Und ich hockte immer noch in meinem Teeniezimmer in Leiching! So konnte das wirklich nicht weiter gehen, also sparte ich eben. Etwa achttausend Euro hatte ich schon (Bankanlagen wurden ja schon in Euro gerechnet), aber das reichte auch nur für acht Monate zum Leben. In einem Jahr aber, wenn ich mit dem Studium fertig wäre...
Ich schleifte meine Einkäufe in den Bus und fuhr nach Hause. Mama lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und rief mit klagender Stimme nach mir. Ich kam zu ihr. „Fühlst du dich auch gut, Mama?“
„Danke, mein Kind... es geht schon. Etwas schwächlich, vielleicht. Ich bekomme so schlecht Luft... Und Papa und Tobi sind natürlich nicht da.“
Herumvögeln, dachte ich wütend und ordinär. Ich war sicher, dass Papa Mama dauernd betrog, und Tobi begrabschte ohnehin alles, was nicht schnell genug wegrannte. Und Mama ließen sie alleine hier liegen!
„Warum kommst du heute so spät?“, fragte Mama.
„Es ist neun. Früher komme ich freitags doch nie. Du weißt doch, dass ich arbeiten muss. Wenn Tobi schon nichts tut...“
„Ach, Tobi! Lass nur, Kind, eines Tages findet schon eine gute Stellung.“
„Ja, und bis dahin schenkt Papa ihm das Geld, das er mir jeden Monat abnimmt. Ganz fair finde ich das nicht. Soll ich dir helfen, ins Bett zu gehen?“
„Das schaffe ich schon noch alleine, Kind. Lauf du nur.“
„Bist du sicher?“
„Ja, mein Kind. Gute Nacht.“
Ich küsste sie auf die Wange und verzog mich in mein Zimmer. Dort packte ich die Weihnachtsgeschenke ein, alle in silberne Folie und schwarze Schleifen, versteckte sie im Schrank und fuhr meinen Rechner hoch. Freitagabend, Viertel nach neun, da lohnte es sich direkt noch...
Ich schrieb eine Stunde an dieser lästigen Seminararbeit über die Anfänge des Impressionismus, dann reichte es mir wieder; ich tippte noch schnell meine Mitschriften und wollte den Rechner eigentlich schon wieder ausschalten, aber dann verharrte meine Hand regungslos und nach einem unentschlossenen Moment rief ich ein neues Dokument auf, nannte es Erkenntnisse – F und tippte alles ein, was ich über Freddy nun wusste. Komischer Kerl, lief mir den ganzen Nachmittag nach und ließ sich von mir schikanieren – wenn ich bedachte, dass ich ihn zu gesundem Essen gezwungen und ihn der Folter einer Kunstführung in französischer Sprache ausgesetzt hatte, von dem Almosen der After-Shave-Proben ganz zu schweigen. War das wohl eine Frechheit gewesen? Egal, wahrscheinlich fand er mich ja doch nicht wieder, und sicher war es auch besser so. Viel wusste ich sowieso nicht:
1.) Komische, extrem helle Augen: hellgrau mit dunklen Wimpern
2.) Staffiert sich aus wie ein Aufsichtsratsvorsitzender, sogar in seiner Freizeit
3.) Macht was mit Wirtschaft
4.) Verschenkt nichts zu Weihnachten. Aus Prinzip? Oder kennt er niemanden?
5.) Findet, meine Eltern sollten mich finanzieren
Fand er das wirklich? Nein, das hatte er nicht gesagt. Ich löschte den letzten Punkt wieder und sicherte die Datei mit einem Extracode, obwohl Tobi sowieso zu dämlich war, um meinen Rechner zu knacken.
Das Wochenende nutzte ich, um die Seminararbeit fertig zu machen; ich druckte sie aus, band sie in ein hübsches Mäppchen und legte sie für den ersten Unitag nach den Weihnachtsferien parat. Außerdem sichtete ich wieder einmal meine Scheine fürs Examen, stellte erfreut fest, dass ich nun wirklich alles in der Tasche hatte, sogar in den Nebenfächern, Französischer Literatur und Medienwissenschaften (obwohl ich noch mehr zu kriegen hatte), räumte sie perfekt auf und warf allerlei anderen Kram weg. Außerdem wusch und bügelte ich sieben Maschinen voll für Mama und für mich – Papa und Tobi konnten sehen, wo sie blieben - , kaufte für die Weihnachtsfeiertage ein, bis die Türen von Mamas Golf kaum noch zugingen, schleppte den überflüssigen Christbaum nach Hause, assistierte Frau Sopeck am Samstagnachmittag beim Hausputz, als Papa und Tobi bei irgendeiner Weihnachtsfeier im Golfclub waren, und kam mir am Sonntagabend sehr tugendsam und ausgebeutet vor. Die zwei hatten wirklich gar nichts gemacht! Und Mama hatte auf dem Sofa gelegen – nein, dekorativ geruht – und beklagt, dass sie uns so gar keine Hilfe sein konnte. Sie hatte mich direkt etwas ungeduldig gemacht, denn es wäre ja wohl nicht nötig gewesen, immerzu im Weg zu sein und die ohnehin nicht gerade arbeitswütige Frau Sopeck dauernd durch Gespräche abzulenken. So machte ich dann schließlich das meiste alleine, bis ich entnervt Frau Sopeck in die Badezimmer jagte. Klos putzte ich nicht – irgendwo war die Grenze erreicht! Jedenfalls nicht die Klos von Leuten, die ich nicht leiden konnte.
Tobi und Papa waren, als sie am Samstagabend nach Hause kamen, mehr als nur angetrunken. Tobi war glänzender Laune, zog sich hastig mehr discomäßig um und ließ sich von irgendeiner Maus abholen. Konnte er nicht selbst fahren und sich betrunken um einen Chausseebaum wickeln? Abscheulicher Gedanke, aber ich wünschte ihn wirklich zur Hölle.
Papa strich murmelnd durchs Haus, trank noch etlichen Whiskey, telefonierte herum und saß schließlich übellaunig im Wohnzimmer, also verzog ich mich unauffällig in mein Zimmer und las in Geschichte der Malerei 1880-1920 . Vielleicht stolperte ich ja über einen unbekannten, aber viel versprechenden Künstler, den ich Professor Werzl vorschlagen konnte?
Tobias kam erst am Sonntagmittag wieder heim, wies das Mittagessen (Minestrone und Kartoffelgratin, ich hatte mich redlich bemüht) mit allen Anzeichen des Ekels von sich und trug sein bleiches, aufgedunsenes Gesicht mit den rötlichen Augen in sein eigenes Zimmer.
Papa aß stumm, warf mir ab und zu kritische Blicke zu, bis ich ihn wütend anblitzte, und seufzte dann leise vor sich hin. Jetzt hätte ich fragen sollen, was ich denn für ihn tun könnte! Das kannte ich schon, das waren immer schauerliche Aufträge, entweder am Rande der Legalität, unangenehm oder/und zeitraubend. Ich stellte mich dumm, das war sicherer.
Mama aß wenig, lobte das Essen ohne große Überzeugung und schob ihre Portion auf dem Teller hin und her, als könnte sie nur durch Reibungsverluste verschwinden.
„Iss doch was, Mama“, mahnte ich, aber vergebens. Was war eigentlich los? Tobi war heute auch nicht ärger als sonst, also warum diese Krisengesichter? Hatte ich irgendwas angestellt? War jemand krank? Keiner sagte etwas, und ich hütete mich zu fragen, sondern begann, die Teller aufeinander zu stapeln.
Der Montag wurde noch viel anstrengender; vor Tau und Tag stand ich auf, ohne die anderen zu wecken, putzte das Wohnzimmer noch einmal flüchtig, schleifte den Baum hinein und rammte ihn in den Ständer (andere Leute machten aus der Baumschmückaktion sicher eine lustige Familienangelegenheit – glaubten meine Eltern jetzt eigentlich wieder ans Christkind?), schraubte ihn fest, gab ihm Wasser, arrangierte die Lichterkette, verteilte Kugeln, Engelchen und Lametta, räumte alle Schachteln wieder in den Keller, füllte diverse Schalen mit Weihnachtsgebäck (gekauft, irgendwo war Schluss), verteilte meine Geschenke unter dem Baum, stellte Kerzenleuchter, alte Rauschgoldengel und eine große Schüssel mit Apfel, Nuss und Mandelkern auf, schloss das Wohnzimmer ab und deckte im Esszimmer den Frühstückstisch. Dann schloss ich die gefüllte Kaffeemaschine an, duschte schnell, zog mich warm an und ging die traditionellen Croissants holen und die Baguettes, die ich bestellt hatte. In der Schlange vor dem Bäcker war ich von sehr unweihnachtlichen Gesichtern umgeben, die nur Müdigkeit, Überarbeitung und Unlust ausdrückten. Auf dem Rückweg holte ich noch einige vergessene Kleinigkeiten, wieder einmal auf eigene Rechnung – Papa gab Mama nur sehr wenig Haushaltsgeld, und sie verbrauchte davon noch einen hohen Anteil für ihre Medikamente, den ganzen rezeptfreien Kram, durch den sie sich besser fühlte .
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