“
Ich verstand und ging zur Tür.
„Ach ja“, rief er mir hinterher. „Hören Sie sich auch weiterhin nach diesem Reisenden um, der aus dem Osten gekommen sein soll. Haben Sie schon einen Bericht von dem Mann, den Sie Richtung Kerrk geschickt haben?“
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