Josie lachte. „Ja, mittelalterliche Geschichte ist mein Spezialgebiet. Vor allem Leisenberg, die Situation der Kirche im Mittelalter und die Anfänge der Habsburger. Ich fürchte, das ist alles viel zu unspektakulär für irgendein Spiel. Sollte euer Spiel auch so ein Pseudo-Geschichts-Kram sein?“
„Nein. Naja, nicht direkt. Ach, egal – hast du Lust zu tanzen?“
Josie hatte eigentlich keine Lust, aber ihre Eltern wären glücklich und später, wenn es wieder mal Ärger wegen ihrer uncharmanten Art gab, konnte sie immerhin sagen: „Was wollt ihr eigentlich, ich hab sogar getanzt!“
Also nickte sie und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Einen Walzer, einen Foxtrott und eine Rumba schafften sie zusammen, dann schleppte Chris sie an die Bar. Josie folgte ihm leicht verwundert: Jetzt hatte er doch wohl lange genug den Kavalier gegeben, warum seilte er sich nicht ab?
„Champagner?“
„Gerne. Ich bin ja nicht mit dem Auto da.“
Gott, das klang sogar in ihren eigenen Ohren spießig!
Chris grinste und schwang sich auf einen Barhocker. Sie setzte sich daneben, nahm das Glas Champagner entgegen und nippte anerkennend.
„Ey, Chris, wie geht´s?“ Jemand schlug ihm so heftig auf die Schulter, dass er sich an seinem Champagner verschluckte.
Josie erkannte den Übeltäter und verdrehte im Stillen die Augen: Florian Brandeis. Flo, die Nervensäge. Den kannte sie noch aus dem Deutsch-Grundkurs: reich, dämlich, immer zu peinlichen bis verletzenden Scherzen aufgelegt.
„Was machst‘n hier so ganz alleine? Los, komm mit – Torben und ich wollen wohin, wo deutlich mehr los ist.“
„Ich bin nicht alleine hier, du Stoffel“, antwortete Chris und wischte sich die Champagnertropfen vom Smoking.
„Was – wieso? Ach nee, sag bloß? Du bist doch die – wie war doch gleich dein Name – warst du nicht auch auf dem Leo? So´ne Streberin?“
„Ganz recht“, lächelte Josie ihn – wie sie hoffte – tödlich an.
„Und, was machst du hier ausgerechnet mit Chris? Hast du keinen eigenen Alten?“
„Das klingt ja, als sei Chris dein Alter“, konnte Josie sich nicht mehr bezähmen, und Chris prustete vor Entsetzen noch mehr in sein Glas. „Da sei Gott vor!“, keuchte er schließlich. „Flo, lass mich in Frieden, ich will nicht mit dir und Torben saufen gehen. Hinterher ist einem immer drei Tage schlecht. Dazu ist mir meine Zeit zu schade.“
„Als ob du mit deiner Zeit etwas Besseres anfangen könntest – was gibt es denn Wichtigeres als Spaß? Los jetzt!“
„Hau ab, du Depp“, fauchte Chris und schob Flo weg. Der trollte sich murrend: „Langweilige Spaßbremse!“
„Als ob es aufregende Spaßbremsen gäbe“, konnte Josie sich nicht verkneifen, noch bevor Flo außer Hörweite war.
Chris kicherte.
Hatte er sich so sehr verändert? Josie staunte im Stillen. Chris, Flo, Max und Torben – da war doch früher einer so blöd gewesen wie der andere. Diese Nasen mit achtzehn: Golfcabrio, Markenklamotten, Haargel, Fitness, Golfspiel – und hirnlose Blondinen als Groupies.
„Dann seid ihr gar nicht mehr befreundet?“, fragte sie betont beiläufig nach.
„Ach, das schläft so langsam ein. Flo ist immer noch so wie kurz vor dem Abi, und man wächst da doch langsam raus.“ Er grinste schief. „Aber Max ist ganz okay, und auch Torben ist weniger infantil. Der ist sogar verteufelt schlau. Aber das kann eine angehende Professorin natürlich nicht beeindrucken.“
„Och, wenn jemand wirklich gescheit ist… oder meinst du mit schlau, dass er windige Geschäfte macht? Das fände ich dann weniger toll.“
„Weiß ich nicht so genau. Mit dem Spiel hat er jedenfalls nichts zu tun… das heißt – nein, ich bin mir sicher, dass Kai ihn gar nicht kennt. Und Torben ist eher in der Finanzbranche zugange.“ Er seufzte. „Verdammt, wo könnte Kai nur stecken…?“
„Hat er keine Verwandten – Eltern, Freundin, Ehefrau? Irgendwer muss doch wissen, wo er sich rumtreibt? Was ist mit seiner Wohnung?“
Chris sah sie nicht ohne Anerkennung an. „Gute Idee. Morgen versuche ich da was rauszukriegen… immerhin, ich hab über zweihunderttausend da reingesteckt, und so dicke hat mein Vater es im Moment auch nicht, deshalb ist er auch ganz schön sauer auf mich.“ Er wies mit dem Kinn in die Ecke, in der sich die beiden Väter angeregt und die Mütter etwas gezwungen unterhielten.
Jetzt war es an Josie, zu seufzen. „Warum macht Mama das bloß?“
„Wieso, was macht sie denn?“ Chris betrachtete die Elterngruppe ohne allzu großes Interesse. „Sie unterhält sich doch bloß mit meiner Mutter?“
„Unterhalten? Sie schleimt sich ein! Offenbar ist es ihr größter Wunsch, von deiner Mutter gesellschaftlich anerkannt zu werden – warum auch immer. Und dafür, glaube ich, würde sie so ungefähr alles tun.“
„Bei Mama? Warum das denn? Ich meine, natürlich habe ich meine Mama lieb, irgendwie – aber sie kann schon ganz schön nerven, und besonders schlau ist sie nicht, dafür ganz hübsch arrogant. Warum will deine Mutter ihre Anerkennung?“
Josie warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. „Deine Mutter ist sowas wie die Königin von Waldstetten.“
Chris verschluckte sich wieder an seinem Champagner, und Josie schlug ihm kräftig auf den Rücken. „Wieder okay?“
„Königin von Waldstetten?“, krächzte er, sobald er wieder sprechen konnte. „Josie, also wirklich! Da hat sie ja ein feines Königreich. Fast schon ein Imperium. Wie viele Untertanen sind das gleich wieder? Und wie viele davon haben noch nie etwas von ihr gehört?“
„Weiß ich doch selbst. Aber Leute wie Mama denken eben in diesen Kategorien. Sie liest auch Klatschzeitschriften und überlegt, ob sie für so ein Hütchen, wie es alle bei Kates Hochzeit getragen haben, zu alt ist oder ob ihr das gut stehen würde.“
„Während dir diese Frage voll am Arsch vorbei geht, schon klar. Äh – welche Kate?“
„Mein Gott, Kate Middleton. Beziehungsweise jetzt Cambridge. Prince William, schon mal gehört?“
„Ach so, der. Und die. Ja, klar. Finde ich jetzt nicht so fesselnd.“
Josie lachte. „Sag bloß, in deiner Clique gibt es keine Mädels, die danach gieren, zu einer solchen Hochzeit eingeladen zu werden? Immerhin gäbe es ja noch Prince Harry zu heiraten?“
„Ist das der Suffkopp mit der Nazi-Uniform? Wer will den schon heiraten?“
„Jemand, der gerne Prinzessin werden möchte? Oh Gott, warum reden wir über solchen Quatsch?“
„Frage ich mich auch. Magst du noch mal tanzen?“
„Ja, okay. Jedenfalls, ich glaube, Mama ist total glücklich, dass deine Mutter sich heute herabgelassen hat, mit ihr zu reden.“
„Stimmt.“ Chris rutschte von seinem Barhocker und reichte Josie die Hand, während er die Elterngruppe musterte. „Meine Eltern sind heute ungewöhnlich jovial. Papa auch – aber die beiden haben sicher was zu reden. Investitionen oder so.“
„Und die Damen reden über Charity und Kunst.“
„Weiberkram“, fand Chris und nahm Josie vorschriftsmäßig in die Arme. Nochmal eine Rumba, freute sich Josie. Die hatte sie am liebsten. Und falls Mama herschaute, musste sie doch wirklich zufrieden sein – die dröge Josie tanzte! Und hatte sich bestimmt eine halbe Stunde ernsthaft mit einem richtigen Mann unterhalten! Vielleicht war sie doch noch eines Tages unter die Haube zu bringen?
Natürlich nicht mit so einem wie Chris Collnhausen – der wäre Mama zufolge unerreichbar und Josie fand ihn ganz nett, so als alten Schulkameraden, aber doch wirklich nicht weiter ernstzunehmen. Aber er tanzte wirklich gut, vielleicht kein Wunder für so einen kleinen Playboy.
„Wieso bist du eigentlich alleine hier?“, fragte sie ihn.
Er runzelte die Stirn. „Was? Wie meinst du das?“
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