„Was wird das hier?!“, fragte der Hauptmann mit schneidender Stimme.
„Wir machen eine kurze Pause, Hauptmann“, erklärte Tia.
„Pause?! Du weißt schon, warum wir hier sind?! Das hier ist kein Urlaub! Los zurück aufs Feld!“
„Wir haben bis gerade eben trainiert. Ich wollte nur, dass sie sich nicht überhitzen. Das wäre nicht förderlich. Sobald sie etwas ausgeruht haben, machen wir weiter.“
„Das war keine Bitte, Tiara!“
Sie senkte den Blick und wandte sich an ihre Gruppe. „Los Leute, Aufstellung.“
Ihre Kameraden stapften los, allerdings ohne Murren, wie sie erleichtert feststellte.
„Schon besser. Du auch“, befahl er ihr mit einem Kopfnicken und drehte sich halb, um sie vorbeizulassen.
„Ich wollte ein paar Tage aussetzen, wegen meiner Verletzungen.“
„Im Kampf kannst du auch nicht aussetzen, nur weil du verletzt bist. Los jetzt!“
„Ja, Herr Hauptmann.“ Sie nahm ihre Waffen auf, hängte den Bogen um, zog ihr Schwert und trat an ihm vorbei und wollte zu Donens gehen, der sich schon für sie bereitstellte, als Heras ihn zurückrief. „Ich mach das! Such dir einen anderen Partner.“
Verdammt , dachte Tia.
Mit Donens hätte sie weniger hart kämpfen können, denn er hätte Rücksicht genommen. Heras würde aber keine Gnade zeigen. Was auch immer gerade sein Problem war. Er schien es, auf sie abgesehen zu haben.
„Wo ist deine Rüstung?“, fragte er forsch.
„Im Zelt. Ich wollte zum Training nur die Leichte tragen.“
„Im Kampf hast du auch keine leichte Rüstung!“
Ich weiß. Ich habe genug Kämpfe mitgemacht. Das hier ist Übung und keine Schlacht. Gerne hätte sie die Augen verdreht, doch sie verkniff es sich. Heras nahm Aufstellung und hob das Schwert. Tia tat es ihm nach, ließ ihres aber mehr seitlich hängen. Sie wartete auf den Angriff des Offiziers. Er musterte ihre Haltung kurz, dann machte er einen Ausfallschritt nach vorn und schlug zu.
Tia hob ihr Schwert und wehrte den Schlag gezielt ab. Sie kannte Heras’ Kampfstil und wusste, welche Taktiken er hatte. Schon nach dem dritten Schlag konnte sie die nachfolgenden voraussehen. Doch sie hatte keine Zeit, einen eigenen Angriff zu starten. Heras ließ das Schwert auf sie niederfahren, als wollte er seinen gesamten Frust bei ihr abbauen. Schlag um Schlag wehrte sie ab und wurde dabei immer weiter zurückgedrängt. So konnte das nicht weitergehen. Sie musste ebenfalls einen Angriff starten.
Der Hauptmann ließ nicht nach und schlug in einem stetigen Rhythmus auf sie ein. Endlich erkannte Tia ihre Chance. Zwischen zwei seiner Schläge holte sie aus. Nicht so weit, wie sie es gern getan hätte - dafür hatte sie keine Zeit -, traf ihn aber trotzdem hart an der Seite. Hätte er keine Rüstung getragen, wäre ihr Schwert glatt in ihn eingedrungen. Heras knickte durch den unerwartet harten Schlag seitlich ein. Nur ein wenig und kaum wahrnehmbar, doch Tia sah die Wut in seinen Augen aufflammen.
Verdammt , dachte sie. Das war ein Fehler. Er hielt kurz inne und bedachte sie mit einem Blick, der hätte töten können. Dann ging er wieder auf sie los. Diesmal hatte er keinen Rhythmus. Er wechselte die Taktiken so schnell, dass Tia kaum die Chance hatte, einer zu folgen. Seine Schläge wurden immer härter und trafen sie oft an den gleichen Stellen, doch zum Glück immer nur mit der flachen Seite des Schwertes.
Ihre Lungen brannten vor Anstrengung und sie bekam kaum noch Luft. Was auch immer er damit bezwecken wollte, sie hoffte, er wäre bald fertig. Heras war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer, das wusste jeder. Ebenso vermieden es alle, ihn als Duellgegner zu haben. Tia war ihm fast ebenbürtig, doch seine Wut ließ sie lieber zurückweichen als angreifen. Sie hoffte, dadurch ein schnelleres Ende des Kampfes herbeizuführen. Sie irrte sich.
Im Augenwinkel nahm sie wahr, dass keiner mehr trainierte. Sämtliche Kämpfe waren eingestellt und jeder beobachtete den Schlagabtausch zwischen Heras und ihr. Er drosch ungnädig weiter auf sie ein. Seine Schläge brachten ihre Waffe zum Beben, doch sie hielt dagegen. Ihre rechte Hand, die Schwerthand, wurde feucht und sie wechselte in die linke. Zwar war Tia mit der nicht so schnell, doch für die Abwehr genügte es. Immer noch hoffte sie, der Offizier würde müde werden oder die Lust verlieren. Doch was auch immer in ihm geschlummert hatte, jetzt ließ er es raus und Tia war sein Opfer.
„Kämpfe!“, brüllte er sie immer wieder an und zwang sie mehrmals fast in die Knie. Er würde nicht aufhören, bis sie sich wehrte. Doch das würde ihn nur noch wütender machen. Trotzdem gab sie irgendwann nach. Der Kampf musste enden. Sie drehte sich aus seinem Schlag heraus und stand nun etwas seitlich. Heras’ Angriff ging ins Leere und Tia hob blitzschnell ihr eigenes Schwert. Sie traf den Hauptmann hart an der Schulter und zog die Klingenspitze an seinem Arm nach unten.
Es durchschnitt den Stoff an dessen Handrücken und brachte dem Hauptmann einen Kratzer bei. Es war wirklich nicht mehr als ein Kratzer, denn Tia hatte ihre Waffe weggezogen, sobald diese am ungeschützten Handgelenk angekommen war. Heras trug seine Panzerhandschuhe nicht und sie wollte ihn nicht ernstlich verletzen. Selbst wenn er das anscheinend bei ihr vorhatte.
Sein Blick schoss zu dem Kratzer und noch während er ihn ansah, landete Tia den nächsten Schlag auf seinem Rücken. Der brachte ihn ins Stolpern, doch er hielt sich oben. Dreimal hatte sie ihren Offizier bis jetzt angegriffen und dreimal hatte sie getroffen, hart. Sie wusste, es waren drei Fehler gewesen, aber was sonst sollte sie tun? Aufgeben? Niemals!
Er drehte sich zu ihr und ging erneut auf sie los. Wieder folgte Schlag um Schlag und wieder hatte Tia keine Möglichkeit, als abzuwehren. Sie wartete auf eine Gelegenheit. Doch bevor diese kam, rutschte ihr unvermittelt das Schwert aus der Hand und plötzlich schien alles etwas langsamer zu laufen. Sie registrierte, wie ihr der Griff entglitt und sie den Halt des Schwertes verlor. Heras sah es kommen und holte aus. Ohne darüber nachzudenken, ließ Tia die Waffe komplett los, griff hinter sich und hatte ihren Bogen binnen eines Wimpernschlages in den Händen. Zeitgleich fuhr ihre Rechte zum Köcher und zog einen Pfeil heraus. Sie legte an, zog die Sehne zurück und zielte direkt auf Heras’ Kopf.
Dann hörte sie nur noch ihren eigenen keuchenden Atem. Heras hatte mitten im Überkopfschwung innegehalten und starrte sie fassungslos und wütender denn je an. Trotz der gewaltigen Anstrengung des Kampfes gerade eben, hielt Tia den Bogen so ruhig, als wäre er in Stein gemeißelt, den Blick starr auf ihr Ziel gerichtet. Natürlich würde sie nicht schießen, doch für den Moment verschaffte es ihr eine Pause. Was sie tun würde, wenn Heras weiter angriff, wusste sie selbst nicht. Loslassen konnte sie jedenfalls nicht.
Dann endlich ließ er das Schwert sinken, bedachte sie mit einem abfälligem und mehr als zornigem Blick und verließ schließlich das Feld ohne ein weiteres Wort. Tia ließ ihre Waffe ebenfalls sinken, entspannte die Sehne wieder und hakte den Pfeil aus. Die Menge schwieg noch immer, auf eine unheimliche Weise.
Fin trat schließlich vor und gestikulierte, um die Aufmerksamkeit der Masse zu bekommen. „So Leute alles vorbei, weitermachen. Los“, rief er ihnen zu und langsam trollten sie sich. Eine Welle der Erschöpfung brach über Tia zusammen und sie ließ das Kinn auf die Brust sinken. Dabei fiel ihr Blick auf den Bogen und den Pfeil in ihren Händen.
Beide waren blutverschmiert. Sämtliche Schnitte waren aufgerissen und durch den Verband an ihrer rechten Handfläche sickerte Blut. Sie spürte keinen Schmerz. Wie betäubt starrte sie auf das Rot, das sich immer mehr auf dem Weiß des Tuches ausbreitete. Fin kam zu ihr, gefolgt von Tamara.
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