„Was sollte das denn?“, empörte sich ihre Freundin und sah sie mit offenem Mund an.
„Ich musste das beenden. Er hätte mich erschlagen, wenn ich es nicht getan hätte.“
„Ich meinte nicht dich, sondern ihn. Ist er vollkommen verrückt geworden?!“
Tia hob den Blick. „Er war total sauer.“
„Warum?“, wollte Fin wissen.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Du musst zu einem Heiler“, befahl Tamara und deutete auf Tias Hände.
„Ja“, sagte sie nur leise und machte sich auf den Weg zum Zelt der jungen Frau von heute Morgen.
Die war jedoch gerade nicht da und so musste Tia etwas warten. Die ganze Zeit starrte sie auf ihre Hände. Was war nur mit Heras los?
Klar, er war schon immer ein Arsch gewesen, doch so war er noch nie ausgerastet. Auch war er kein Freund der Frauen in der Truppe, doch er hatte sie akzeptiert, weil sie kämpfen konnten und seinen Befehlen Folge leisteten.
Was auch immer ihm über die Leber gelaufen ist, es war definitiv größer als eine Laus , überlegte Tia. Sie betrachtete die Schnitte auf ihrer linken Hand. Sie waren nicht tief aber schmerzhaft und sie bluteten immer noch leicht. Den Verband von der Rechten zu lösen, traute sie sich nicht. Er war mittlerweile komplett durchtränkt und es fühlte sich nicht so an, als hätte es schon aufgehört zu bluten. Endlich kam die Heilerin. Sie sah Tias Hände, noch bevor diese etwas sagen konnte, und zog Tia ins Zelt.
„Was hast du denn gemacht?“, fragte sie mitfühlend, löste den Verband vorsichtig und begann das Blut weg zu tupfen.
„Es war eine Strafe.“
„Was?!“, entfuhr es der Frau. „Wer straft denn so? Und wie?“
„Es ist schon gut. Ich musste unsere Ausrüstung prüfen. Bei 150 Mann ist das Einiges. Da bleibt so was nicht aus.“
Die Frau schüttelte den Kopf. „So was. Du gehörst zu den Neuen, nicht wahr?“
„Ja.“
„Die Kavallerie des Westens. Man hört so einiges über euch.“
Tia grinste. „Was denn so?“
„Na ja, ihr seid ziemlich furchtlos. Und anscheinend auch ziemlich rau.“ Sie deutete mit einem Nicken auf Tias Hände. „Eure Siege-Niederlagen Statistik liegt bei 100 Prozent Siegen.“
Tia nickte. „Stimmt. Wir haben noch keinen Kampf verloren.“
„Ihr seid eine echte Bereicherung für das Heer“, lächelte die Frau.
„Kann schon sein. Wenn man uns kämpfen lässt, wie wir es gewohnt sind.“
„Dürft ihr das denn nicht?“, fragte sie argwöhnisch aber auch neugierig.
„Ich weiß noch nicht genau. Bis jetzt sieht es nicht danach aus. Allerdings gibt es bis jetzt auch keine weiteren Pläne, außer, dass wir uns eurer Kavallerie anschließen sollen.“
„Da holt man euch her und sagt euch nichts. Und man schlägt euch blutig. Das sind ja Aussichten.“
„Was soll man uns denn sagen?“
In dem Moment wurde die Eingangsplane beiseite geschlagen und Ilkay kam herein.
Tia stöhnte innerlich auf. „Du schon wieder“, entfuhr es ihr, bevor sie nachgedacht hatte. Sie verstummte sofort und biss sich auf die Unterlippe. Hoffentlich reagierte er nicht auch so über, wie Heras.
Doch Ilkay lächelte über ihre Aussage und kam näher. „Tamara sagte mir, dass du hier bist.“ Sein Blick fiel auf ihre Wunden und wurde finster. „Was ist passiert?“
„Ich hatte einen Übungskampf.“
„Davon habe ich gehört, deswegen bin gekommen. War das Heras?“
„Nein. Ich habe das Schwert geführt.“
Er kniff die Lippen zusammen, weil sie wusste, wie er es gemeint hatte und ihm dennoch auswich. Sie würde ihren Offizier nicht ins offene Messer laufen lassen, egal was für ein Idiot er war.
Ilkay ließ sich neben ihr nieder und betrachtete die aufgerissenen Hände. „Das sieht schlimmer aus als heute Morgen.“
„Sie sind etwas weiter aufgerissen. Ist aber nicht schlimm. Kaputte Hände und Schwertkämpfe vertragen sich eben nicht.“
„Warum hast du überhaupt gekämpft? Du hättest warten sollen bis das verheilt ist.“
„Es war ein Befehl.“
Ilkays Miene wurde noch finsterer. „Ich glaube, ich werde das ansprechen müssen“, sagte er, den Blick noch immer auf ihre Hände gerichtet. Die Heilerin schaute erst ihn, dann sie an. Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
„Tu das nicht. Das erste Mal war eine Strafe und jetzt war es ein Befehl. Er hat nichts falsch gemacht.“
„Was auch immer er für ein Problem hat, man kann es auch anders lösen“, fauchte der Hauptmann und sah sie scharf an. „Egal welchen Rang er hat. Er darf seine Launen nicht an seinen Leuten auslassen!“
„Das stimmt“, meinte die Heilerin. „Strafen sind wohl gerechtfertigt, wenn sie angebracht sind. Aber man muss das Maß beachten. Ich denke, was immer du angestellt hast, dies hier ist zu viel Maßregelung.“ Sie deutete auf Tias Hände. „Ich muss den Schnitt in der rechten Hand nähen.“
Ilkay brummte bei diesen Worten, sah Tia aber nicht an.
„Melde es nicht, bitte. Ich weiß, ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, aber ich kann dich darum bitten.“
Er schaute sie lange an und schien abzuwägen, dann gab er nach. „Meinetwegen.“ Er erhob sich. „Ich warte draußen.“
Als die Plane hinter ihm zufiel, meinte die Heilerin: „Ilkay hat recht. Euer Hauptmann darf das nicht. Offizier hin oder her. Alles müsst ihr euch nicht gefallen lassen.“
„Seid ihr Freunde? Du und Ilkay?“
„Wir kennen uns schon lange. Ich bin übrigens Mira.“
„Tia. Freut mich. Und danke für das hier.“
„Das ist mein Beruf.“ Mira lächelte. Die ruhige, sanfte Stimme der Heilerin, brachte Tias aufgewühlte Gedanken zur Ruhe. Sie beobachtete deren geschickte Finger bei der Arbeit, während sie nachdachte.
Ilkay hatte durchaus recht. Heras hatte vielleicht überreagiert, doch es brachte auch nichts, ihn anzuschwärzen. Solange er ihr Hauptmann war, würde sie seinen Befehlen Folge leisten müssen und er konnte sie auch auf weniger offensichtliche Weise bestrafen.
Sie verstand nur nicht, warum er jetzt so war. So unerträglich er schon früher gewesen war, seit sie im Hauptlager waren, schien es von Tag zu Tag schlimmer zu werden und irgendwie traf es nur sie. Sie nahm sich vor, noch vorsichtiger zu sein, was ihren Hauptmann betraf. Es war leichter, sich ihm unterzuordnen, als ständig Gefahr zu laufen in seine Schussbahn zu geraten.
Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, als sie aus Miras Zelt trat. Ilkay wartete davor und sah sie nachdenklich an.
„Was ist los?“, fragte sie und verengte die Augen.
„Ich habe mir was überlegt.“
„Aha und was?“
„Ich werde beantragen, dich in meine Kavallerie zu holen. Was denkst du?“
„Was? Nein! Auf keinen Fall! Wieso?“
Seine Augen weiteten sich. „Willst du dir das etwa weiter antun?“
„Natürlich nicht. Aber ich werde auch nicht weglaufen. Diese Leute sind meine Familie und meine Freunde. Ich will nicht weg von ihnen. Bitte.“ Tia betonte das letzte Wort leicht flehend, damit er nicht auf den Gedanken kam, es als Befehl weiterzugeben. Er hatte sicher mehr Einfluss als Heras und wenn er anordnen würde, sie zu versetzen, würde es auch geschehen.
„Ich verstehe.“ Er senkte den Blick.
„Sie sind mein Zuhause“, versuchte sie die Stimmung zu retten und wusste selbst nicht warum.
„Wenn du nicht willst, dann nicht. Es war nur ein Gedanke.“
Sie schwieg. Warum will er mich zu sich holen? Ausgerechnet mich?
„Begleite mich ein Stück“, bat er.
„Ich muss zu meinen Leuten zurück“, sagte sie und sah sich um. Der Platz war leer. „Wo sind die denn?“ Sie war verwirrt.
Ilkay lachte leise. „Ich habe Tamara gebeten, sie mitzunehmen.“
„Oh, gut.“
„Du hast den Abend frei. Also kommst du mit?“
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