Alles frei erfunden!
ImprintDetailarbeit. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2015 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-6256-0
„Haben Sie das noch mal originalverpackt?“
Eine mittelalterliche Frau hielt mir mit mürrischer Miene einen reduzierten Bildband über Bauernhäuser in den Ostalpen unter die Nase, obwohl ich gerade ein Verkaufsgespräch führte.
„Entschuldigung – ja, es müsste dort auf dem Aktionstisch liegen.“ Ich wandte mich der besorgten Mutter wieder zu, die nicht wusste, ob ihr Dreijähriger für ein Bilderbuch über zwei kleine Kätzchen schon reif genug war. „Das Buch ist völlig gewaltfrei und von der Handlung her auch recht eingängig. Nichts, was einen Dreijährigen überfor-“
„Da ist aber keins mehr!“, mischte sich die mürrische Person wieder ein.
„Wenn Sie einen Moment warten, bis ich mit dieser Kundin fertig bin, sehe ich gerne im Lager nach“, bemühte ich mich um Höflichkeit.
„ Warten ? Glauben Sie, ich habe nichts Wichtigeres zu tun? In fünf Tagen ist Weihnachten!!“ Empört wandte sie sich ab, warf den Bildband auf den Aktionstisch und verließ den Laden. Die besorgte Mutter lächelte schwach.
„- überfordern könnte“, versicherte ich, als seien wir nie unterbrochen worden.
„Na gut, wenn Sie meinen... kann man das umtauschen, falls es doch nicht das Richtige ist?“
„Solange es noch eingeschweißt ist, ja. Mit Kassenzettel.“
„Eingeschweißt? Aber dann sehe ich ja nicht, ob es Leon gefällt!“
Ich versuchte, nicht mit den Augen zu rollen.
„Es tut mir wirklich Leid, aber ein benutztes Buch können wir doch niemandem mehr verkaufen. Wenn es Ihrem Leon noch nicht gefällt, können Sie es doch auch ein bisschen aufheben, bis er weit genug ist“, schlug ich vor.
„Ja, vielleicht...“. Überzeugt klang das nicht, aber sie ließ sich von mir doch nach nebenan zur Kasse geleiten, wo Sonja wie eine Wilde tippte und verpackte, um die Schlange abzubauen. Ab und zu blies sie sich eine zerzauste dunkle Locke aus dem Gesicht, und als sie mich sah, zwinkerte sie mir zu, wenn auch schon reichlich matt.
Scheißweihnachten, konnte man da nur sagen.
Ich wandte mich von der Kassenschlange ab und überlegte, ob ich mir zwei Minuten Pause gönnen sollte. Verflixt, erst halb zehn und ich war schon so fertig wie sonst erst kurz vor Ladenschluss! Das war hier eine traditionsreiche Buchhandlung und kein Ramschladen – kauften denn dieses Jahr alle hier ein, die für teure Elektronik zu geizig waren?
„Entschuldigen Sie?“ Ich zauberte ein kundenfreundliches Lächeln auf mein Gesicht, bemühte mich, nicht an meine schmerzenden Füße zu denken, und drehte mich um. „Ja bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ja, also... ich weiß nicht so recht...“
Klasse. Die unentschlossene Kundin.
„Suchen Sie ein Geschenk oder etwas für sich?“
Die Kundin lächelte nervös, blass und müde. Eine Menge Tüten baumelten schon von ihrer rechten Hand und schnitten bestimmt schmerzhaft in ihre Haut. Keine von uns, wie ich mit raschem Blick feststellte – das Gothing-Logo war unübersehbar, blau und pink, eine grässliche Zusammenstellung.
„Also... eher ein Geschenk. Für meinen Schwiegervater. Wir müssen bei ihm feiern und – naja.“
Aha. Etwas Repräsentatives, damit es keinen Knatsch mit dem alten Herrn gibt. „Gerne. Wofür interessiert sich denn Ihr Schwiegervater besonders?“
Sie schaute ratlos. Es machte ja Spaß, Kunden zu beraten, vor allem jungen Kunden das Lesen nahe zu bringen – aber so? „Stammt er denn aus Leisenberg?“, fragte ich behutsam. „Was? Ja, schon, er langweilt uns immer mit Erzählungen, wie schön es hier früher war. Warum?“
„Wir hätten hier einen sehr schönen Bildband mit Ansichten von Leisenberg aus der Vorkriegszeit“, warb ich für unser Hochpreisangebot. „Möchten Sie es einmal ansehen?“
Ich lotste sie in die Heimatecke und schlug das Ansichtsexemplar auf. Meiner Meinung nach war das ein Prachtstück, und müsste ich behaupten, ich besäße es selbst (alter Verkaufstrick), wäre das ausnahmsweise nicht gelogen.
Sie blätterte matt darin herum. „Sehr nett, ja... was, neunundvierzig Euro?“
„Das ist eine Neuerscheinung, nicht Modernes Antiquariat“, erklärte ich. „Die Chancen stehen also gut, dass Ihr Schwiegervater es noch nicht besitzt. Außerdem könnten Sie es im schlimmsten Fall umtauschen, solange die Schutzfolie noch unversehrt ist. Gegen Kassenbon, natürlich.“
„Hm... ich überleg´s mir.“
Sie verabschiedete mich mit einem fahrigen Nicken und ich verzog mich. Würde sie es nehmen oder würde sie sich heimlich aus dem Laden schleichen, weil sie sich vor mir genierte, wenn sie es doch nicht kaufte? Ich hatte keine Gelegenheit, das zu überprüfen, weil sich mehrere Kunden auf mich stürzten. Hatten wir das da noch auf Lager? Wo gab es denn Kochbücher? Speziell für den Wok? Dieses Buch hier (sehen Sie mal!) hatte eine Macke, konnte man das billiger kriegen? Wo lagen die Texte für die Weinfurtner-Vorlesung? Und wieso hatten wir keine kritische Ausgabe von Terenz?
Ich suchte im Lager, verwies auf die Kochbuch-Abteilung nebenan, schickte den Feilscher zu Ferdi, der so etwas als Geschäftsführer zu entscheiden hatte, zeigte auf die Reclamstapel im Hintergrund und drückte der eifrigen Altphilologin die Terenz-Ausgabe der Oxford University Press in die Hand.
Verdammt, wo steckte Trixi wieder? Sie konnte doch Sonja und mich nicht alleine schuften lassen! Sogar Ferdi musste ganz normal bedienen, anstatt den König der Bücher zu spielen, und sie hatte sich wieder mal verkrümelt?
Jedenfalls war sie nirgendwo zu sehen. Unser Stammgast drückte sich im Hintergrund herum, und ich gab Sonja ein Zeichen und nickte in die bewusste Ecke. Sie folgte meinem Blick, grinste kurz und tippte weiter Preise ein.
Der Stammgast, von uns auch „Stiller Kunde“ genannt, war ein hübscher Kerl, der einen undefinierbar sensiblen Eindruck machte und seit einiger Zeit fast täglich hier mindestens eine Stunde verbrachte. Ob er so begeistert las oder eine von uns beobachtete, hatten wir noch nicht feststellen können. Immer, wenn wir uns aufraffen und ihn zur Rede stellen wollten, kaufte er so viele Bücher, dass wir ihn doch wieder als Kunden – und zwar als guten Kunden – einstufen mussten. Wir hatten schon überlegt, ob er vielleicht klaute, aber nichts wies darauf hin. Er las auch nicht ganze Bücher, um sie dann frech wieder zurückzustellen, sondern blätterte in allem Möglichen und ging nie, ohne etwas zu kaufen. Beratung schien er nicht zu brauchen, und ich wusste im Moment gar nicht, ob ich ihn jemals etwas hatte sagen hören. Vielleicht war er ja stumm, der Arme. Taubstumm allerdings nicht, denn jetzt zuckte er zusammen, als dicht hinter ihm jemand einen Stapel Kunstlexika aus dem Gleichgewicht brachte.
Ich seufzte, eilte hin und schichtete die Bücher wieder auf. Als er mein freundliches Nicken registrierte, lächelte er flüchtig und wandte sich wieder ab.
Der Typ Mann, der Leander heißen könnte, überlegte ich und wandte mich dem nächsten Kunden zu.
Die Verhandlungen bezüglich einer herabgesetzten Tricksammlung zum Steuersparen zogen sich hin, und als ich wieder guckte, war der Stille Kunde verschwunden. Dafür tauchte Trixi plötzlich wieder auf, frisch geschminkt und strahlender Laune, schnappte sich den nächstbesten Kunden und verkaufte ihm eine fette Gesamtausgabe, während er sie fasziniert anstarrte.
Gegen Mittag ließ der Andrang etwas nach – jetzt mussten die Hausfrauen wohl ihre Brut aus dem Kindergarten holen und sie abfüttern.
„Wo warst du vorhin?“, zischte ich Trixi zu, die mit einem älteren Herrn flirtete.
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