Kunststück, jetzt gab´s auch welche in Selling, Leiching und Zolling. Selling war zu spießig, Leiching von der Mischpoche verseucht und Zolling – naja. Ganz schön weit zur Schule!
Henting, An der Flussaue – nein danke, das klang nach Überschwemmungsgebiet. Sie konnte sich ihre Schüler schon vorstellen: „Frau Herzberger, wir haben Sie gestern in den Nachrichten gesehen, Ihnen ist die Wohnung abgesoffen!“ Musste sie nicht haben.
Außerdem war Henting genauso schlimm wie Leiching. Wirklich schöne hochherrschaftliche Villen gab´s ohnehin nur im nördlichen Waldburgviertel.
Sie sah die Angebote rasch durch. Nichts – alles wieder zu groß, zu klein, zu teuer, zu seltsam… warum bauten die Leute denn so scheußliche Wohnungen?
Jetzt riss ihr der Geduldsfaden und sie gab gleich Waldburgviertel ein.
Zwei Angebote – na toll.
Das eine kannte sie ja schon – die seltsamen Umstände…
Das andere klang toll. Zweieinhalb Zimmer, nagelneue Einbauküche, Bad und Gästebad, Dachterrasse, Baujahr 2009…Sie pfiff durch die Zähne, aber der Pfiff erstarb, als sie den Preis sah: vierhunderttausend? Das war eindeutig zu viel. Zweieinhalb Zimmer waren eben nur zweieinhalb Zimmer – auch wenn sie achtzig Quadratmeter hatten.
Vielleicht hatte sie ja morgen mehr Glück. Sie rief sicherheitshalber eine unverfängliche Website auf und löschte das Protokoll, dann betrachtete sie sich das Zimmer. Die Möbel konnte und wollte sie nicht mitnehmen – aber den Inhalt. Naja, den wesentlichen Inhalt. Den unwesentlichen sollte sie mal zügig entsorgen!
Sie begann mit den Schulordnern, die im Moment nicht im Gebrauch waren. Englisch 6 und Englisch 7 waren die ersten Opfer. Sie kontrollierte sie auf Vollständigkeit, nahm die unnützen Kopien heraus und legte damit einen Stapel Schmierpapier an. Englisch 8 schaffte sie auch noch, dann hatte sie keine Lust mehr auf Schreibwaren und öffnete ihren Kleiderschrank.
Hm. Wohl gefüllt; kein Wunder, wenn man nur einen solchen Schrank hatte – eine Kleiderstange, vier Fächer, ein Hutfach und unten eins für die Schuhe. Im Hutfach waren ihre Taschen, ihre Handschuhe, ihr Schirm und tatsächlich ein Hut untergebracht.
Die Fächer enthielten einen Stapel T-Shirts, einen mit Strickjacken und Pullis, ein Fach war der Nachtwäsche vorbehalten, in einem stand eine Pappbox mit Unterwäsche und eine weitere mit Strümpfen, und ganz unten befanden sich ihre Jeans.
An der Stange baumelten vier Blazer, zwei bessere Hosen, etwa zehn Blusen, ein dunkles Kostüm, ein schon recht bejahrtes Abendkleid und ein kleines Schwarzes.
Sieben Paar Schuhe standen ganz unten. Was sollte sie da ausmisten, das war doch nun wirklich nicht zu viel?
Sie sah die Nachtwäsche durch – vier Nachthemden (plus eins unter dem Kopfkissen), alle in Ordnung, alle schön, alle aus solider gewirkter Baumwolle mit Punkten oder Blümchen, alle schön lang. Die würden alle bleiben. Der Morgenmantel daneben war das dünne Ding für Sommer und/oder Reisen. Den konnte sie mal waschen, er wirkte etwas muffig. Sie warf ihn in Richtung Tür, an der der Wintermorgenmantel schon hing. Beide dunkelgrau, beide aus Seide, das Winterexemplar mit Fleece gefüttert. Beide schön.
Strümpfe. Das hieß zwei Strumpfhosen, einige Paar Socken aus dünner Seide, einige Feinsöckchen, einige Baumwollsocken. Na gut, das eine dunkelblaue Paar wirkte an den Fersen schon sehr dünn. Sie legte einen neuen Haufen an, indem sie das Sockenpaar in einer Mülltüte versenkte.
Die Wäsche war auch völlig in Ordnung, sieben Garnituren, bestehend aus je einem BH und drei Slips, alles spitzenverziert, in verschiedenen Farben. Keine losen Gummis, keine herausspießenden Drahtbügel… Alles in Ordnung.
Sie entsorgte ein T-Shirt, das durch häufiges Waschen mehr breit als lang geworden war, griff in alle Blazertaschen (Ausbeute: vier einzelne Euro) und stand dann seufzend vor dem Schrank. Viel konnte da nicht weg.
Und das Bücherregal? Auf die Ordner hatte sie immer noch keine Lust, aber die füllten ja auch nur zwei Fächer… die Bücher aber zehn. Sie fand zwei schlechte Krimis, die sie garantiert nie wieder lesen würde, einen Bildband, den sie mal geschenkt bekommen hatte, einige eselsohrige Reclamheftchen, die sie nie wieder brauchen würde, und zwei Betriebsanleitungen, die zu längst dahingeschiedenen Geräten gehörten. Altpapier resp. Lesefabrik-Tüte. Da würde sie in den nächsten Tagen noch weiter suchen und die Tüte dann einmal nach der Schule entsorgen.
Halb sechs – noch zweieinhalb Stunden Zeit bis zum Familiendinner.
Unter ihr wurde es lauter. Sie kontrollierte gerade ihre Bettwäsche – aber wenn man gerade mal drei Garnituren besaß, konnte man nichts entsorgen. Außerdem mochte sie die drei Bezüge, wenn sie auch weder kostbar noch besonders eindrucksvoll waren. Sie hätte sich gerne Bassettis geleistet, aber die würde Doris ja doch bloß bei jemand anderem aufziehen, sobald sie einmal vergaß, den Kleiderschrank abzuschließen.
Von Hotel Mama konnte keine Rede sein, sie putzte selbst, sie wusch und bügelte selbst und aß nur abends hier, sie parkte meistens auf der Straße und benutzte fast nie den Garten – den Park, wie Mama zu betonen beliebte.
Was gab es noch, was weg konnte?
Die Handtücher im Bad gehörten nicht ihr, sie stammten aus dem Familienfundus und waren cremefarben, dünn und kratzig. Sie gehörten eigentlich in die Altkleidertonne, aber das war ja nun nicht ihr Problem. Die vielen Kosmetika allerdings waren sehr wohl ihr Problem; sie setzte sich auf den Badewannenrand neben die Duschabtrennung und musterte die Flaschen. Halbleer, das wusste sie schon. Und zweimal das gleiche Rosenduschgel! Sie goss die beiden zusammen und stellte die leere Flasche zur Entsorgung bereit. Die Seife mit dem Zitronenduft mochte sie nicht, darauf juckte die Haut. Weg damit! Ach nein, die würde sie ins Gästebad im Erdgeschoss schmuggeln und warten, ob das jemand merkte.
Das Farbtreu-Shampoo in der Dusche war übrigens leer.
Na, immerhin! Sie erhob sich und schlich mit den Flaschen und der Seife nach unten, wo sie die Seife diskret platzierte und die beiden Flaschen in die Plastikmülltüte stopfte.
Kaum war das erledigt, traf sie Mama, die gerade das Haus betreten hatte.
„Na, Katja? Schon zu Hause?“
War das ironisch gemeint? Am besten dumm stellen!
„Ja – du auch schon, wie ich sehe… Guten Abend!“
„Dir auch. In der Firma ist im Moment eine Menge los. Wir könnten da schon noch eine tüchtige Kraft brauchen…“
Ging das schon wieder los!
„Dann solltest ihr vielleicht inserieren… Wahrscheinlich richten sich jetzt viele Firmen neu ein, wo die Krise vorbei zu sein scheint?“
„Ja, genau. Immerhin, du scheinst dich ja doch für die Wirtschaftslage zu interessieren?“
„Natürlich“, antwortete Katja mit wohl dosiertem Erstaunen, ohne sich aber auf eine Diskussion einzulassen.
Ihre Mutter seufzte. „So was Unzugängliches wie dich erlebt man wirklich selten. Willst du dich nicht doch mal ein bisschen einfügen?“
„Ach, Mama! Ich habe meinen Traumberuf, glaub´s mir doch. Und für das andere werde ich schon eine Lösung finden, sei nur beruhigt.“
„Hoffen wir´s! Doris und Frau Remmler haben sich schon wieder bei mir beklagt.“
Musste sie eigentlich so leben, wie es dem Personal gefiel?, dachte Katja rebellisch. Vielleicht sollte sie doch diese Wohnung mit den komischen Umständen nehmen, um die angekündigte Lösung so schnell wie möglich zu erreichen?
Aber das würde sie sich nach dem Abendessen überlegen.
Jetzt kam ihr erst einmal Leon entgegen, wie üblich begeistert kreischend. Katja breitete die Arme aus, und er stürzte sich hinein. „Tante Katja, Tante Katja! Ich war heute der Beste beim Basteln!“
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