Alle Personen, Namen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden!
Alles frei erfunden!
Imprint
Verschwunden. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2016 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-6691-9
„Guck mal, so sollen die Anzeigen aussehen!“ Janne reichte Josie eine gefaltete Karte über den Schreibtisch. Die nahm sie entgegen und inspizierte sie. Gutes, schweres Papier, cremefarben. Vorne die üblichen verschlungenen Ringe, innen drin der übliche Text:
Wir heiraten
Janne Metz und Franz Walhauser
02.05.1013 13:00
St. Korbinian in Leisenberg.
Unoriginell. Aber das sagte sie besser nicht, überlegte Josie, Janne war nun mal konservativ und außerdem schnell beleidigt. Sonst war sie okay, und eigentlich war sie auch keine Kollegin, sondern lediglich jemand, mit dem sie sich das Büro teilte, ein Winzkämmerchen im Historikerbau der Leisenberger Uni. Gleichzeitig waren die beiden ohnehin selten anwesend.
Jannes Schwerpunkt war Bildungsgeschichte, vor allem mittelalterliche Universitäten, Josie dagegen sammelte gerade Material für ihre Habilitation über die rätselhafte Politik des Grafen Roderich, der sich etwas unentschlossen in den Konflikt zwischen Habsburgern und Wittelsbachern um die Kaiserkrone im 14. Jahrhundert eingemischt hatte und in der Schlacht bei Mühldorf verschwunden war – gefallen? geflohen? Die Quellen waren sich da nicht einig, und Roderichs jüngerer Bruder Willibald hatte ihn beerbt und die Dynastie fortgesetzt. Roderich – ein bescheuerter Name, aber jeder kannte ihn, vom Herzog-Roderich-Platz her. Der Herzog war ein später Nachfahre, kurz von dem Reichsdeputationshauptschluss, der auch Leisenberg die Souveränität gekostet hatte…
„Und?“
Josie fuhr zusammen und nickte. „Entschuldige. Ja, sehr elegant. Nicht so überladen wie manche andere. Das Standesamt schreibt ihr nicht drauf?“
„Da wollen wir ja noch keine Gäste haben. Nur die Trauzeugen, und die wissen sowieso Bescheid. Zur kirchlichen Trauung kommst du doch auch?“
„Echt?“
„Ja, logisch!“ Janne strahlte sie an.
„Danke schön, da komme ich gerne. Habt ihr irgendwo einen Hochzeitstisch?“
Janne nannte ein recht teures Einrichtungshaus in der Burggasse. Josie seufzte innerlich und hoffte, dass es dort auch Kleinigkeiten gab, während sie sich den Termin notierte. Janne sah währenddessen auf die Uhr, schrak zusammen, rief: „Himmel, ich muss ja weg!“, warf alles in ihre riesige Umhängetasche und enteilte.
Halb zwei… kein Grund, schon aufzubrechen, außerdem hatte sie ab zwei noch Aufnahmegespräche in ihr Seminar „Die Gründung Leisenbergs – Mythen und Wahrheit“. Angesichts des entlegenen Themas rechnete sie mit etwa zwanzig Leuten, die in begehrteren Kursen wie „Barbarossas erster Italienzug“ nicht mehr untergekommen waren.
Sie aß schnell das Käsesandwich, das sie sich vorhin geholt hatte, und trank eine Flasche Wasser und einen Espresso, räumte die Unterlagen für ihr aktuelles Buch „Einführung in die Geschichte der Kreuzzüge“ beiseite und sah erwartungsvoll zur Tür. Kurz vor zwei klopfte es zaghaft, und als sie öffnete, fiel sie fast um: Der lange Gang war voller Studenten!
„Meine Damen und Herren, Ihnen ist aber schon klar, dass das hier die Gründung Leisenbergs ist und nichts mit Gold, Kronen und prächtigem Schlachtengetümmel?“
„Wissen wir!“, rief jemand. „Leisenberg ist doch cool!“
„Na gut. Aber mehr als fünfunddreißig Leute kann ich nicht aufnehmen. So viele Arbeiten lassen sich aus dem Thema auch wieder nicht herausschnitzen. Wer ist denn die oder der erste?“
*
Zwölf Leute hatte sie abweisen müssen, erinnerte sie sich, als sie gegen sechs nach Hause lief. Schön, in der Uni zu arbeiten und an der Uni zu wohnen. Kurze Wege, da konnte man nicht meckern. Die armen zwölf! Aber es gab sicher ein noch abwegigeres Thema als ihres, und da konnten sie dann ja reingehen… Sie hatte früher auch nicht immer ihre Wunschkurse erwischt… Typisches Elternsprech.
Immerhin hatte sie jetzt 35 Anmeldezettel, und jeder hatte sich auch schon ein Arbeitsthema ausgesucht. Es war ohnehin schon ganz schön spät für einen Anmeldetermin, aber das lag ja auch daran, dass dieses Seminar wie auch zwei andere nachträglich hatte eingerichtet werden müssen, da einige andere ausgefallen waren.
Egal. Mit den Referaten würde sie eben etwas später anfangen. Kurzreferate, dann schaffte man drei bis vier in einer Doppelstunde.
Aber jetzt war Wochenende! Sie schleifte ihre Unitasche mit dem Kreuzzugskram und den Korb mit ihren Einkäufen hinauf in den zweiten Stock und schloss auf. Sie liebte ihre Wohnung, klein, voll die Siebziger, aber praktisch und zentral. Einfach ein Glücksgriff – und wozu brauchte eine allein denn mehr als zwei Zimmer? Eins fürs Gesellige und eins fürs Private, also Schlafen und Arbeiten. Die Küche war funktional, das Bad in Ordnung – und die Miete nicht hoch.
Und sie hatte gestern schon geputzt, das war fast das Allerbeste. Also musste sie nur noch schnell die Einkäufe verräumen und sich ein bisschen frisch machen, dann konnte sie nach Waldstetten fahren, „heim“, sozusagen. Obwohl sie seit acht Jahren nicht mehr dort wohnte – und das auch nie mehr gewollt hätte – dachte sie immer noch „daheim“.
Merkwürdig eigentlich. Vielleicht blieb man in der einen oder anderen Beziehung tatsächlich immer Kind…
Sie wusch sich das Gesicht und puderte sich neu, kämmte ihre dunkelbraunen halblangen Locken, putzte ihre Brille und setzte sie wieder auf und musterte stirnrunzelnd ihre Kleidung. Nein, Jeans, ein Markenpolo und ein blauer Tweedblazer, das war völlig okay. Nichts Billiges, das Mama ärgern würde. Mama hätte sich ja schon sehr gefreut, wenn sich alle ihre Töchter bei angesagten Designern einkleideten – aber nur Letti tat ihr den Gefallen.
Gut, Letti war schon über dreißig und brav verheiratet. Horri ging noch zur Schule, da reichte es doch wohl, wenn sie ab und zu ein Paar neiderregend edler Designerjeans in der Schule zur Schau trug. Und sie selbst musste es in der Uni ja auch nicht übertreiben. Für bessere Anlässe hatte sie durchaus Kostüme und das eine oder andere schicke kleine Schwarze – aber für das allwöchentliche Abendessen am elterlichen Tisch? Wirklich nicht.
Musste sie irgendetwas mitnehmen? Sie drehte sich im Flur langsam einmal um sich selbst und entdeckte die DVD, die sie ihrer Mutter leihen wollte – „Desirée“ mit Marlon Brandon und Jean Simmons. Den Roman kannte Mama praktisch auswendig, seit frühester Jugend, aber der uralte Film war ihr offenbar entgangen – erst letzten Freitag waren sie darauf gekommen.
Josie steckte die DVD in ihre Tasche und grinste. Sie selbst war bei dieser Bonaparte-Manie Mamas noch am besten weggekommen, Letizia und Hortense waren weitaus blödere Namen als Josephine!
Vor allem Horri… die Lehrer, die nicht wussten, ob sie das deutsch oder französisch aussprechen sollten, und französisch war es dann auch noch so ein Zungenbrecher – Hortense Trunz. Was hatte Mama sich dabei eigentlich gedacht? Dass Horri möglichst schnell heiraten würde, um wenigstens den Nachnamen loszuwerden?
Richtung Markt gab es in der Avenariusgasse eine Tiefgarage, in der Josie einen Stellplatz gemietet hatte. Dorthin eilte sie nun, fuhr ihren Golf aus der Garage und machte sich auf den Weg nach Waldstetten.
Typischer Vorort – kaum Ortszentrum, nur einige Geschäfte um den kleinen Bahnhof, an dem die S-Bahn fuhr und ab und zu auch ein Bus hielt. Josie schlich durch die verkehrsberuhigten Straßen bis in den Wendelsteinweg und parkte vor Nummer 6.
Das Haus war wirklich schön, fand sie immer wieder. Eine richtige große alte Villa, die aussah, als wohnte die Familie seit Generationen darin, dabei hatten die Eltern sie erst vor zehn Jahren gekauft. Die Vorbesitzer waren kurz nacheinander gestorben, die Erben konnten sich nicht einigen und wollten dann doch lieber den Erlös teilen.
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