Elisa Scheer - Kein Wohlgefallen

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Katja Herzberger beschließt, endlich aus ihrem Elternhaus, in dem es zugeht wie in einer amerikanischen Seifenoper, auszuziehen, um etwas Distanz zwischen sich und ihre zahlreichen anstrengenden und problembehafteten Geschwister und die kontrollwütige Mutter zu legen. An Heiligabend kommt sie aber brav zurück – und nach dem obligatorischen Kirchgang findet die Familie eine Leiche im Garten, einen eher ungeliebten Bekannten der Familie. Zeitgleich werden Katjas Bruder Nick und sein Freund Raphael immer seltsamer und vor allem immer giftiger Katja gegenüber. Haben die beiden mit dem Mord etwas zu tun? Geht es um Geld? Oder um Rache? Katja schnüffelt selbst ein bisschen herum – auch um den netten Kripobeamten Reuchlin zu unterstützen, der ihr zunehmend besser gefällt…

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Alles frei erfunden!

Sämtliche Namensgleichheiten und sonstige Übereinstimmungen mit real existierenden Personen, Firmen u. ä. sind purer Zufall.

Imprint

Kein Wohlgefallen. Kriminalroman

Elisa Scheer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Copyright: © 2016 Elisa Scheer

ISBN 978-3-7375-6385-7

1 – Montag, den 08.11.2010

„Ich hätte dich nie heiraten sollen!“, keifte es unter ihr. „Pech gehabt!“, schrie eine Männerstimme zurück. „Jetzt hör endlich auf mit dem Quatsch!“

„Quatsch nennst du das? Das ist ja interessant!“

„Ach, lass mich in Ruhe. Ich hab Wichtigeres zu tun.“

Das unverständliche Antwortgekreisch brachte Katja dazu, mit dem bereitstehenden Besenstiel auf den Boden zu klopfen. Nicht, dass das irgendwas genutzt hätte – aber sie wollte doch deutlich machen, dass sie sich gestört fühlte. Und wie!

Wie sollte man eine Englischschulaufgabe korrigieren, wenn dauernd um einen herum die Hölle tobte? Da konnte man ja gleich in eine Slumgegend ziehen, in ein Haus mit ganz, ganz dünnen Wänden – schlimmer war es dort bestimmt auch nicht. Bloß mehr Läden in der Nähe.

Alex und Irma schienen sich beruhigt zu haben, dafür drehte Nick nebenan jetzt seine Anlage auf – und den Musikgeschmack wollte sie nicht geschenkt haben.

Dass man das so deutlich hörte, obwohl ein leeres Gästezimmer dazwischen lag? Verdammt laut hatte er wieder aufgedreht. Blöder Nick! Katja legte den Rotstift beiseite und trat auf den Gang.

„Ruhe“ zu brüllen reichte nicht, also riss sie Nicks Tür auf. „Kannst du das bitte mal leiser stellen? Andere Leute müssen arbeiten!“

Nick grinste ihr von seinem stylischen grauen Ledersofa entgegen. „Augen auf bei der Berufswahl, kann ich da nur sagen. Ich hab jetzt frei, und das finde ich um halb acht Uhr abends auch ziemlich angebracht. Außerdem gibt es gleich Essen. Willst du dich nicht umziehen?“

Katja musterte ihn missmutig. „Ich mach´s wie du. Sakko drüber und aus die Maus. Aber nachher muss ich wirklich noch was tun, und in dieser Lärmhölle geht das absolut nicht.“

„Dafür bist du morgens laut. Musst du immer um halb sechs duschen?“

„Ich muss um sieben in der Schule sein, und zwar frisch gewaschen. Was schlägst du vor?“

Nick grinste. „Was Anständiges lernen? Na, dafür dürfte es jetzt zu spät sein. Aber schieß die Rotzgören in den Wind und fang in der Firma an. Für Sachbearbeitung dürfte es gerade noch reichen, du hast ja Abitur.“

„Und zwar ein viel besseres als du!“, schoss Katja zurück.

„Dafür hab ich zwei Staatsexamina“, konterte Nick.

„Ich auch!“

„Aber im falschen Fach“, grinste Nick.

Katja gab auf, knallte die Tür zu und kehrte in ihr Zimmer zurück.

Sie musste hier raus, eindeutig. Keiner nahm sie ernst, alle hatten nur ihre Scheißmöbel oder ihre Scheißkinder im Kopf – reuig dachte sie an Leon und Aurora, die je eigentlich niedlich waren und nichts für ihre bescheuerten Eltern konnten.

Familie war was Schreckliches. Wieso musste sie mit einer Glucke von Mutter und vier Geschwistern geschlagen sein? Und einem schlossartigen Elternhaus, in dem leider wirklich alle Platz hatten? Na, fast alle. Susanne mit Mann und auch schon fünfköpfiger Brut wohnte wenigstens eine Ecke weiter im Kiefernweg.

Sie sollte ausziehen.

Bei dem Gedanken wurde ihr ganz flau. Wie sollte sie das denn Mama beibringen, die alle ihre Kinder um sich versammelt wissen wollte?

Sie konnte ja in der Nähe wohnen… nein, lieber nicht, sie mochte Leiching auch gar nicht, und in der Nähe der Schule war die Gegend viel netter, da war was los, da gab es Läden und Kneipen ohne Ende.

Sie konnte ja sonntags herkommen. Oder es wenigstens versprechen. Einmal pro Woche war die Bande bestimmt erträglich. Eigentlich waren sie ja alle ganz nett, sie nervten nur tierisch.

Viertel vor…

Sie kämmte die schulterlangen braunen Haare flüchtig durch und band sie im Nacken wieder zusammen, dann zog sie den hellbraunen Bouclé-Blazer wieder über, der ihr beim Korrigieren zu warm geworden war.

Ordentlich, fand sie beim Blick in den Spiegel. Ordentlich reichte für ein Familienessen an einem normalen Novemberabend völlig aus. Morgen musste sie ohnehin zu einem Vortrag, der um sieben begann, da war sie dann zum Essen gar nicht da. Sehr passend, morgen gab es Lamm, und wenn sie etwas hasste, dann Schaf in jeglicher Gestalt. Schaf war nicht essbar, basta.

Die braunen Samtjeans sahen auch noch vorzeigbar aus. Sie wischte etwas Locherkonfetti von ihrem linken Knie und verließ das Zimmer. Dreißig Jahre alt und wohnte noch bei Mama! Gut, alle wohnten noch bei Mama, und es war eher so wie in einer amerikanischen Soap… aber hatte sie sich vor dem Fernseher nicht auch ab und an gefragt, warum manche der Kinder sich nicht einfach nach Skandinavien, Neuseeland oder sonst wohin davon machten, wo der allzu vereinnahmende Patriarch sie nicht mehr erreichen konnte?

Vielleicht sollte sie wirklich auch mal nach einer Wohnung schauen…

Mal sehen!

Auf der Treppe traf sie Lisa.

„Na, Leon schon im Bett?“

„Klar. Acht Uhr ist echt zu spät für ihn. Und Fisch mag er eh nicht. Boah, ich bin so was von müde… die Uni, der Kleine, diese Familie hier…“

Katja grinste. „Anstrengend, was? Aber woanders müsstest du dir selbst eine Kinderbetreuung suchen.“

„Eben. Nee, ich bleibe hier, ich bin ja nicht doof. Wir bleiben ja alle hier…“

Sie seufzte noch, als sie nach links Richtung Esszimmer abbog. Katja folgte ihr.

Die Tafel war üppig gedeckt, mit Tafelaufsätzen, goldgeränderten Tellern, Besteck für mindestens drei Gänge und den entsprechenden Gläsern. Katja grummelte insgeheim. Sie war die einzige, die prinzipiell keinen Alkohol trank, und musste sich täglich dieselben blöden Sprüche anhören.

„Für Sie Wasser?“, fragte Doris auch prompt – in einem Ton, als sei Wassertrinken ein perverses Laster.

„Ja, bitte“, murmelte Katja, der heute ohnehin alles hier auf die Nerven ging. Sie setzte sich gerade, als Alex und Irma hereinkamen – Hand in Hand. Konnten die sich nicht mal dauerhaft vertragen, anstatt sich lautstark zu zanken und dann öffentlich herumzuschmusen?

Nick eilte herbei. „Gibt´s bald was? Ich will mit Raphael noch ins Theater, und das Stück fängt um halb neun an.“

„Das hättest du besser planen müssen“, wies Mama ihn zurecht, die hereingesegelt kam, gefolgt von Doris mit Wasser und Wein.

„Ach, Katja, dieser alberne Puritanismus! Zu einem gepflegten Essen gehört nun mal auch ein guter Wein.“

„Ich habe noch zu arbeiten“, entgegnete Katja und schenkte sich selbst etwas Wasser ein.

„Jetzt noch?“ Der Ton klang nahezu fassungslos.

„Sag ich ja“, feixte Nick, „Augen auf bei der Berufswahl! Und wenn du dir alle Nächte um die Ohren schlägst, befördert wirst du doch nicht.“

„Wieso nicht?“, fragte Irma irritiert.

Katja grinste in sich hinein. Kein Grund, emanzipatorische Geschütze aufzufahren – das tat Irma immer dann gerne, wenn sie Alex eins auswischen wollte.

„Nicht aufregen, das ist das Beamtenrecht. Ich bin gerade erst auf Lebenszeit verbeamtet worden, also wird es ca. zwanzig Jahre dauern, bis ich befördert werden kann. Aber nachdem mit dieser Beförderung eine Gehaltserhöhung von etwa fünfzig Euro verbunden ist, ist es mir ziemlich wurscht, ob ich ein Ober vor die Studienrätin setzen kann oder nicht.“

Mama warf ihr einen milde tadelnden Blick zu und begann mit Alex ein Gespräch über die neue Duo-Combi-Linie, während Doris die Suppe austeilte.

Katja löffelte stumm. Sie hatte vergessen, dass das Lehrerdasein nicht als schickliches Gesprächsthema galt. Sie hätte BWL studieren und in der Firma mitarbeiten sollen. Oder Jura. Oder Design. Oder Holzwirtschaft. Aber dafür gab´s ja schon genug Familienmitglieder. Und dafür hatte sie sich auch noch nie interessiert.

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