„Leiching“, gab Katja ungern zu.
Isi pfiff durch die Zähne. „Wow! Vom Feinsten, was?“
„Naja. Fade Gegend. Und ich würde lieber wo wohnen, wo es genug heißes Wasser gibt, eine funktionierende Heizung und wenigstens überhaupt mal eine Kneipe.“
„Hast du so ne Bruchbude erwischt? Dann zieh doch um!“
„Will ich jetzt auch. Ausziehen, besser gesagt.“
Isi schaute besorgt. „Du willst dich trennen? Tut mir Leid.“
„Wie – trennen?“
„Na – ausziehen, das klingt, als wolltest du dich von einem Macker verabschieden.“
Katja spürte, wie sie rot wurde. „Lach nicht – ich wohne noch zu Hause. Sozusagen, ich finde nicht, dass das ein Zuhause ist.“
„Bei den Eltern? Wie alt bist du? Dreißig?“
Katja nickte. „Meine Mutter ist eine wahnsinnige Glucke, sie hat praktisch alle Kinder um sich versammelt. Nur meine Schwester ist entkommen.“
„Hut ab!“
„Zu viel der Ehre. Sie wohnt eine Straße weiter und hat schon fünf Kinder. Und ich glaube nicht, dass es dabei bleibt. Mama kennt nur zwei mögliche Karrieren für ihre Töchter – Ehefrau und Mutter oder in der Firma arbeiten. Deshalb bin ich sowieso das schwarze Schaf. Und das hab ich jetzt langsam satt.“
„Firma?“
„Ach, die stellen Möbel her. Aber mich interessieren Holz, Design und BWL halt so gar nicht.“
„Man soll ja schon machen, was einem auch liegt“, meinte Isi, „aber wenn du hier bist und deine Schwester hauptberuflich brütest, wer kümmert sich dann eines Tages um die Firma?“
„Jetzt vor allem meine Mutter, aber ich habe auch zwei Brüder und noch eine Schwester. Und die drei sind in der Firma. Das muss reichen, finde ich.“
„Finde ich auch. Brüder? Hübsch? Wie alt?“
Katja lachte. „Vergiss es. Alex ist ein Workaholic und verheiratet, und Nick ist ein Workaholic und schwul.“
„Schade. Mir hätte Leiching schon gefallen.“
„Nicht in diesem Haus. Ich muss jetzt wirklich nach einer Wohnung suchen, sonst raste ich noch total aus.“
„Was willst du denn so ausgeben?“
„Keine Ahnung. Mir schweben zwei oder drei Zimmer vor, am liebsten hier in der Nähe oder im Malerviertel. Was kostet so was wohl?“
Isi überlegte. „Je nach Zustand und Alter… ich denke, so zwischen siebenhundert und zwölfhundert.“
Jetzt war es an Katja, durch die Zähne zu pfeifen. „Ganz schön happig! Zwölfhunderttausend – das ist ja über eine Million! Das hab ich nicht. Nicht annähernd! Ich würde mich bis an mein Lebensende verschulden. Bist du sicher?“
„Ja. Aber ich habe gemeint, zwischen siebenhundert und zwölfhundert Euro im Monat. Miete, du verstehst?“
Katja schaute zerknirscht. „Logisch. Ich komme mir jetzt selbst vor wie aus dem Elfenbeinturm… aber ich suche schon eine Eigentumswohnung.“
„Unser Prinzesschen… Eigentum… da würde ich sagen, so um die zweihunderttausend herum. Im besseren Malerviertel vielleicht noch ein bisschen mehr. Hast du das?“
„Das kriege ich hin“, wich Katja aus. „ich glaube, ich gehe jetzt heim und studiere den Immobilienteil.“
„Und wenn sie dich dabei erwischen?“
„Okay, du hast Recht. Ich gehe ins Café und lese da den Immobilienteil. Und danach ziehe ich mir das Theaterstück rein, hinterher fahre ich heim und spiele das Unschuldslamm.“
„Und ich verziehe mich jetzt an meine Farbtöpfe. Das Theater kann mir gestohlen bleiben, ich kann nicht jeden Tag abends noch hier herumlungern. Frohes Zeitungslesen!“
Katja packte zusammen, grüßte noch einmal in die Runde und strebte zum Parkplatz. Sie fuhr nicht weit, nur in die Patriziergasse, wo es in einem Durchgang zur Welsergasse ein putziges Café gab. Auf dem Weg dorthin nahm sie noch schnell einen Morgenexpress mit und schlug ihn begierig auf, sobald sie sich in ein stilles Eckchen verzogen und einen Espresso und ein Stück Himbeerkuchen bestellt hatte.
Das war schließlich ihr Mittagessen, verteidigte sie sich vor sich selbst. Und warum nicht Himbeerkuchen? War doch gesundes Obst?
So, und war jetzt hier im Angebot?
Aha, das klang gut. Drei Zimmer, Kochnische, Duschbad, interessanter Grundriss. Nähe Mönchberg.
Hm. Wieso bei der Wohnungsgröße nur Kochnische und Duschbad?
Sie las weiter. Fünfzig Quadratmeter? Wie konnten das denn drei Zimmer sein? Und interessanter Grundriss – war das was Gutes oder doch eher seltsam? Und Nähe Mönchberg… was war da in der Nähe, was man nicht laut sagen konnte?
Selling. Na toll. Voll die Fünfziger Jahre!
Was gab´s denn noch?
2ZKB, 70 qm, Bj.08, zentr. Lage, umständehalber günstig abzugeben.
Was das wohl für Umstände waren?
Drei Zimmer, 84 qm, Philippinengasse. Sanierter Altbau . Hm, wahrscheinlich knarzten die Böden und es gab kein heißes Wasser. Das hatte sie ja nun schon in Leiching. Immerhin waren die Wörter der Anzeige ausgeschrieben. Wie viel wollten die haben? Vierhunderttausend? Frech.
Zweizimmerküchebadbalkon in der Altstadt, gut vermietet … nein.
Zweizimmerküchebadbalkon in S-Bahn-Nähe. Huch! Schnell weiter. Das war wahrscheinlich in Waldstetten oder so. Eine halbe Stunde bis zur S-Bahn.
Zweizimmerküchebadbalkon. Nur hundertzwanzigtausend gegen leichte Gartenarbeit . Nein danke - das kannte sie von zu Hause, Mamas sehnsüchtiger Blick: Jemand müsste mal das Laub unter der Hecke …
Dreizimmerküchebadbalkon Baujahr 1969 . Nein, bestimmt nicht.
Zweieinhalbzimmerküchebadbalkongästetoilette. Nicht schlecht… ach, in Leiching. Zu nahe dran – und zu weit weg von der Schule.
Danach kamen die Vierzimmerwohnungen. Zu teuer und zu groß, sie hatte eigentlich keine Lust, jede Woche vier Zimmer durchzuputzen.
Alles andere war vermietet, am Arsch der Welt, zu alt oder zu teuer. Nichts Brauchbares also.
Was sie allerdings doch interessiert hätte, waren die „Umstände“, warum diese eine zentrale und recht neue Wohnung günstig abzugeben war. Ob sie da mal anrufen sollte?
Lieber nicht. Lieber morgen noch mal in die Zeitung schauen!
Sie sah auf die Uhr – fast fünf. Um sechs sollte das Theaterstück beginnen, dann wäre sie etwa um neun zu Hause. Kein Abendessen. Aber der Himbeerkuchen hatte sich schon recht sättigend ausgewirkt…
Sie könnte in die Schule zurückkehren, noch ein bisschen arbeiten – aber was? Die Klausur hatte sie zu Hause in den Schreibtisch eingeschlossen. Vorbereiten? Naja, ein bisschen vielleicht. Und kurz vor dem Theater noch was essen…
Sie nahm sich zwei Brezen und eine Flasche Apfelschorle mit und fuhr in die Schule zurück. Viel schaffte sie nicht, bevor sie in der Aula Platz nahm, um dem Unterstufentheater zuzusehen.
Das Stück, eine kesse Neuinterpretation von König Drosselbart, war lustig. Und sehr putzig gespielt. Susanne Barthel, die den AK Theater betreute, nahm etliche Blumensträuße und tosenden Applaus entgegen und verbeugte sich mit ihrer Truppe unzählige Male, bevor der Vorhang fiel und Katja, müde und ungeduldig, entschlüpfen konnte.
Sie fuhr zügig nach Leiching, parkte auf der Straße, weil die Auffahrt mal wieder zugestellt war, und schlich sich leise ins Haus. In ihrem Zimmer sah sie sich missmutig um. Groß war es, bestimmt vierzig Quadratmeter. Eine Wohnung wäre insgesamt kaum größer. Aber der knarrende Holzboden, die schweren dunklen Möbel, die immer schon hier gestanden hatten, das kleine Duschbad im Stil der mittleren Sechziger, mit dem abgeschabten Duschkopf und dem halbblinden Spiegel, der nicht erneuert werden durfte…
Scheußlich. Authentische Zustände aus den Sechzigern. Das war die Renovierung der Großeltern gewesen, und Mama klammerte sich an die Idylle ihrer jungen Ehe. Ob es Papa hier eigentlich gefallen hatte? In seinem Elternhaus? Aber wer konnte schon die Ehe der Eltern beurteilen, obendrein im Nachhinein? Das konnte ihr ja auch egal sein, Hauptsache, sie kam hier mal raus und in eine Wohnung, die dem einundzwanzigsten Jahrhundert entsprach…
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