„Na, ich hätte mir vorstellen können, dass du mit deiner Freundin hierher kommst. Oder findet die solche Bälle blöd?“
„Weil du auch mit deinem Freund da bist oder was?“
„Wieso, ich hab doch gar keinen?“
„Vielleicht bin ich auch solo?“
„Ernsthaft? Hat Mama nicht mal was gesagt von einem Model oder so? Ich sollte wirklich besser aufpassen, was sie so erzählt… ach, egal.“
Er schwenkte sie herum. „Du meinst Tatiana? Mit der gehe ich bloß ab und an mal aus.“
„Ja, aber sie wäre doch genau die richtige, um diesen Ball zu schmücken. Du weißt schon, für die Lokalpresse – Seine Krönung erfuhr der glanzvolle Scheuerlein-Ball durch die Anwesenheit des international bekannten Models Tatiana – wie noch?“
„Areno.“ Er grinste auf sie herab. „Irgendwas stört bei dieser hymnischen Beschreibung.“
Josie kicherte. „Scheuerlein – das passt gar nicht. Schon bitter…“
„Du bist ein böses Weib, Josie. Aber wenn ich mich recht erinnere, warst du schon in der Schule so eine Hexe.“
Die Rumba verklang, und das Orchester stimmte einen absoluten Oldie an – Nights in White Satin .
„Ein Schieber“, stellte Chris überflüssigerweise fest. „Warum nicht?“
Josie hatte keine rechte Lust, wusste aber nicht, wie sie sich weigern sollte, ohne zickig zu wirken, also ergab sie sich in ihr Schicksal.
Immerhin hatte Chris die richtige Größe, konnte tanzen, duftete angenehm und fühlte sich gut an, fest und kräftig.
Er hatte außer Fitness wohl auch nicht viel zu tun. Da sein Geschäftspartner ihm durchgegangen war, hatte er beruflich im Moment wohl keinen allzu großen Stress. Da blieb Zeit fürs Training, für das Model, fürs Golfspielen und seinen Sportflitzer.
„Tatiana ist außerdem zurzeit zu Hause in Brasilien“, murmelte Chris in ihr Ohr. Der warme Atem an ihrer Wange machte sie direkt nervös. Sie straffte sich innerlich und versuchte, sich auf die Schritte zu konzentrieren – aber da nicht viel zu schreiten war bei diesem Klammerblues, war sie nicht übermäßig abgelenkt. Okay, tanzen konnte man mit ihm – aber geschäftlich war Chris doch ein ziemliches Huhn… zweihunderttausend, und dann kannte er noch nicht einmal den dritten Partner? Was, wenn die anderen beiden wirklich einfach abgehauen waren? Der alte Collnhausen war zu Recht sauer auf seinen Sohn, fand sie. Bestimmt konnte der den Verlust wegstecken, aber so eine Summe tat schon auch weh…
„Eigentlich finde ich den Ball ja jetzt doch ganz okay“, raunte Chris in ihr Ohr. Sie lachte leise. „Ja, immerhin haben wir uns ganz nett unterhalten und müssen nicht ewig verkrampft bei unseren Eltern herumstehen.“
Aus einer Ecke ertönte teeniehaftes Quieken, Josie reckte den Kopf. „Aha, Horri und Tessa sausen dahinten herum. Machen bestimmt Blödsinn.“
„Wenn schon, haben wir mit siebzehn ja auch. Übrigens ist Horri absolut scheußlich – könnt ihr nicht Hortense zu ihr sagen?“
„Das macht Mama ja. Jede Silbe einzeln, wenn Horri sie geärgert hat. Wir wetten immer. Wenn sie beim Freitagabenddinner fünfmal Hor- ten -se zusammenbringt, kriegt sie von mir fünf Euro. Es sei denn, ich schaffe mindestens genauso viele Jo-se- phi -ne. Mama ist leicht zu empören.“
„Man muss nur die gute Gesellschaft für einen Haufen Idioten erklären?“
„Das könnte für einen Doppelausruf reichen.“
Chris kicherte und drehte sie so, dass er seine Eltern im Blick hatte.
„Komisch“, sagte er dann, „was sind die denn jetzt dermaßen gut gelaunt? Sie schauen her – Mama winkt sogar! Das macht mir jetzt direkt Angst.“
Jetzt kicherte Josie. „Unser Kinder-Grundmisstrauen. Was könnten die bloß vorhaben?“
„Keinen Schimmer. Ach komm, tanzen wir einfach und genießen den Abend, egal, was die Alten aushecken.“
Der Ball war wirklich besser gewesen als erwartet, zog Josie am nächsten Montag Bilanz. Mit Chris war es ganz lustig gewesen, seine blöden Freunde hatten nicht weiter gestört, seine Eltern waren regelrecht nett zu ihr gewesen, warum auch immer, und ihre eigenen Eltern hatten direkt dankbar gewirkt.
Vielleicht war die alte Collnhausen so dankbar, dass sie mit ihrem Sohn getanzt hatte, dass sie jetzt höflich zu Mama war – und Mama sich endlich bei Hofe akzeptiert fühlte?
In Waldstetten herrschten wirklich Verhältnisse wie am Kaiserhof anno 1900. Wenigstens fast.
Aber der Beitrag für die Festschrift zum Siebzigsten von Professor Brömmer war jetzt wichtiger. Josie las ihn noch zweimal Korrektur, besserte zwei Anmerkungen aus, froh, dass Janne heute nicht da war und hier Ruhe herrschte, schrieb den Schluss noch einmal um und schickte die Datei dann an die Unidruckerei, die alles zusammenfügen und repräsentativ drucken und binden lassen würde.
Sie räumte ihren Schreibtisch auf, korrigierte die Rechercheversuche ihrer Methodikübung und schrieb ein wenig an ihrer neuesten Veröffentlichung weiter.
Je länger die Liste der Veröffentlichungen, desto besser die Chancen im Uni-Betrieb.
In der Mailbox fand sie eine Anfrage des Mariengymnasiums: Ob sie bei einem Studieninformationstag im Juni das Fach Geschichte vorstellen wollte?
Hübsche Idee. Sie schickte eine etwas allgemein gehaltene Zusage zurück und schrieb weiter.
Für ihre Habilschrift sollte sie auch mal wieder etwas tun. Sie fischte sich aus den Kopienstapeln auf der Ablage hinter dem Schreibtisch die Unterlagen für das nächste Kapitel heraus und stopfte sie in ihre Tasche – für heute Abend.
Und morgen würde sie das Ludwigskroner Herzogsarchiv aufsuchen, dort musste es einige entscheidende Quellen geben.
Für heute reichte es ihr – sie hatte nur noch eine Stunde Sprechstunde, für die sich niemand in die Liste an ihrer Tür eingetragen hatte, aber sie beschloss, trotzdem bis ein Uhr zu warten.
Arbeiten mochte sie nicht mehr, also ging sie ins Internet und schaute sich zunächst an, wie das Spiel I am King aussah.
Kopfschüttelnd las sie sich die Regeln und die durchwegs hymnischen Beurteilungen durch und studierte das reiche Angebot an kostenpflichtigen Zusatzfeatures, mit dem man wahrscheinlich den Kindern das Taschengeld abknöpfte. Mit solchem Kram wollte Chris Geld verdienen?
Und Josie hatte nicht das Gefühl, dass er von solchen Spielen besonders viel verstand – er wollte wohl bloß der Finanzier sein. Das hatte er allerdings nicht gerade geschickt angestellt.
Was gab es denn über die Collnhausens im Netz zu lesen?
Immerhin lieferte Google jede Menge Einträge. Bestimmt waren sowohl Chris als auch Tessa bei Facebook zugange, aber Josie hatte sich darum bisher gedrückt.
Über den Vater berichteten vor allem Wirtschaftsdienste und die Online-Ausgaben diverser Business-Magazine. Günther von Collnhausen saß so ungefähr in jedem erreichbaren Aufsichtsrat und schien nach dem, was Josie ohne viel Sachkenntnis aus den Artikeln folgerte, von dem zu leben, was er für diese Tätigkeiten erhielt. Da konnte man das Vermögen schonen… Er war Mitglied in der Mittelstandsvereinigung und in der Local Agenda, was Josie nun doch als rechter Balanceakt erschien – die beiden Gruppierungen waren sich im Allgemeinen nicht freundlich gesonnen und sparten nicht mit Verunglimpfungen der jeweils anderen Vereinigung als „vorgestrig“ oder „aktionistisch.“
Papa war, soweit Josie informiert war, nur in der Local Agenda aktiv, zusammen mit Dominic Christen, Frederic Petersen, Jakob Hamm und verschiedenen anderen. Jüngere Firmeninhaber und Manager, die sich für schlanke Strukturen und sozial verträgliche Reformen einsetzten und immer nach neuen Ideen suchten.
Papa hatte ja auch keine ganz gerade Biographie – er hatte nach einem eher
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