„Na, so alleine hier?“, schloss sie aus seinen Mundbewegungen. Sie schüttelte energisch den Kopf und nahm den nächsten Schluck. Er legte ihr eine Hand aufs Knie und drückte sanft. Resigniert stellte sie ihr Glas ab und winkte seinen Kopf näher zu sich heran. „Ich würd´s lassen“, raunte sie ihm dann ins Ohr, „mein Freund ist hier irgendwo, und der tickt leider verflixt leicht aus. Beim nächsten Mal kommt er sicher nicht mehr mit Bewährung davon, und das möchte ich natürlich nicht.“
Die Hand wurde ruckartig zurückgezogen, der Kopf wandte sich zur anderen Seite. Ariane kehrte zu ihrem Glas zurück und versuchte, nicht zu grinsen. Der alte Spruch funktionierte doch immer wieder!
Aber hier war Michael (der kein bisschen zum Austicken neigte, allerdings hatte sie ihm auch noch nie Anlass dazu gegeben) nicht zu finden. Also trank sie aus, schob das Glas über die Theke und rutschte vom Barhocker. Hm – beim DJ vielleicht? Sie kämpfte sich durch das Gewühl am Rande der Tanzfläche. Kurz bevor sie vorne ankam, erstarb die Musik.
„Kurze Pause, Freunde! Trinkt was, damit ihr für die nächsten Runden fit seid!“, kam es aus den Lautsprechern, und DJ TecBoy, bürgerlich Stefan Deixlbrunner, machte Anstalten, vom Podest der Anlage herabzuklettern. Ariane kam gerade noch rechtzeitig an. „Hi, Stefan, hast du Michael gesehen?“
Er grinste. „Musst wohl Interesse heucheln, was? Vorhin war er dahinten irgendwo.“ Er wies in Richtung der Toiletten.
„Danke. Hier kann man sich ja tot suchen.“ Ariane wandte sich ab.
„He, wart mal“, rief Stefan hinter ihr her. Sie drehte sich um. „Ja?“
„Äh – ach nichts.“ Leise fügte er noch hinzu: „ O shit .“
Ariane schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich wollte er fragen, ob sie ihm was zu trinken holen konnte, und dann war ihm doch eingefallen, dass sie ein volles Glas niemals unversehrt hierher brächte. Ja, shit , musste er schon selber gehen! Sie wühlte sich in Richtung Toiletten durch. Was Michael da wohl trieb? Gucken, ob auch nichts verstopft war? Das konnte er zu Hause doch auch nicht?
Naja, ein Eventmanager musste auch Mädchen für alles sein und notfalls auch mal ein Klo putzen. Oder für den Barkeeper einspringen, für den DJ oder eine Schlägerei am Eingang beenden. Das Schlimmste war wohl, wenn man den Notarzt rufen musste, weil sich jemand auf dem Klo den Goldenen Schuss – o Gott, deshalb würde er sich dort doch wohl nicht herumdrücken?
Sie eilte an der Mädelsschlange vorbei, was ihr ein paar Anrauzer eintrug. „Ich will nicht da rein, ich suche bloß jemanden“, beschwichtigte sie die Empörung notdürftig und drückte sich zwischen Zigaretten- und Kondomautomaten vorbei, bis sie in den Vorraum schauen konnte. Keine Aufregung, kein Drogenopfer, kein Michael. Bei den Jungs? Da konnte sie nicht mal reinschauen, aber man sah den Kerlen, die da herauskamen an, dass sie nur friedlich gepinkelt (und sich hinterher garantiert nicht die Hände gewaschen) hatten. Blanke Erleichterung auf den Gesichtern, keinerlei Aufgeregtheit. Nein, hier war er nicht. Putzkammerl? Bei den Klos gab es doch immer ein Putzkammerl, und es war auch offen.
Verdächtige Geräusche... Ariane grinste und wollte sich schon unauffällig zurückziehen: Wer war sie, andere Leute beim Poppen zu stören? Sie konnte sich zwar ein erotischeres Ambiente vorstellen, aber bitte! Als sie den ersten Schritt rückwärts machte, sagte der Mann drinnen mit erstickter Stimme: „Oh ja, Süße. Mach das nochmal – ohh!“
Ariane erstarrte. Die Stimme kannte sie. Und diese spezielle Ersticktheit in der Stimme, kurz bevor er kam, die kannte sie auch. Nur zu gut sogar!
Theoretisch konnte es natürlich noch jemanden geben, der genauso sprach. Sie beugte sich vor und stieß die Tür mit einem Finger lautlos etwas weiter auf:
Michael, die elegante graue Hose samt Shorts um die Waden baumelnd, über eine rothaarige Frau gebeugt, der er es gerade von hinten besorgte. Sie bewunderte einen Moment lang unwillkürlich seinen süßen weißen Hintern, bis ihr bewusst wurde, was sie da sah. Sie stieß die Tür noch etwas weiter auf – sollten andere das ruhig auch sehen! – und verzog sich dann eilig.
Als sie schon fast wieder an der Bar war, hörte sie lautes Kichern aus dem Klobereich. Guckten die Mädels aus der Schlange jetzt alle den beiden beim Vögeln zu? Geschah ihm recht, diesem Schwein. Er hatte doch geschworen, das damals mit dieser Susi sei ein einmaliger Ausrutscher gewesen ( Es hatte gar nichts zu bedeuten, ich liebe doch nur dich! Blabla...) – und jetzt schon wieder? Wer weiß, wie oft er hier herumvögelte, während sie zu Hause seine Wäsche wusch!
Unverschämtheit.
Am liebsten hätte sie zu Hause seine Pullover genommen und sie wieder in den Waschsalon getragen. Und dann den extragründlichen Kochwaschgang! Nein, sollte doch diese rothaarige Schlampe seine Klamotten waschen. Überhaupt, wozu brauchte sie denn so einen Idioten?
„Schon genug?“, fragte der Türsteher, als sie nach draußen rannte.
„Mehr als genug!“ schnappte sie.
„Hast du Michael gesehen?“
„Und wie. Er mich aber wohl nicht“, blaffte sie ihn an. „Sorry, du kannst ja nichts dafür.“
„Oops“, machte der Türsteher und grinste auf eine Art, die er wohl für tröstend hielt. „Denk dir nichts, so was hat -“
„- nichts zu bedeuten, ich weiß. Ihr seid doch alle gleich, ihr blöden Kerle. Ciao!“
Wutentbrannt marschierte sie zu ihrem Auto, warf sich hinein, knallte die Tür und schoss mit aufheulendem Motor vom Parkplatz. Auf der Straße beruhigte sie sich wieder etwas – dass sie jetzt noch einen Unfall baute, wo doch Michael alleine an allem schuld war, kam gar nicht in Frage!
Warum machte er so was? War sie ihm etwa nicht genug? Sicher, sie war manchmal müde, sie hatte auch manchmal abends Termine – aber er doch auch! Es war ja weiß Gott nicht so, dass er der totale Sexmaniac war und sie die Ehefrau mit Dauermigräne.
Brauchte er bloß mal die Abwechslung? Aber mit so einer? Einer, die sich im Putzkammerl, so richtig zwischen Tür und Angel, ficken ließ? Und – Ariane schloss eine Sekunde die Augen, weil sie sowieso an einer roten Ampel stand – das Bild hatte sich ihr regelrecht in die Netzhaut gebrannt: mit einem gewaltigen, schwabbeligen weißen Arsch. Fand er so was denn schön? Schöner als sie, die schlank, gepflegt und straff war? Und vor dieser Position nun auch noch nie zurückgeschreckt war, obwohl sie Michael beim Sex eigentlich lieber ansah...
Stattdessen dieses hässliche, fette Weibsbild. Und er mit heruntergelassenen Hosen...
Konnte die was, was sie nicht konnte? Ja, verdammt, warum sagte er denn nichts? Baby, wie wär´s, wenn wir mal... was wusste sie denn, worauf er im Geheimen abfuhr! Vielleicht ja auf die Gefahr, erwischt zu werden – da hätte sie wohl nicht mitgemacht, das wäre ihr im Zweifelsfall zu peinlich.
Hinter ihr hupte es ungeduldig; sie schreckte hoch und fuhr hastig über die Kreuzung.
Dieser Arsch! Dem würde sie was erzählen! Es war ja nicht das erste Mal, also musste er wirklich nicht um eine zweite Chance betteln. Eher um die dritte, vierte... wer wusste denn, wie oft sie ihn bloß nicht erwischt hatte!
Und vorgestern hatten sie sich so böse gestritten – ob das ein Grund war? Nur weil sie angedeutet hatte, dass ihr das studentenmäßige Leben langsam auf die Nerven ging, dass sie diese Bohème-Wohnung satt hatte und außerdem langsam an die Familiengründung denken wollte. Dieses Entsetzen in seinem Blick!
„D-du willst – was?“
„Langsam mal an Kinder denken“, hatte sie wiederholt, verblüfft über die Reaktion. Hatte sie beim ersten Mal gesagt, sie wollte einen Weltraumspaziergang machen, veganisch leben oder es mal mit dem Lesbentum probieren? Warum guckte er so panisch?
Читать дальше