Außerdem interessierte es mich natürlich doch, was die beiden so trieben, aber nach Beates Angriff vermutete ich stark: gar nichts. Theo konnte ich mir so richtig vorstellen – keine Stelle, da schlechte Noten wegen Aufmüpfigkeit (ehrenwert, aber nicht sehr klug), Taxifahren kam aus ökologischen Gründen nicht in Frage, bei JobTime bekam man die Angebote auch ohne politische oder umwelttechnische Überlegungen vorgelegt, und sonst konnte der Gute ja nichts. Und Beate? Ein abgebrochenes BWL-Studium, damit konnte man Buchhaltung machen, jobben... alles nichts, wenn man die Verantwortung für den ganzen Planeten trug. Wahrscheinlich lebten sie von Sozialhilfe und reisten von Weltwirtschaftsgipfel zu Weltwirtschaftsgipfel, um zu protestieren. Vielleicht gaben sie Kurse in ökologisch korrekter Lebensführung? Als Film hätte ich das Leben der beiden sicher sehr lustig gefunden, aber wenn jede Erklärung als Vorwurf aufzufassen war, verging einem der Spaß schnell wieder.
Also, auf zu Brides !
Die Schaufenster sahen schon mal besser aus, sparsam dekoriert, schlichtere, aber witzigere Kleider. Das erste Fenster zeigte auf einer Unterlage aus Sand eine sitzende Schaufensterpuppe in einem schlichten, bodenlangen Kleid aus weißem Leinen. Viereckiger Ausschnitt, ärmellos, keine Verzierungen. Wunderschön für Sommerfeste, wenn es nicht gerade Spareribs gab, aber als Braut durfte man sich darin keinesfalls hinsetzen, wenn man nicht aller Welt eine verknüllte Hinterfront präsentieren wollte. Schade!
Die Puppe im zweiten Fenster stand im Wasser, das durch entsprechend drapierte blaue Plastikfolie dargestellt wurde. Das Kleid war ebenfalls blau. Nein, weiß, weiß mit einem Schimmer von Blau, je nachdem, wie das Licht darauf fiel. Runder Ausschnitt, kurze Ärmel, klare Linien, die geschwungenen Nähte im Vorderteil durch eine hauchdünne Linie irisierender blauer Perlen akzentuiert. Das gefiel mir nicht schlecht. Der schmale Rock hatte Seidenschlitze, so dass man sich wenigstens bewegen konnte, ohne zu trippeln wie 1890. Das sollte ich mir vielleicht näher ansehen?
Entschlossen drückte ich gegen die Tür und musste feststellen, dass Brides nur wochentags von elf bis siebzehn Uhr geöffnet hatte. Gemeinheit! Da hatte ich mich schon mal für etwas entschieden, und dann hatten die Faulpelze zu! Ich turnte noch etwas vor dem Fenster herum, bis ich das Preisschild entziffern konnte – 990 Euro, dafür konnte man auch ein ganzes Sofa kriegen, oder einen halben Laptop. Aber dieses Kleid war bis jetzt eindeutig das kleinste Übel.
Ich fand noch ein schönes T-Shirt für Werner und in der Bäckerei Aumeier diese Knabberstangen, die er so liebte, Blätterteig, dick mit Käse, Kümmel und Mohn bestreut, und nahm ihm eine Tüte voll mit. Tat ich das aus Liebe, aus schlechtem Gewissen oder um ihn vor dem Fernseher ruhig zu stellen? Schwer zu entscheiden. Ich wusste nur, dass ich mich in unserer Beziehung auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte. Ökologisch auch nicht. Und wer unsere Abrechnungen frisierte, wusste ich ebenfalls noch nicht. Festgefahren, in jeder Hinsicht!
Als ich nach Hause kam, unzufrieden und praktisch ohne Tüten (na gut, silbernen Nagellack für die Füße hatte ich mir noch gegönnt), war Werner nicht da. Immerhin hatte er wirklich den Frühstückstisch abgeräumt.
Dieser Idiot! Abräumen hieß doch nicht nur, alles in der Küche irgendwohin zu stellen! Hätte er Butter, Käse und Wurst nicht in den Kühlschrank räumen können? Die Butter stand in der Sonne und war schon halb flüssig, Käse und Schinken schwitzten sicher schon seit drei Stunden vor sich hin, mit Fetttropfen bedeckt und an den Rändern ausgetrocknet. Der Käse roch schon ganz streng. Ich kippte alles in den Müll – ich jedenfalls wollte das nicht mehr essen! – und räumte dann die Spülmaschine ein und das Wohnzimmer auf.
Zu nichts zu gebrauchen, dieser Kerl! Und dem brachte ich noch ein T-Shirt und seine Lieblingsknabberei mit. War ich denn verrückt? Am liebsten hätte ich die Knabberstangen selbst verdrückt, aber zum einen mochte ich das Zeug leider nicht, zum anderen hätte ich das vor seinen hungrigen Augen tun müssen, damit es wirklich eine Strafe war. Also schluckte ich statt der Knabberstangen meinen Ärger herunter und zog die Betten ab.
Werner kam erst am frühen Nachmittag wieder, müde, nassgeschwitzt und etwas streng duftend. „Super Workout!“, schwärmte er, „ich brauch sofort eine Dusche. Hast du jetzt ein Brautkleid?“
Ohne meine Antwort abzuwarten, zog er sich auf dem Weg ins Bad aus und ließ die Klamotten auf den Boden fallen. Ich ignorierte das und holte die Bettwäsche aus dem Trockner, um sie kurz zu bügeln. Als ich das Schlafzimmer fertig hatte und die Wäsche wieder im Schrank lag, kam Werner erfrischt und strahlender Laune aus dem Bad, zog sich frische Jogginghosen und ein T-Shirt an und fiel dann aufs Sofa. Im Flur lagen immer noch T-Shirt, Jogginghose, Socken, Shorts zwischen Küchen- und Badezimmertür sauber aufgereiht. Würde er sich heute noch darüber wundern oder erst morgen?
Ich präsentierte ihm nun doch, inkonsequent, wie ich war, die Knabberstangen, die begeistert begrüßt wurden und unter heftiger Krümelproduktion im Handumdrehen verspeist waren. „Ich glaube, heute Abend brauche ich gar nichts mehr zu essen“, stöhnte Werner hinterher satt und offenbar hoch zufrieden. „Was ist denn jetzt mit dem Brautkleid?“
Ich erzählte ihm von dem Kleid bei Brides . Der Preis schockte ihn weniger (er musste es ja nicht bezahlen) als die Farbe. „Was wird Onkel Josef sagen, wenn du nicht in Weiß heiratest?“
„Erstens ist es fast weiß“, argumentierte ich, „und zweitens denke ich, dein Onkel ist so furchtbar fromm? Dann muss er doch wissen, dass weißes Kleid und Schleier nur absolut jungfräulichen Bräuten zustehen, oder?“
„Na und?“
„Werner! Wir wohnen seit fünf Jahren zusammen, weiß er das denn nicht?“
„Bist du wahnsinnig? Das hat dem garantiert keiner erzählt! Er würde ausrasten!“
„Ist das eigentlich ein Erbonkel oder warum habt ihr alle derartig die Hosen voll? Was wäre denn schon groß passiert, wenn er einen Schock bekäme?“
„Er hat´s am Herzen. Nein, zu erben gibt´s da nichts. Er hat zwar alle seine Kinder wegen ihres Lebenswandels enterbt, aber das muss man wohl mehr symbolisch sehen.“
„Aber wenn er sich über jeden Scheiß künstlich aufregt, ist doch seine eigene Schuld, wenn er einen Herzkasperl kriegt, oder? Warum gehen alle auf Zehenspitzen, moralisch gesehen?“
„Weiß ich auch nicht“, antwortete Werner. „Jedenfalls wird er über das blaue Kleid bestimmt war zu sagen haben.“
„Mein Gott, dann sage ich halt, Weiß steht mir nicht oder sonst was. Muss ich
mir jetzt noch eine Tarnadresse zulegen, falls er fragt?“
„Übertreib nicht. Sein größtes Vergnügen auf Hochzeiten ist es, die Braut nach der standesamtlichen Trauung stur mit Fräulein Sowieso anzureden und nach der kirchlichen Trauung dann ganz ehrerbietig mit Frau und ihrem neuen Namen.“
„Dann solltest du vielleicht den Notarzt schon in Reserve halten, weil wir ihm das Vergnügen bestimmt vermasseln. Zur standesamtlichen Trauung brauchen wir doch bloß die Trauzeugen! Und was heißt hier überhaupt neuer Name ?“
„Na, er kommt dann, tätschelt deine Hand und nennt dich – möglichst als allererster – Frau Reitz.“
„Und wenn ich ihn dann korrigiere, greift er sich filmreif ans Herz? Da bin ich ja mal gespannt! Stell dich am besten mit einem Rollstuhl direkt hinter ihn.“
Werner grinste versonnen. „Klasse Bild! Äh – wieso korrigieren?“
„Ich heiße doch nicht Reitz!“
„Wieso? Natürlich heißt du nach der Hochzeit Reitz, wie denn sonst?“
„Thibault, wie vorher auch!“
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