Alles frei erfunden!
Sämtliche Namensgleichheiten und sonstige Übereinstimmungen mit real existierenden Personen, Firmen u. ä. sind purer Zufall.
Imprint
Eine ordentliche Fassade. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2015 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-6282-9
„Es sind noch zwei Anfragen reingekommen“, meldete Holger, der mit Blättern wedelnd eintrat, „gerade eben. Ich weiß, ihr wollt nach Hause, aber...“
„Schon okay, gib her. Und dann kannst du für heute Schluss machen“, gab sich Lilli großzügig.
„Oh, herzlichen Dank. Ist ja auch erst – was, erst halb sieben?“
„Raus, sonst finde ich dir noch was zu tun“, drohte Lilli, und Holger floh kichernd.
„Was Gescheites?“, fragte Ariane, die gerade ihre Dateien Stück für Stück schloss; man sollte den Bildschirm eben nicht so voll packen, dass man den Überblick völlig verlor.
„Na, geht so. Einmal brauchen die bei Gärtner & Kögelsteiner eine Überarbeitung der Buchhaltung...“
„Andreas“, schlug Ariane sofort vor. „Als Buchhaltungsnachhilfelehrer ist er einfach unschlagbar. Wie lange?“
„Steht nicht da. Muss er nach dem ersten Tag eben schätzen. Ja, Andreas ist okay, mit dem Kram bei Frickel ist er doch durch?“
„Hat sich noch nicht gemeldet, müsste er aber sein. Der Auftrag ist nur bis heute gelaufen.“
„Und das zweite ist eine Reorganisation der Ablage bei – ich fass es nicht! Bei einem Sanitätswarengroßhandel.“
Ariane beschlich eine dumpfe Vorahnung, aber sie beherrschte sich noch und fragte nur: „Name? Sanitätswaren sind Stützstrümpfe und Angorawäsche und Gehhilfen und so.“ Lilli linste sie über ihre bescheuerte Halbbrille überheblich an. „Stell dir vor, das wusste ich auch schon. Ich fand´s nur lustig, dass es so was überhaupt noch gibt. Der Name – Moment... dieser Holger, was für eine Sauklaue! ach, ja – Kornreuther heißt das, glaube ich.“
„Na toll“, sagte Ariane und lehnte sich geschlagen zurück. „Hab ich´s doch gewusst. Das ist bloß mein mieser, geiziger, frömmlerischer Onkel mit seinen blöden Angoraknieschonern. Bei dem müssen wir aufpassen, der will nachher garantiert nicht zahlen.“
„Dein Onkel, ja?“ Lilli grinste fies. „Und Ablage und Reorganisation... das ist doch quasi dein Hobby, nicht?“
„So arg auch wieder nicht“, grummelte Ariane.
„Trotzdem, du bist gerade prädestiniert für diesen Job. Hier steht... ab Montag. Du kannst deinen Onkel ja am Wochenende schonend vorbereiten.“
„Um Gottes Willen, bloß nicht! Dann fällt ihm bloß ein, wie er uns austricksen kann. Nein, den muss man überraschen. Sag mal, wer hat denn überhaupt angerufen, war das wirklich der grässliche Onkel Albert? Kann ich mir irgendwie gar nicht vorstellen.“
„Hier steht schon A. Kornreuther, aber da ist noch was dahinter gekritzelt... nein, dieser Holger! Er ist ja süß als Telefonfräulein, aber seine Schrift... wie ein kleines g schaut das aus.“
„Ach so, wahrscheinlich junior, dann ist das Albert, der Sohn. Dann ist es einfach. Ich nehme am Montag einen Vertrag mit, wasserdicht natürlich, und lasse ihn das Albertle unterschreiben. Der will uns ja offensichtlich haben. Und dann ist Onkel Albert ausgeschaltet.“
Lilli nickte zufrieden, dann setzte sie sich kerzengerade hin und schob ihre Brille tiefer. „Der heißt genau wie sein Vater?“ Ariane nickte ernst.
„Gott, wie blöde! Ist denen sonst nichts eingefallen?“
„Familientradition. Die anderen heißen Karlheinz, Sabine und Petra.“
„Vier Kinder? Warum denn das?“
Ariane zuckte die Schultern. „Um seine staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen? Vier Kinder sind wahrscheinlich die volkswirtschaftliche Idealzahl, und außerdem ist die Frau so beschäftigt und macht keine Dummheiten. Dazu neigen Frauen nämlich, weißt du?“
„Ach herrje – so einer? Na, gut, dass du hingehst, eine andere müsste ihn dann wegen Diskriminierung verklagen, wenn er so einen Müll verzapft.“
„Herzlichen Dank. Stockkatholisch ist er übrigens auch noch und Sex ist absolut pfui, wenn er nicht der Kinderzeugung innerhalb einer christlichen Ehe gilt. Was glaubst du denn, warum wir jahrelang vor jedem Besuch dieser Mischpoke überlegt haben, wo wir die dezenten Schockeffekte einbauen? Christina hat sich mit siebzehn mal in eine total durchsichtige Bluse ohne was drunter geworfen. Klein-Albert hatte die totalen Stielaugen, aber der Alte... Kinn hoch und Christina behandelt, als ginge sie draußen an der Neuen Landstraße ihrem Gewerbe nach. Bis Mama sauer wurde und gesagt hat, wenn er nicht höflich zu ihrer Tochter ist, schmeißt sie ihn raus.“
Lilli kicherte fasziniert. „Und, war er dann höflich?“
„Naja, notdürftig. Er findet uns sowieso alle furchtbar. Und Mama ist an allem schuld.“
„Kunststück, wenn er so fromm ist. Für solche Scheißfundis sind Frauen doch die Wurzel allen Übels, schließlich hat Eva die Erbsünde in die Welt gebracht.“
„Manchmal kommt die Klosterschülerin bei dir noch durch. Ich versteh das sowieso nicht, sonst machen die Männer doch auch nie, was man ihnen sagt, und da hält sie ihm irgendein Obst hin und sagt Beiß mal rein , und er tut´s sofort? Nicht Ich hätte aber lieber ein Bier , nicht Ist der überhaupt gewaschen , nicht Ich mag jetzt nichts Süßes oder Mach deine blöden Diäten alleine , nein, lammfromm Mund auf, Augen zu. Und dann ist´s er mal wieder nicht gewesen.“
„Aber das ist doch typisch – das Es-nicht-gewesen-sein .“
„Ja, das schon...“ Ariane versank in Brüten. Michael war ja auch nicht viel anders...
„Los jetzt, mir reicht´s. Wochenende! Am Montag um acht bist du in dieser Bettschüsselklitsche – die haben doch auch Bettschüsseln, oder?“
„Bestimmt. Soll ich dir eine mitbringen?“
* * *
Es war fast acht, bis Ariane, mit den nötigen Einkäufen für das Wochenende beladen, die knarzenden Holztreppen zu der großen unordentlichen Wohnung in der Katharinenstraße hinaufstieg.
Endlich Feierabend, endlich Freitag, endlich Wochenende, nötig war´s. Bis Donnerstag hatte sie versucht, drei mittelalterlichen und begriffsstutzigen Damen klar zu machen, wie man einen virtuellen Aktenplan einhält und wie man Dateien so benennt, dass man sie auch wieder findet. Ein ganzer Tag ging alleine schon dafür drauf, ihnen beizubringen, wie man im Windows-Explorer Ordner einrichtete und befüllte.
Sie stellte die Tüten ab und schloss auf. „Michael? Ich bin da-a!“
Keine Reaktion. Na, vielleicht hatte er die Lust aufs Warten verloren und war auf ein Bier in den Wilden Kaiser gegangen.
Sie verräumte die Einkäufe und sah sich um, müde und hungrig, und versuchte sich an das Glücksgefühl zu erinnern, das sie empfunden hatte, als sie diese Wohnung 1998 ergattert hatte: Fünf Zimmer Altbau in Uninähe, toll! Die würde sie nie wieder hergeben, vor allem bei den recht bescheidenen tausend Mark Miete damals. Mittlerweile kostete sie 700 € kalt, was immer noch günstig wirkte.
Wenn man natürlich die Wahrheit kannte – dass die Ölöfen ziemlich stanken und dafür recht wenig heizten, wenn man nicht direkt daneben stand, dass das heiße Wasser immer knapp war, dass man keine Spülmaschine anschließen durfte, weil sonst der Kollaps der Leitungen drohte, und dass die alten und verkratzten Parkettböden bei jedem Schritt quietschten und knarrten... damals hatte es geheißen, die Bude würde bald saniert werden, aber der Besitzer wollte das Haus wohl noch aufbrauchen, jedenfalls war bis jetzt nichts geschehen außer der Montage einer Briefkastenanlage in der Hofeinfahrt. Wohl auf Betreiben der Post, deren Briefträger keine Lust hatten, so viele Treppen zu steigen.
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