Alles frei erfunden!
Imprint
Vergessene Zeit. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2015 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-5881-5
Sie drehte sich langsam um und hob die Pistole ... Nein, Blödsinn. Wo sollte sie die denn so plötzlich herhaben? Eine Tasche vielleicht – und wieso hatte die Gute dann keine Dokumente bei sich? Und hatte dieser miese Kerl von vorhin, der im Nikolauskostüm, ihr die Tasche nicht geklaut? Was hatte ich denn eben geschrieben?
Verdammt, ich musste mich wirklich besser konzentrieren! Wütend sah ich von meinem Laptop auf, und mein Blick fiel auf den Kalender, auf dem der 31. August rot umringelt war. Abgabetermin - hässliches Wort, weiß Gott!
Weiter im Text! Verdammt, warum war es auch so entsetzlich heiß? An solchen Tagen bereute ich es, direkt unter dem Dach zu wohnen: Augusthitze und dazu der Auftrag, eine Kurzgeschichte zum Thema Mörderische Weihnachten zu schreiben - üble Kombination.
Einen schönen Titel hatte ich schon, Ihr Mörderlein kommet . Oder vielleicht doch lieber Lauter die Kugeln nie pfeifen ? Egal, tolle Titel waren das geringste Problem – ein Königreich für eine Story, die dazu passte!
Im Mittelpunkt sollte ein mörderischer Kaufhaus-Nikolaus stehen (die Geschichte spielte sicherheitshalber in den USA), aber wen sollte er warum umbringen? Und warum war meine Heldin so bescheuert? Wie sollte die überhaupt an eine Waffe – ach so, ja USA, National Rifle Association , da hatten ja alle immerzu eine Knarre parat. Oder sollte ich die Geschichte lieber doch nicht in den USA -? Ich wusste verdammt zu wenig darüber! Und bei diesem knappen Vorlauf war auch keine Zeit mehr für ausgiebige Recherchen. Kurz stellte ich mir vor, wie ich im August nach New York jettete und das Personal bei Macy´s oder Bloomingdale´s damit elendete, welche Gepflogenheiten ihre Nikoläuse zu gegebener Zeit hatten. Crazy Kraut wäre wohl noch der freundlichste Kommentar.
Ich strich den Nikolaus und außerdem die Schusswaffen. Von Kalibern und ballistischen Vergleichen wusste ich so gut wie nichts, und solche Geschichten waren auch nicht mein Markenzeichen, eher sah ich mich in der Nachfolge Agatha Christies, raffinierte Whodunits , die aber mehr Platz brauchten, als mir für eine Kurzgeschichte in dieser dämlichen Anthologie zur Verfügung stand.
Ich brauchte eine raffinierte Minigeschichte... Warum mordete jemand an Weihnachten? Weil ihm seine Familie tierisch auf den Keks ging, das wusste sogar ich. Aber tragisch sollte die Geschichte nicht sein, kein Blutbad im Kinderzimmer oder so, weil die beleidigten Zwerge das falsche Computerspiel bekommen hatten.
Oberste Regel: Der Tote musste unsympathisch sein. Der Leser sollte seine Zeit nicht mit Mitleid verschwenden, sondern fieberhaft weiterlesen und auf Spuren achten. Ach ja, jede Menge falsche Fährten brauchte man natürlich auch noch. Reizend, ich hatte ja nicht einmal eine echte Fährte!
Zurück zum Thema! Wer könnte das Opfer sein? Jemand, der allen Leuten das Falsche zu Weihnachten schenkt? Oder gar nichts? Ein Weihnachtsmuffel? Oder ein absoluter Weihnachtsfanatiker? So was konnte ja auch extrem nervend sein, man musste bloß an Heinrich Böll denken, Nicht nur zur Weihnachtszeit ... Nein, das würde man sofort als Plagiat erkennen! Allerdings, wenn man genügend Änderungen vornahm... Vielleicht konnte es a) ein Mann sein und b) jemand, der nur vom ersten Advent an so überschnappte? Aber das mussten die anderen doch aushalten können, ohne zum Messerchen zu greifen?
Ach, das war alles nichts! Und diese Küchenzeile sah schon wieder so schlampig aus... Nein, sitzen geblieben, keine Frustputzerei! Aber wenigstens abspülen könnte ich doch, sonst lenkte mich die Unordnung nur von meiner eigentlichen Arbeit ab. Wirklich nur abspülen!
Eine Stunde später ertappte ich mich dabei, dass ich Gewürze sortierte und die abgelaufenen wegwarf. Das Geschirr war gespült, abgetrocknet (das machte ich sonst nie) und verräumt, die Granitarbeitsplatte schimmerte makellos in der gleißenden Augustsonne, und mir lief der Schweiß in Strömen herunter. Nein, ich konnte diese Gewürzaktion jetzt nicht halbfertig liegenlassen, wie sah das denn aus! Also, das sollte ich jetzt noch fertigmachen, dann duschen und etwas Frisches anziehen, und dann zurück an die Arbeit. Wie spät – oh, schon halb zwei? Seit heute Morgen saß ich an meinem Weihnachtsmord, und was hatte ich bis jetzt geschafft? Absolut gar nichts, nur die Küche war ordentlich. Reizend, wirklich! Sicher, ohne einen anständig engen Abgabetermin wäre meine Wohnung wahrscheinlich längst knietief zugemüllt, aber so konnte es doch wirklich nicht weitergehen!
Hastig sortierte ich die Gewürze fertig, verräumte alles, trug schnell den Müll nach unten (bei dieser Hitze musste man das gleich tun, sonst begann er zu stinken, und auf diese Scharen von winzigen Fruchtfliegen legte ich auch keinen gesteigerten Wert) und duschte ausgiebig. Frisches T-Shirt, frische Shorts – mich sah hier ja keiner.
Jetzt aber!
Am besten machte ich mir zuerst ein Handlungsgerüst. Oder zuerst eine recht weihnachtliche Mordmethode? Vergiftete Lebkuchen? Vom Christbaum erschlagen? Von einer schön langen Christbaumkugelscherbe aufgespießt? Mit O du fröhliche in den Wahnsinn getrieben?
Verdammt!
Zurück zum Opfer! Ein älterer Familienvater, Typ Haustyrann. (Agatha Christie, Hercule Poirots Weihnachten ) Allen würde es besser gehen, wenn er nicht mehr da wäre. Er schikaniert die Tochter, die noch zu Hause lebt und eine lange Pflege vor sich sieht, er schikaniert die anderen Kinder, die nur zu Weihnachten kommen, macht ihre Ehepartner herunter, blafft ihre Kinder an, besteht auf weihnachtlichem Getue... Das war doch alles kein Mordmotiv! Am zweiten Feiertag ist schließlich alles vorbei und man kann aufatmend wieder in sein Auto fallen...
Wie war das bei uns, an Weihnachten? Daddy freute sich, uns zu sehen, hatte den Baum mit all dem Schrott geschmückt, den wir früher gebastelt hatten, aus Goldpapier, das vor lauter Uhu-Flecken ganz blind geworden war, beschenkte uns reich und nicht immer passend, kochte passabel und nervte nur, was den spannermäßigen Weihnachtsspaziergang betraf. Da mussten wir nämlich bei allen Leuten durch die Fenster spähen, was die für einen Weihnachtsbaum hatten – womöglich schöner als unserer? Und wenn man dann gemein war und feststellte, dass ein monochrom in Gold oder Creme geschmückter Baum einfach edler aussah als unser Kindergartensammelsurium, hielt Daddy den Standardvortrag über emotionale Werte vs. kalten Ästhetizismus. Jaja.
Ich konnte die zwei Tage gut aushalten, und Angela und Matthias wohl auch. Matthias schätzte seinen Schwiegervater offenbar sehr, jedenfalls war er nie der, der genervte Geräusche am Telefon von sich gab, wenn wieder einmal ein Besuch anstand – das war nur meine kleine Schwester, die Reiseziele im Inland als öde empfand. Und Daddy wohnte in einem Vorort von München, das war nicht einmal eine Stunde mit dem Auto, also völlig unter ihrer Würde. Sicher, mit Kenia, Feuerland oder schicken vier Tagen Hongkong konnte das nicht mithalten, aber zwei Tage Forstenried waren ja wohl das Schlimmste nicht. Weit und breit kein Mordmotiv – höchstens ein Motiv, auf dem Rückweg gleich beim Wertstoffhof vorbeizufahren, weil Daddy keiner neuen Küchenerfindung widerstehen konnte und seine Patentputzmittel, Wunderhobel, Garniermaschinchen, Spezialtoaster und Fettfreigrillpfannen uns dann andrehte. Früher war er nur an jedem Straßenverkäufer in der Neuhauser Straße hängen geblieben, mittlerweile hatte er leider das Teleshopping entdeckt und so den Wareneingang mindestens verdreifacht. Letztes Mal kriegte Angela einen Satz Plastiknäpfe, mit denen man dreimal so viel geruchsneutral im Kühlschrank aufbewahren konnte, und ich bekam Patentkleiderbügel, um Ordnung im Schrank zu schaffen.
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