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Alles frei erfunden!
Imprint
Eine gute Partie. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2015 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-5801-3
Unlustig schaute ich in meinen Kleiderschrank. Was sollte ich bloß anziehen? Ewige Frage aller Frauen, so sagte man – aber normalerweise hatte ich damit überhaupt keine Probleme, nur heute Abend.
Dieses dämliche Firmenfest! Wieso musste ich da überhaupt hin? Bloß weil Papa sich bei der Geschäftsleitung einschleimen wollte? Mama sollte sich besser schonen, Tobi würde sich sicher wieder vor den Jungsekretärinnen wichtigmachen und trotzdem zu nichts kommen, und ich vertat meine Zeit und tanzte notgedrungen mit dicklichen alten Kerlen, die mir erzählten, dass ihre Ehen schon lange nur noch auf dem Papier bestanden. Nur damit Papa den glücklichen und soliden Familienvater spielen konnte!
Papa und solide, da lachten ja die Hühner.
Wie wollte ich denn überhaupt auftreten? Alle meine Abendklamotten waren Verkleidungen. Ich konnte das brave Töchterchen spielen, die Freude ihrer Eltern, naiv und harmlos: das rosa-weiß geblümte Georgettekleid mit dem aufgebogenen doppelten Saum, das trotz der Spaghettiträger züchtig und mädchenhaft wirkte. Damit sah ich aus wie achtzehn; vielleicht lag es daran, dass das Kleid tatsächlich schon sechs Jahre alt war.
Hm... nein. Auf mädchenhaft stand ich heute Abend nicht so sehr. Außerdem war es dafür zu kalt. Das Graue? Ärmellos, Stehkragen, schillernde Rohseide, strenger Schnitt, der schmale Rock fast bis zur halben Wade. Dazu vielleicht eine Hornbrille mit Fensterglas? Die zielstrebige Studentin, die leicht unwirsch ihre Zeit auf der Weihnachtsparty von Pfeiffer, Gartengeräte für jeden Zweck , verplemperte, obwohl sie doch viel lieber ernsthafte Studien über die französischen Frühimpressionisten betrieben hätte. Keine schlechte Rolle, dazu gehörten ein leicht überhebliches Gesicht, die Vernissagen-Visage, kritische Kommentare und gezielte Unverschämtheiten, leicht verschleiert.
Oder die feministische Aktivistin? Die spielte ich selten, weil sie mir nicht so lag, ich hatte den theoretischen Jargon nicht besonders gut drauf. Aber das passende Outfit, handgewebtes violettes Leinen, solide Schuhe und eine Edelstahlbrosche in Form einer Schere! Mit diesem Schwanz-ab-Look käme ich heute leider nicht einmal bis zur Haustür, ohne dass Papa toben würde.
Nein, wenn ich schon mitging, musste ich dezenter subversiv sein. Anständiges Benehmen kam aber gar nicht in Frage, dann würde ich mich zu Tode langweilen. Ich musste etwas anstellen, aber was? Und in welcher Rolle?
Durch die weiß vergitterten Fenster meines Zimmers sah ich, dass es längst stockdunkel geworden war, es war sicher schon halb sechs. Und ich stand hier in der Unterwäsche herum! Cremefarben, immerhin passte das unter jedes Outfit. Wie wäre es mit der strengen jungen Adeligen? Dame von Welt, an nichts interessiert? Unangreifbar, körperlos, das lebende Benimmbuch? Und dann irgendeinen Eklat zünden? Für den Eklat hatte ich schon eine Idee, ich hatte eine Flasche extrascharfen russischen Wodka im Schrank. Wenn ich den in den unvermeidlichen Glühwein kippte, würde das Fest sich schnell entwickeln, wohin auch immer...
Lebendes Benimmbuch... das kleine Schwarze? Das kleine Schwarze war nie schlecht. Schmal geschnitten, fester Stoff, durch den sich nichts abzeichnete, diskreter V-Ausschnitt, mit winzigen grauen Perlen bestickt, Rocklänge bis knapp über dem Knie... Gut, dazu noch Strumpfhosen mit Seidenglanz und Wildlederpumps. Mit den Pumps überragte ich sicher die Mehrheit der eher kugelförmigen leitenden Angestellten, vielleicht würden sie sich dann nicht trauen, mich zum Tanzen aufzufordern.
Ich arbeitete mich vorsichtig in die Strumpfhose, zog mir das Kleid über den Kopf, bürstete mein überschulterlanges dunkelblondes Haar und steckte es zu einem strengen Nackenknoten fest. Nicht so lieblich wie Audrey Hepburn in Krieg und Frieden , aber auf jeden Fall etwas zwischen höherer Tochter und Zimtzicke.
Eine einreihige Perlenkette, bloß Zuchtperlen, etwas altmodisches Parfum. Keine Uhr, die Notwendigkeit, auf fremde, meist feiste und haarige Handgelenke gucken zu müssen, würde wieder einige Minuten totschlagen helfen.
Das schwarze Täschchen... Puderdose, Taschentuch (nie hatte ich diese albernen Stoffdinger mit Spitzenkante benutzt), Wodkafläschchen, Zigaretten und Zigarettenspitze – oder lieber nicht? Doch, warum nicht. Make-up? Nur dezente Grundierung, Puder, blassrosa Lippenstift, ein Hauch Wimperntusche. Perfekt. Ein irritierendes Detail wäre natürlich noch nett, etwa ein Nasenring oder ein großer Schönheitsfleck, aber das hätte ich mir früher überlegen müssen.
Weiße Handschuhe à la Grace Kelly? Nein, zu heftig. Und zu einem halblangen Kleid affig. Andererseits würde ich dann keine Fingerabdrücke auf der Wodkaflasche hinterlassen...
Achselzuckend wandte ich mich vom Spiegel ab und verließ mein Zimmer. Papa und Tobi warteten in der Eingangshalle, wie Papa und Mama unseren Flur mit den teuren, aber hässlichen Bauernschränken zu titulieren pflegten.
Papa im Smoking, Tobi auch. Tobi wurde fett, stellte ich fest, seine Hose saß verdammt stramm. Und der Kummerbund schillerte, war der etwa aus Pannesamt? Schauerlich! Außerdem hatte er zuviel Pomade verwendet und wieder dieses eklige Rasierwasser benutzt. Ich warf ihm naserümpfend einen Blick zu und hängte mir meinen Mantel um.
Papa holte Mama aus dem Schlafzimmer, wo sie wahrscheinlich genauso lange überlegt hatte wie ich, aber nicht, um eine möglichst amüsante Rolle zu spielen, sondern um einfach möglichst gut und vor allem jünger und gesund auszusehen. Sie war siebenundfünfzig und hatte ein angegriffenes Herz, aber an solchen Abenden wollte sie es noch einmal wissen.
Eigentlich traurig, dass Papa ihr dazu nichts Besseres bieten konnte als diese öden Firmenfeste!
Tobi musterte mich von der Seite, sagte aber nichts, bis ich ihn anfuhr: „Was ist?“
„Lahmarschig, das ist es!“
„Kann dir doch egal sein. Glaubst du, ich will so einen dicken, alten, verheirateten Kerl aufreißen?“
„Vielleicht gibt´s auch dünne, junge, unverheiratete?“
„Haha. Hab ich da noch nie gesehen. Selbst wenn, ich hab von Gartengeräten so die Schnauze voll, ich will keinen von dort.“
„Die haben einen neuen Chef.“
„Hach, wie aufregend“, höhnte ich.
„Könnte für Papa wichtig sein, dass du dich da kooperativ zeigst.“
„Vergiss es. Ich schleime für Papa bestimmt niemanden an, der soll seine Arbeit gefälligst selbst machen.“
„Das Gehalt reicht nicht.“
„Liegt das an mir? Ich verspiele nichts, im Gegenteil, ich jobbe noch nebenbei. Du bist das teure Kind, leg du dich doch zu dem neuen Chef ins Bett.“
Er packte mich am Arm, bis ich dicht vor ihm stand, und fauchte mich an: „Riskier nicht so eine große Klappe, Herzchen, du wirst schon noch tun, was Papa will!“
„Du säufst zu viel“, zischte ich zurück, „deine Nase ist schon ganz rot. Und für euch zwei tue ich bestimmt gar nichts.“
Sein Griff wurde noch fester, und ich überlegte, ob ich nachher einen schicken blauen Fleck am Arm haben würde. Keine schlechte Ergänzung meines Outfits – gepflegte höhere Tochter als Opfer häuslicher Gewalt? Familienabgründe in den feinen Straßen Leichings? Vielleicht würde ich Getuschel auslösen, das war fast besser als der Wodka im Glühwein.
Mama und Papa traten auf, und Tobias ließ mich los. Ich warf einen interessierten Blick auf meinen Arm – tatsächlich, eine deutliche Rötung. Ich verbarg sie hastig, indem ich in meinen Mantel schlüpfte, und machte Mama ein höfliches Kompliment zu ihrem weißen, bestickten Cocktailkleid, für das sie eigentlich etwas zu alt war.
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