Elisa Scheer - Ein naheliegendes Opfer

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Hans Peter Creutzer macht sich mit Wonne unbeliebt – bei der Konkurrenz, bei seinen Angestellten (vor allem den weiblichen eines bestimmten Typs), seiner Frau, seiner Exfrau, seinen Kindern… und dann wird er tot aufgefunden. Die allgemeine Trauer hält sich sehr in Grenzen.
Das Team um Anne Malzahn und Joe Schönberger ist am Verzweifeln: Jeder hatte ein Motiv (ein Wunder, dass der Mann überhaupt 63 geworden ist!), jeder hat ein Alibi. Dann geschieht ein zweiter, viel unverständlicherer Mord, der die allgemeine Ratlosigkeit nur noch steigert. Zudem sind alle Beteiligten extrem hilfsbereit und redselig; dem davon leicht benommenen Team bleibt nur noch mühsamstes Abgleichen kleinster Details, bis sie über winzige Unstimmigkeiten schließlich herausbekommen, wer Creutzer auf dem Gewissen hat.
Für Joe bietet dieser Fall aber auch einen sehr angenehmen Aspekt…

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Alles frei erfunden!

Imprint

Ein naheliegendes Opfer. Kriminalroman

Elisa Scheer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2016 R. John 85540 Haar

ISBN 978-3-8442-7870-5

MI, 29.04.15

1

Der Tisch war ansprechend gedeckt, sogar Blümchen und Kerzenleuchter standen auf dem blütenweißen Tischtuch.

Allerdings schienen die beiden, die sich in gewissem Abstand gegenüber saßen, wenig Sinn für das gepflegte Ambiente zu haben.

„Iss nicht so viel von dem Brot“, mahnte Hans-Peter Creutzer seine Frau. „Du gehst allmählich aus dem Leim, und die Jüngste bist du ja auch nicht mehr.“

„Immer noch zwanzig Jahre jünger als du“, antwortete Carina Creutzer äußerlich gelassen und innerlich schäumend (wie immer), „und meine Figur ist immer die gleiche, schließlich passen mir alle meine Sachen noch. Achte du mal lieber auf deinen Blutdruck.“

„Mein Blutdruck geht dich gar nichts an.“

„Auch wieder wahr… ist ja dann nicht mein Schlaganfall, nicht? Meine Werte sind erstklassig.“

Creutzer lächelte sie über die Tischdekoration hinweg böse an. „Mach dir mal keine Hoffnungen! Sogar wenn mir etwas passieren sollte, kriegst du keinen Pfennig in die Hände.“

„Cent heißt das, seit über zehn Jahren. Ich glaube nicht, dass das juristisch haltbar ist.“

„Was verstehst du denn schon davon! Juristisch, ph!“

Carina musterte das immer noch gut aussehende, aber harte Gesicht mit den missmutigen Falten und antwortete nicht. Hätte sie nur deutlich früher erkannt, was Hans Peter für ein Dreckskerl war!

Wenn sie mehr Rückgrat hätte, würde sie ihn einfach verlassen – aber mit über vierzig war es nicht so einfach, noch eine vernünftige Stellung zu finden, und Rico verdiente ja auch nur das Notwendigste. Trotzdem, umschauen sollte sie sich vielleicht doch mal. Als Bürokraft war sie eigentlich gut gewesen, und wenn sie sich wieder auf den neuesten Stand bringen ließ…

„Du sagst ja gar nichts – fällt dir nichts mehr ein?“

„Was? Nein, wozu denn noch?“ Sie schob ihren Teller weg. „Mir ist der Appetit vergangen, herzlichen Dank.“

„Ist sowieso besser für dich“, kommentierte ihr Mann gleichmütig und aß weiter.

Carina verließ das Esszimmer und wies draußen das Mädchen Anka an, ihren Teller abzuräumen. „Und wenn Sie mögen, können Sie meine Portion ruhig selbst essen, mir ist der Appetit vergangen.“

„Vielen Dank, gnädige Frau…“ Anka sah ihr nach, wie sie die Treppe nach oben ansteuerte, und seufzte leise. Arme Frau…!

Carina stellte sich oben in ihrem Zimmer vor den Spiegel und musterte sich kritisch. Nein, alles in Ordnung. Sie trug Größe 38 und alles war noch fest und straff. Für dreiundvierzig sah sie wirklich noch gut aus, bestimmt zehn – naja, wenigstens fünf – Jahre jünger. Hans Peter musste gerade reden, er war zwar noch ganz attraktiv, aber die dreiundsechzig Jahre sah man ihm sehr wohl an!

Wie viel Geld besaß sie eigentlich? Vielleicht reichte es ja, um sich davonzumachen… immerhin, wenn sie sich scheiden ließ, bekam sie nichts. Praktisch nichts, der Ehevertrag sah knapp tausend Euro im Monat vor, sonst nichts.

Wieso hatte sie den bloß unterschrieben? Aber damals war Hans Peter wirklich überzeugend gewesen: Er müsse schon seiner Exfrau und den vier Kindern so viel zahlen, weil er da den Ehevertrag leider versäumt habe, und schließlich sei es jetzt ja die große Liebe, da sei die Scheidung doch nur eine rein theoretische Möglichkeit…

Große Liebe, pah!

Ihr Konto sah so schlecht nicht aus. Hans Peter zahlte ihr auch jetzt etwa tausend Euro Taschengeld im Monat – dafür erwartete er natürlich auch ein seiner Position angemessenes Auftreten. Er hatte aber für geänderte und mehrfach verwendete Outfits glücklicherweise keinen Blick, so dass sie durchaus jeden Monat etwas beiseitelegen konnte Toll war das natürlich auch nicht, etwa zwölftausend hatte sie jetzt – auf einem Konto/Depot, das Hans Peter gar nicht kannte.

Gab es Dinge, die sie verkaufen konnte? Sie sah sich um, eigentlich froh darüber, dass Hans Peter vor einigen Jahren auf getrennten Schlafzimmern bestanden hatte – so hatte sie in dieser Riesenhütte wenigstens einen Raum für sich.

Seitdem hatte er sie hier auch nicht mehr besucht – na, egal. Wenn sie Sex wollte, traf sie sich eben mit Rico, der war sowieso der bessere Liebhaber.

Und was gab es hier jetzt? Einen Haufen Taschenbücher zum Thema romantische Liebe – besseres Altpapier. Und von der Romantik war sie ohnehin geheilt. Aber endgültig!

Schmuck? Wenig, das meiste würde Hans Peter im Scheidungsfall behalten wollen, und bei einem Streit konnte er sehr, sehr unangenehm werden…

Ideal wäre es, wenn er morgen auf dem Weg zu seiner blöden Jagdhütte gegen einen Baum knallen würde. Er konnte sie nämlich gar nicht komplett enterbt haben!

2

Der Tisch war für sechs Personen gedeckt und man hatte hier auf Tischschmuck und sonstige Überflüssigkeiten verzichtet; das Geschirr hatte zwar einen Goldrand, aber der war schon recht verblasst.

Interessehalber drehte Jonathan seinen Teller um und studierte den Boden – nein, kein Markenporzellan. Also, als seine Eltern noch miteinander verheiratet waren, hatte Mama bestimmt deutlich edleres Porzellan besessen!

Na, auch egal. Geschirr war nicht das Problem.

„Schön, dass du schon da bist, mein Junge!“ Seine Mutter kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Er erwiderte die Umarmung und schnupperte unauffällig: Natürlich, sie hatte sich schon den einen oder anderen Aperitif genehmigt. Mama trank eindeutig ein bisschen zu viel… betrunken war sie nie, aber schon häufig leicht im Tran.

„Du bist der allererste, das freut mich“, fuhr sie fort, während sie zur Sitzgruppe am anderen Ende des Raumes schritt. „Komm, setz dich doch! Einen kleinen Sherry?“

„Nein, Mama, danke schön – und ich glaube, du hattest auch schon einen?“

Sie lächelte fein und klopfte auf das Sofa neben sich. Er setzte sich und erzählte auf ihre Fragen hin bereitwillig von der Arbeit, beteuerte, völlig fit und gesund zu sein, und deutete vage Urlaubspläne an. Zufrieden war seine Mutter damit aber nicht. „Junge, du solltest jetzt aber wirklich allmählich ans Heiraten denken, immerhin wirst du bald dreiunddreißig, findest du nicht, dass es höchste Zeit ist?“

„Ach, Mama, nun lass mir doch Zeit – Julia hat es damit auch nicht so eilig!“

Sie hatte schon den Mund geöffnet, wohl, um weitere mahnende Worte zu äußern, als es wieder klingelte. Erleichtert stand er auf. „Ich geh schon, Mama.“

Vor der Tür standen seine Schwester und sein Schwager. Er umarmte Tatjana vorsichtig, um ihren Achtmonatsbauch nicht zu drücken, und klopfte Paul auf die Schulter. „Alles okay?“

„Klar“, antwortete Tatjana. „Was soll nicht okay sein? Wir haben sogar die Babyecke schon fertig.“

„Babyecke“, wiederholte Jonathan, „dass ihr nicht einmal ein eigenes Kinderzimmer haben könnt?“

„Nun lass doch mal“, schaltete Paul sich ein und schob seine Frau vorsichtig über die Türschwelle. „Wir haben eben nur drei Zimmer, und im dritten wohnt, wie du sicher weißt, Sybilla. Die kann sich doch noch keine eigene Wohnung leisten, im dritten Semester! Und bei Mama wohnen will sie natürlich auch nicht.“

„Voll uncool“, ergänzte Tatjana mit feinem Lächeln.

„Ich mache doch euch keinen Vorwurf!“ Er nahm seiner Schwester den Mantel ab und hängte ihn auf. „Aber ich finde, Vater könnte euch wirklich ein bisschen unter die Arme greifen. Wieso müsst ihr eigentlich Sybilla durchfüttern, das wäre ja wohl sein Job!“

„Fang doch nicht immer wieder mit den alten Geschichten an! Erstens füttern wir Sybilla ja nicht alleine durch. Sie jobbt, deine Mutter zahlt ihr etwas und du gibst doch auch etwas dazu, na, und Basti hat halt nicht so viel. Den müsste man ja fast selbst noch durchfüttern, den Armen. Und außerdem weißt du doch, wie dein Vater denkt: Wozu Mädchen ernähren, die kann man später sowieso für nichts gebrauchen, die kriegen bloß wieder Kinder und die kosten dann wieder sinnlos Geld.“

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