„Dafür können wir aber doch nichts“, protestierte Daniel sofort und leerte sein Glas. „Sie hat´s doch gewusst und sich gekümmert, und es ist ja nicht so, dass wir ihr bei einem Herzanfall die Hilfe verweigert hätten oder so.“
„Nein, ich glaube, euer Vater meint, wir hätten nicht so viel darüber gewitzelt, wenn wir es gewusst hätten“, begütigte seine Mutter. „Ich finde jedenfalls, Hilde war eine liebe Person, und dass sie jetzt so toll für uns gesorgt hat, ist doch auch sehr nett. Prost!“ Sie hob ebenfalls ihr Glas.
„Dem ist nichts hinzuzufügen“, meinte Ariane und starrte in ihren Kaffee. „Wahnsinn, diese Wohnung...“
Christina lachte. „Also, ich weiß ja nicht, wie´s da jetzt ausschaut, aber wenn es noch so ist wie früher, dann hast du viel Spaß vor dir.“
„Weiß ich. Siebenunddreißig Serviettenhalter und die gesammelten Fernsehzeitschriften der letzten zehn Jahre...“
Daniel schnaubte höhnisch und Ariane sah ihn streng an. „Ich bin sicher, du kannst noch ein paar Serviettenhalter vertragen. Ich leg sie dir dann einfach vor die Tür, ja?“
„Untersteh dich!“
„Nee, ernsthaft, Leute, sie hatte doch auch Silber, Schmuck und solche Sachen... wenn ihr davon was haben wollt...“
Mama tätschelte ihr die Hand. „Lieb von dir, Kind, aber ein Satz Silber reicht ja wohl für uns. Freu dich nur an deinem Erbe.“
Ariane verzog das Gesicht.
„Ja, freu dich nur daran“, spottete Christina, „ich schlepp dir von dem Zeug bestimmt nichts weg.“
„Guck doch erst mal“, warb Ariane verzweifelt, aber Christina wehrte lachend ab. „Was willst du mit der Wohnung machen?“, fragte Daniel. „Verkaufen oder behalten?“
„Behalten denke ich“, antwortete Ariane langsam. „Von der Katharinenstraße hab ich nämlich manchmal schon ziemlich die Nase voll. Der Boiler spinnt immer öfter, und kalt duschen ist nicht so mein Ding.“
„Ist Tante Hildes Bad nicht moosgrün gekachelt?“, sinnierte Christina.
„Wenn schon. Kann man ja notfalls ändern, nicht?“
„Und du musst tatsächlich für den unsäglichen Albert arbeiten?“, fragte ihr Vater. Er nannte seinen ungeliebten Schwager immer den unsäglichen Albert .
Ariane seufzte. „Ja, ausgerechnet mich hat es erwischt. Ich glaube, das ist europaweit der einzige Laden, der noch ohne Netz auskommt. Deshalb haben sie wahrscheinlich den Überblick über ihren Papierwust verloren. Das wird noch ein Spaß!“
„Sag mal“, kam Daniel auf das vorige Thema zurück, „wenn du diese Wohnung eventuell behältst... das sind doch nur drei Zimmer?“
„Ja?“, ermunterte ihn Ariane.
„Und jetzt habt ihr fünf. Wird euch das nicht zu eng?“
„Mir nicht“, antwortete sie, „und über Michael ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“
„Oh-oh“, machte Christina, „was hat er jetzt wieder angestellt?“
Ariane zuckte die Achseln. „Er wird nicht erwachsen. Und gestern hat er mich betrogen, aber er weiß nicht, dass ich´s gesehen habe. Noch nicht.“
„Dem Stempel zufolge hat er bei der Arbeit ein Schnäppchen mitgenommen“, spekulierte Daniel.
„Na, ob das so ein Schnäppchen war“, höhnte Ariane, „ich sag euch, soo ein Arsch. Total schwabbelig!“ Sie vollführte mit den Händen einen elefantenmäßigen Kreis in der Luft und staunte dabei über sich selbst. Dass sie so locker darüber sprechen konnte? Musste sie nicht tief betroffen sein und die Kränkung in ihrem Herzen begraben? Und musste sie jetzt dermaßen in Klischees denken? „Tief getroffen klingst du ja nicht“, fand ihre Mutter, und Ariane zuckte die Achseln. „Mir scheint, die Luft ist raus.“
„Manche Beziehungen erreichen eben schnell ihr Verfallsdatum“, steuerte Christina bei. „Leute, wenn ich mir wirklich noch diese Fotos bei euch anschauen soll, müssen wir´s packen. Um drei geht mein Flieger zurück.“
„Was, schon?“, fragte Daniel. „Hast du einen Süßen in Köln?“
„Eher eine kritische Versuchsreihe. Wir müssen die morgen scharf im Auge behalten, Sonntag hin oder her. Also?“
Ariane zahlte für alle, weil sie den Verdacht hatte, dass die Wohnung samt Inhalt mehr wert war als die Fixsummen für die anderen, und die anderen nahmen mit gutmütigem Spott für die Immobilienbesitzerin an.
* * *
Als Ariane nach Hause kam, war es gerade mal elf Uhr durch, und Michael schlief immer noch. Sie zog sich schnell um und nahm sich Putzzeug und den Ghettoblaster aus der Küche mit in ihr Zimmer und ging an die Arbeit. Saugemütlich, fand sie, leise mitsummend und sortierend, was ihr in die Hände fiel. Der Altpapiermüllkorb füllte sich rasend schnell, und sobald sie absehen konnte, was sich an Finanzkram herausschälte, beschriftete sie einen leeren Ordner entsprechend, bastelte ein Registerdeckblatt und heftete ordentlich chronologisch sortiert ein, was sie bis jetzt gefunden hatte.
Ein einziges Regalfach war hoch genug für die Ordner; sie räumte die Bücher heraus, wischte das Fach sauber (dieser Staub überall!) und stellte diesen Ordner schon einmal hinein. Ja, das würde gut aussehen...
Sie arbeitete weiter, und am frühen Nachmittag hatte sie wenigstens das gesamte herumliegende Papier auf einen einzigen Stapel reduziert, der Rest war korrekt abgelegt oder in der Papiertonne versenkt. Beim Wegtragen des Altpapiers hatte sie die Haustür zunehmend lauter ins Schloss krachen lassen, aber Michael hatte sich immer noch nicht gerührt. Tot oder feige?
Eher feige, beschloss sie. Umso besser. Und sie hatte jetzt Hunger!
Als sie sich eine sorgfältig abgemessene Portion Spaghetti kochte, kam Michael doch endlich zu ihr.
„Hi.“ Das kam gähnend heraus, und er schlurfte auch sofort zur (natürlich leeren) Kaffeemaschine. Ariane grinste in sich hinein, denn obwohl es in der Wohnung nicht übermäßig warm war (diese mistigen Ölöfen!), war er nur mit hautengen Jeans bekleidet. Glaubte er, angesichts seines – zugegebenermaßen sexy – Oberkörpers wurde sie vergessen, was sie gestern gesehen hatte? Da musste er aber schon mehr aufbieten!
„Hi“, antwortete sie nur, goss ihre Spaghetti ab und rührte einen halben Esslöffel Pesto darunter. Er setzte die gefüllte Maschine zusammen und präsentierte dabei seinen knackigen Hintern, wie Ariane beim Spaghettischaufeln gleichgültig registrierte. „Hunger hätte ich jetzt auch“, versuchte er es dann.
„Dann mach dir halt was, ist ja genug Zeug da“, antwortete sie. „Ich kann schließlich nicht wissen, wann du aufstehst.“
Brummen. Die Kaffeemaschine antwortete ihm mit einem tiefen Rülpser und begann zu arbeiten. Ariane schluckte den letzten Bissen Spaghetti herunter und stand auf, um den Teller und den Topf zu spülen.
„Du bist heute so komisch“, beklagte sich Michael.
Sag´s nicht!
„Kriegst du deine Tage?“
Doch. Trottel!
„Und wenn schon, deswegen bin ich auch nicht anders als sonst.“
„Finde ich schon.“ Er hob endlich mal den Blick, leicht blutunterlaufen. Sie wedelte ein bisschen mit der linken Hand, als müsste sie mit dem Topfschwamm winken, und es funktionierte: Er sah den Stempel. Etwas blass mittlerweile, aber noch gut erkennbar.
Weniger blass jedenfalls als Michael, der sich ziemlich abrupt entfärbte. „D-du warst gestern in der Halle? Du wolltest doch gar nicht kommen?“
„Ich hab´s mir eben anders überlegt. Ich dachte nämlich, du freust dich.“
„Hätte ich bestimmt auch – aber ich hab dich gar nicht gesehen.“
„Ich dich schon – und ich kann dir versichern, du hättest dich nicht gefreut, wenn ich dich – euch – dabei gestört hätte.“
„Oh.“ Er senkte demütig den Kopf, dann hob er ihn wieder, mit dem aufrichtigsten Blick aller Zeiten. Ariane überlegte, ob sie ihm eine scheuern oder nur fragen sollte, wie lange er diesen Unschuldsblick vor dem Spiegel geübt hatte. Sie ließ beides und wartete auf das Unvermeidliche.
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